Fasten de luxe
Es gibt viele Arten, auf feste Nahrung zu verzichten – Begleitetes Heilfasten geht auch zu Hause – Ein Selbstversuch
Es dauert ungefähr 20 Stunden, bis ich mir zum ersten Mal richtig bewusst werde, wie übersättigt ich durch die Weltgeschichte spaziere, wenn ich gerade nicht faste. Das Gefühl eines weitgehend leeren Magens samt angeschlossenem Verdauungstrakt bewirkt allerdings auch einen leeren Kopf: An Tag zwei meiner Buchinger-wilhelmi-fastenerfahrung tut sich in meinem Gehirn ebensowenig wie an meinem Gaumen. Meine Konzentration konzentriert sich nicht auf das, was sie soll, nämlich Text zu produzieren, sondern gleitet ab in kulinarische Wunschvorstellungen eines sündigen Essens.
Dabei haben sich die Buchinger-kliniken mit der von ihnen entwickelten Fastenbox wirklich alle Mühe gegeben, um den Entzug üblicher Nahrung und Alltagskrücken wie Koffein und Alkohol so erträglich wie möglich zu machen. Mehr noch: In der Box sind alle denkbaren Utensilien enthalten sowie ein Anleitungsbuch, das sich anfühlt wie handgeschöpftes Büttenpapier.
Es ist – wie fast alles – in zartem Grau gehalten, die Schrift ist ein leicht ins Petrol changierendes Blau. Jedes Detail ist so designet, dass es kärgliche Zuversicht ausstrahlt.
Diese Fastenbox ist etwas für Menschen, die beim Verzichten gerne so richtig aus dem Vollen schöpfen wollen – digitale Begleitung per App inklusive. Dort gibt es neben Ratschlägen auch Videobotschaften, die mich durch die Tage des Darbens begleiten. Professionell und angenehm aufbereitet. Außerdem besteht die Möglichkeit, sich übers Internet mit anderen Fastenden zu vernetzen. Nach dem Motto: Geteilter Hunger ist halber Hunger.
In der großen Schachtel ist alles enthalten, was ich für meinen Fünf-tage-fasten-reset brauche: Bio-suppen in Gläsern, Kräutertees, Cashewkerne, Honig, Mineralstoff kapseln, Essenzen, Teststreifen für den Morgenurin, Maßband für das dahinschmelzende Bauchfett, Kräuterextrakt, Gemüsebrühe und der schönste Teezubereiter, den ich je gesehen habe.
Das Programm hat seinen Ursprung in der Fastentradition von
Otto Buchinger und wird inzwischen von seinen Nachfahren getragen. Ebenso wie die Buchingerfastenklinik in Überlingen am Bodensee selbst. Die lange Erfahrung in Sachen Heilfasten lässt sich das Unternehmen durchaus bezahlen: Die Fastenbox kostet satte 199 Euro.
Warum aber fastet man überhaupt? Diese Frage beantworte ich mir im Verlauf der fünf Tage selbst. Aber der Begriff „Reset“– als Neustart – gibt schon einen Hinweis. Es geht darum, den Körper für einen gewissen Zeitraum zu entlasten, Kreislauf und Organismus zur Ruhe kommen zu lassen – und dabei Geist und Seele am besten mitzunehmen. Buchinger empfiehlt dafür feste Ruhezeiten, etwa nach der dünnen Mittagssuppe sowie Reflexionen morgens und abends. Außerdem Meditationen und Leberwickel.
Und was bewirken diese Tage auf Sparflamme? Angestrebt wird neben der sogenannte Ketose, bei der der Körper statt der üblichen Kohlenhydrate auf Fettverbrennung umstellt, vor allem die Autophagie. Vom Wortstamm her bedeutet das in etwa „Selbstverzehrung“. Und bezogen auf das Geschehen in den Zellen trifft es das recht gut.
