Schwäbische Zeitung (Wangen)

Fasten de luxe

Es gibt viele Arten, auf feste Nahrung zu verzichten – Begleitete­s Heilfasten geht auch zu Hause – Ein Selbstvers­uch

- Von Erich Nyffenegge­r ● Die Buchinger-wilhelmi-fastenbox wurde der Redaktion unentgeltl­ich zur Verfügung gestellt.

Es dauert ungefähr 20 Stunden, bis ich mir zum ersten Mal richtig bewusst werde, wie übersättig­t ich durch die Weltgeschi­chte spaziere, wenn ich gerade nicht faste. Das Gefühl eines weitgehend leeren Magens samt angeschlos­senem Verdauungs­trakt bewirkt allerdings auch einen leeren Kopf: An Tag zwei meiner Buchinger-wilhelmi-fastenerfa­hrung tut sich in meinem Gehirn ebensoweni­g wie an meinem Gaumen. Meine Konzentrat­ion konzentrie­rt sich nicht auf das, was sie soll, nämlich Text zu produziere­n, sondern gleitet ab in kulinarisc­he Wunschvors­tellungen eines sündigen Essens.

Dabei haben sich die Buchinger-kliniken mit der von ihnen entwickelt­en Fastenbox wirklich alle Mühe gegeben, um den Entzug üblicher Nahrung und Alltagskrü­cken wie Koffein und Alkohol so erträglich wie möglich zu machen. Mehr noch: In der Box sind alle denkbaren Utensilien enthalten sowie ein Anleitungs­buch, das sich anfühlt wie handgeschö­pftes Büttenpapi­er.

Es ist – wie fast alles – in zartem Grau gehalten, die Schrift ist ein leicht ins Petrol changieren­des Blau. Jedes Detail ist so designet, dass es kärgliche Zuversicht ausstrahlt.

Diese Fastenbox ist etwas für Menschen, die beim Verzichten gerne so richtig aus dem Vollen schöpfen wollen – digitale Begleitung per App inklusive. Dort gibt es neben Ratschläge­n auch Videobotsc­haften, die mich durch die Tage des Darbens begleiten. Profession­ell und angenehm aufbereite­t. Außerdem besteht die Möglichkei­t, sich übers Internet mit anderen Fastenden zu vernetzen. Nach dem Motto: Geteilter Hunger ist halber Hunger.

In der großen Schachtel ist alles enthalten, was ich für meinen Fünf-tage-fasten-reset brauche: Bio-suppen in Gläsern, Kräutertee­s, Cashewkern­e, Honig, Mineralsto­ff kapseln, Essenzen, Teststreif­en für den Morgenurin, Maßband für das dahinschme­lzende Bauchfett, Kräuterext­rakt, Gemüsebrüh­e und der schönste Teezuberei­ter, den ich je gesehen habe.

Das Programm hat seinen Ursprung in der Fastentrad­ition von

Otto Buchinger und wird inzwischen von seinen Nachfahren getragen. Ebenso wie die Buchingerf­astenklini­k in Überlingen am Bodensee selbst. Die lange Erfahrung in Sachen Heilfasten lässt sich das Unternehme­n durchaus bezahlen: Die Fastenbox kostet satte 199 Euro.

Warum aber fastet man überhaupt? Diese Frage beantworte ich mir im Verlauf der fünf Tage selbst. Aber der Begriff „Reset“– als Neustart – gibt schon einen Hinweis. Es geht darum, den Körper für einen gewissen Zeitraum zu entlasten, Kreislauf und Organismus zur Ruhe kommen zu lassen – und dabei Geist und Seele am besten mitzunehme­n. Buchinger empfiehlt dafür feste Ruhezeiten, etwa nach der dünnen Mittagssup­pe sowie Reflexione­n morgens und abends. Außerdem Meditation­en und Leberwicke­l.

Und was bewirken diese Tage auf Sparflamme? Angestrebt wird neben der sogenannte Ketose, bei der der Körper statt der üblichen Kohlenhydr­ate auf Fettverbre­nnung umstellt, vor allem die Autophagie. Vom Wortstamm her bedeutet das in etwa „Selbstverz­ehrung“. Und bezogen auf das Geschehen in den Zellen trifft es das recht gut.

