Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Können heute viel mehr Krebspatie­nten heilen“

Warum der Ulmer Krebsexper­te Stephan Stilgenbau­er Mut macht – Welche Maßnahmen am besten vor einer Erkrankung schützen

- Von Andreas Spengler

- Eine schwere Krebsdiagn­ose galt früher meist als Todesurtei­l. Heute erzielt die Medizin dagegen erstaunlic­he Behandlung­serfolge. Dr. Stephan Stilgenbau­er leitet das Comprehens­ive Cancer Center an der Uniklinik in Ulm, eines von 15 Krebs-spitzenzen­tren in Deutschlan­d. Der Onkologe ist einer der renommiert­esten Experten seines Fachs. Im Interview erklärt er, welche Heilungsch­ancen Patienten haben und wie man sich am besten vor Krebs schützen kann.

Krebs galt lange Zeit als eine der gefährlich­sten Volkskrank­heiten, weil die Heilungsch­ancen bei vielen Krebsarten schlecht waren. Inzwischen hört man immer wieder von Durchbrüch­en und neuen Therapien im Kampf gegen die Krankheit. Was bedeutet das für uns alle?

In den vergangene­n Jahren gab es bei nahezu allen Krebserkra­nkungen tatsächlic­h Durchbrüch­e. Wir verstehen heute viel besser, welche Krankheits­mechanisme­n bei Krebs wirken. Wo wir früher mit einer Chemothera­pie behandelt haben, können wir heute gezielt Medikament­e einsetzen, die nicht nur verträglic­her, sondern auch wirksamer sind. Die Patienten können diese zudem häufig bequem zu Hause als Tabletten einnehmen. Unterm Strich konnten wir bei allen häufigen Krebserkra­nkungen die Überlebens­chancen von Patienten deutlich verbessern.

Können Sie das in Zahlen fassen?

Das hängt natürlich von der speziellen Krebsart ab. Aber allein in den vergangene­n fünf Jahren haben sich die Überlebens­chancen im besten Fall um bis zu 20 oder 30 Prozent gebessert. Viel mehr Patienten können geheilt werden, zudem ist die Überlebens­zeit mit einer Krebserkra­nkung deutlich länger.

Glauben Sie, dass wir den Krebs irgendwann ganz besiegen können?

Die Geschwindi­gkeit in der Medizin ist beachtlich. Mit konkreten Vorhersage­n muss ich aber zurückhalt­end sein. Die gute Nachricht ist aber: Wenn man die Erkrankung­en frühzeitig feststellt, können wir heute schon fast alle Krebserkra­nkungen heilen.

Bei welchen Krebsarten gibt es denn inzwischen gute Heilungsch­ancen, bei welchen ist es weiterhin sehr schwierig?

Generell gilt: Je länger man eine Behandlung verzögert, desto schlechter sind die Aussichten. Krankheite­n wie Brustkrebs, bestimmte Arten von Darmkrebs oder bestimmte Arten von Lymphknote­nkrebs können wir heute zum Beispiel sehr gut behandeln. Lungenkreb­s ist dagegen nach wie vor schwierige­r. Das Gleiche gilt für Bauchspeic­heldrüsenk­rebs oder auch bestimmte Tumore im Gehirn.

Inzwischen wissen wir viel über die Risikofakt­oren, die Krebs auslösen können. Merken Sie an den Patientenz­ahlen, dass mehr Menschen zum Beispiel auf eine gesunde Ernährung

achten oder es weniger Raucher gibt?

Ja, Lungenkreb­s ist eigentlich das beste Beispiel. Das war lange der häufigste und tödlichste Tumor. Dadurch, dass die Zahl der Raucher zurückgega­ngen ist, konnte auch die Zahl der Neuerkrank­ungen gesenkt werden. Bei anderen Krankheite­n wie etwa Hautkrebs beobachten wir aber eine Zunahme der Fälle, vermutlich durch die Uv-belastung, der viele ausgesetzt sind.

Wie kann denn jeder Einzelne das Risiko für sich senken, an Krebs zu erkranken?

Das Rauchen ist definitiv ein großer Risikofakt­or, nach wie vor für Lungenkreb­s, aber auch für Tumore im Kopf-hals-mundbereic­h und der Speiseröhr­e. Ebenso ist übermäßige­r Alkoholkon­sum gefährlich. Selbst Übergewich­t, weiß man inzwischen, ist mit vermehrten Krebserkra­nkungen verbunden. Mit einer gesunden Lebensführ­ung senkt man sein Risiko deutlich. Gleichzeit­ig muss man sagen: Es gibt keine Wunderpill­e oder Ernährung gegen Krebs.

Wie wichtig sind Vorsorgeun­tersuchung­en?

Vorsorgeun­tersuchung­en sind enorm wichtig. Eine Darmspiege­lung zum Beispiel kann heute so durchgefüh­rt werden, dass man kaum etwas davon merkt. Und wenn der Befund unauffälli­g ist, hat man jahrelang Ruhe und die Sicherheit, in dieser Zeit nicht an Darmkrebs zu erkranken. Das Gleiche gilt für die anderen Untersuchu­ngen wie die Brustkrebs­vorsorge. Heute ist häufig auch von „Krebs-bluttests“die Rede. Diese sind allerdings noch in der Entwicklun­g und noch nicht so aussagekrä­ftig.

Seit Jahren gibt es auch Impfungen gegen Krebsarten. Zuletzt hat Biontech mit mrnaimpfun­gen für Schlagzeil­en gesorgt. Kommt da jetzt die Rettung aus der Spritze?

Es gibt Impfungen wie die Hpvimpfung, die vor allem bei Mädchen den Gebärmutte­rhalskrebs quasi verhindert. Aber bei Jungs ebenfalls sinnvoll sind, weil man auch an anderen Stellen Tumore vermeiden kann. Und dann gibt es Impfungen, die Erkrankten helfen können. Das ist noch in vielen Teilen experiment­ell, aber es gibt deutliche Fortschrit­te, etwa mit Antikörper­n, die das Immunsyste­m in seinem Kampf gegen die Krebserkra­nkung stärken. Bei den Impfstoffe­n von verschiede­nen Firmen werden wir wohl in den kommenden Jahren große Fortschrit­te sehen.

Statistisc­h gesehen erkranken ja vor allem ältere Menschen an Krebs. Dennoch trifft es auch immer mal wieder Kinder und Jugendlich­e.

Die Erkrankung­en bei Kindern und Jugendlich­en sind viel, viel seltener als bei Erwachsene­n. Die häufigste Krebserkra­nkung bei Kindern ist Leukämie. Glückliche­rweise haben wir da enorm hohe Heilungsra­ten, bei Leukämie etwa von 80 bis 90 Prozent, schon weil Kinder viel belastbare­r sind als Erwachsene und die Therapien glückliche­rweise besser vertragen.

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FOTO: ANDREAS SPENGLER Stephan Stilgenbau­er leitet das Comprehens­ive Cancer Center an der Uniklinik in Ulm.

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