Dieser durchs Fasten angestoßene Vorgang regt die Zellen dazu an, eigene Bestandteile abzubauen. Laut Deutschem Ärzteblatt werden so „fehlgefaltete Proteine oder beschädigte Zellorganellen“verwertet oder entsorgt. Ein Prozess, der für Erneuerung steht. Bei mir steht er erst mal für Kopfschmerzen. In einem Begleitvideo erfahre ich, dass Kaiserpinguine bis zu sechs Monate fasten und dabei – eng aneinandergekuschelt – sogar 40 Grad unter null überstehen. Aber auch am dritten Fastentag sehe ich im Spiegel nur einen abgekämpften Typen Anfang 50 und keinen mopsfidelen Kaiserpinguin.
Auf die Suppen freut man sich zunächst wie ein Kind auf den Geburtstag. Dabei schmecken die
Demeter-zubereitungen freundlich gesagt sehr naturbelassen. Unfreundlich ausgedrückt schmecken sie so, als sei der Koch bei einem tragischen Arbeitsunfall sämtlicher Geschmacksnerven verlustig gegangen. Spätestens ab dem dritten Tag schaffe ich den Inhalt der 400-Grammgläser kaum noch, kein Hunger. Der war aber von Anfang an kaum ein Problem.
An Tag vier wundere ich mich darüber, dass ich statt der prognostizierten Euphorie in Kombination mit einem Energieschub vor allem eines spüre: Schlappheit. Freudlos löff le ich die Gemüsesuppen aus, die mir Buchingerwilhelmi für diesen Tag eingebrockt hat. Die fröhliche Stimmung, die sich an Tag zwei beim abendlichen Spaziergang eingestellt hatte, ist nur noch eine blasse Erinnerung. Immerhin: Ich schlafe besser, allerdings bin ich morgens um fünf putzmunter, gegen zehn fühle ich mich dafür wie erschlagen. Bis dann Tag fünf kommt und ich endlich das Gefühl habe, tatsächlich Bäume ausreißen zu können.
Jeden Morgen wird übrigens gemessen: Gewicht, Blutdruck, Puls, Bauchumfang – und Ketonkörper im Urin. Diese sollen anzeigen, ob das mit der Stoffwechselumstellung auf Fettverbrennung auch wirklich geklappt hat. Und es hat offenbar. Am Ende dieses fünften Tages fühlt es sich so an, als sei ich so richtig im Fastenmodus angekommen und dass ich jetzt ewig weitermachen könnte.
Buchinger empfiehlt das Fasten, betreut in der Klinik, für 21 Tage. Zu Hause und im Beruf ist das allerdings kaum zu schaffen. Denn für einen vollgepackten Arbeitsalltag reicht die Energie unter Fastenbedingungen dann doch nicht.
Am Ende bin ich freilich froh, wieder feste Nahrung zu mir nehmen zu können. Und ich genieße die Überraschung, meine Hosen tatsächlich mal in der richtige Größe gekauft zu haben. Über die fünf verlorenen Kilos mache ich mir aber keine Illusionen. Sie bestehen vorwiegend aus Wasser. Die anderen Messwerte wie etwa Puls und Blutdruck waren vor dem Fasten schon normal und sind auch nicht normaler geworden.
Was es gebracht hat? Und ob es sich gelohnt hat? Die persönliche Fastenerfahrung ist vermutlich so individuell wie die eigene Persönlichkeit. Und daher nicht einfach auf andere Menschen zu übertragen. Nichtsdestotrotz habe ich diese Auszeit, die nicht ohne Anstrengung war, durchaus genossen. Das bisweilen aufkeimende Gefühl der Leere – im Körper und im Geist – hat mich tatsächlich auf eine Art zur Ruhe kommen lassen, wie es mir unter normalen Umständen kaum gelingt.
Und eines ist sicher: Nie zuvor hat ein Äpfelchen, das ich nach meiner weitgehenden Nahrungsabstinenz als Erstes gegessen habe, so gut gemundet. Denn entwöhnte Geschmacksnerven sind hochsensible Geschmacksnerven.