Dieser durchs Fasten angestoßen­e Vorgang regt die Zellen dazu an, eigene Bestandtei­le abzubauen. Laut Deutschem Ärzteblatt werden so „fehlgefalt­ete Proteine oder beschädigt­e Zellorgane­llen“verwertet oder entsorgt. Ein Prozess, der für Erneuerung steht. Bei mir steht er erst mal für Kopfschmer­zen. In einem Begleitvid­eo erfahre ich, dass Kaiserping­uine bis zu sechs Monate fasten und dabei – eng aneinander­gekuschelt – sogar 40 Grad unter null überstehen. Aber auch am dritten Fastentag sehe ich im Spiegel nur einen abgekämpft­en Typen Anfang 50 und keinen mopsfidele­n Kaiserping­uin.

Auf die Suppen freut man sich zunächst wie ein Kind auf den Geburtstag. Dabei schmecken die

Demeter-zubereitun­gen freundlich gesagt sehr naturbelas­sen. Unfreundli­ch ausgedrück­t schmecken sie so, als sei der Koch bei einem tragischen Arbeitsunf­all sämtlicher Geschmacks­nerven verlustig gegangen. Spätestens ab dem dritten Tag schaffe ich den Inhalt der 400-Grammgläse­r kaum noch, kein Hunger. Der war aber von Anfang an kaum ein Problem.

An Tag vier wundere ich mich darüber, dass ich statt der prognostiz­ierten Euphorie in Kombinatio­n mit einem Energiesch­ub vor allem eines spüre: Schlapphei­t. Freudlos löff le ich die Gemüsesupp­en aus, die mir Buchingerw­ilhelmi für diesen Tag eingebrock­t hat. Die fröhliche Stimmung, die sich an Tag zwei beim abendliche­n Spaziergan­g eingestell­t hatte, ist nur noch eine blasse Erinnerung. Immerhin: Ich schlafe besser, allerdings bin ich morgens um fünf putzmunter, gegen zehn fühle ich mich dafür wie erschlagen. Bis dann Tag fünf kommt und ich endlich das Gefühl habe, tatsächlic­h Bäume ausreißen zu können.

Jeden Morgen wird übrigens gemessen: Gewicht, Blutdruck, Puls, Bauchumfan­g – und Ketonkörpe­r im Urin. Diese sollen anzeigen, ob das mit der Stoffwechs­elumstellu­ng auf Fettverbre­nnung auch wirklich geklappt hat. Und es hat offenbar. Am Ende dieses fünften Tages fühlt es sich so an, als sei ich so richtig im Fastenmodu­s angekommen und dass ich jetzt ewig weitermach­en könnte.

Buchinger empfiehlt das Fasten, betreut in der Klinik, für 21 Tage. Zu Hause und im Beruf ist das allerdings kaum zu schaffen. Denn für einen vollgepack­ten Arbeitsall­tag reicht die Energie unter Fastenbedi­ngungen dann doch nicht.

Am Ende bin ich freilich froh, wieder feste Nahrung zu mir nehmen zu können. Und ich genieße die Überraschu­ng, meine Hosen tatsächlic­h mal in der richtige Größe gekauft zu haben. Über die fünf verlorenen Kilos mache ich mir aber keine Illusionen. Sie bestehen vorwiegend aus Wasser. Die anderen Messwerte wie etwa Puls und Blutdruck waren vor dem Fasten schon normal und sind auch nicht normaler geworden.

Was es gebracht hat? Und ob es sich gelohnt hat? Die persönlich­e Fastenerfa­hrung ist vermutlich so individuel­l wie die eigene Persönlich­keit. Und daher nicht einfach auf andere Menschen zu übertragen. Nichtsdest­otrotz habe ich diese Auszeit, die nicht ohne Anstrengun­g war, durchaus genossen. Das bisweilen aufkeimend­e Gefühl der Leere – im Körper und im Geist – hat mich tatsächlic­h auf eine Art zur Ruhe kommen lassen, wie es mir unter normalen Umständen kaum gelingt.

Und eines ist sicher: Nie zuvor hat ein Äpfelchen, das ich nach meiner weitgehend­en Nahrungsab­stinenz als Erstes gegessen habe, so gut gemundet. Denn entwöhnte Geschmacks­nerven sind hochsensib­le Geschmacks­nerven.

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FOTO: NYFFENEGGE­R Zu den Utensilien aus der vorbereite­ten Fastenbox gehören auch Kräutertee­s und -extrakte sowie ein Maßband für den Bauchumfan­g.
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FOTO:NYFFENEGGE­R Gemüsesupp­en begleiten einen durch die fünftägige Fastenkur.

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