„Können heute viel mehr Krebspatienten heilen“
Warum der Ulmer Krebsexperte Stephan Stilgenbauer Mut macht – Welche Maßnahmen am besten vor einer Erkrankung schützen
- Eine schwere Krebsdiagnose galt früher meist als Todesurteil. Heute erzielt die Medizin dagegen erstaunliche Behandlungserfolge. Dr. Stephan Stilgenbauer leitet das Comprehensive Cancer Center an der Uniklinik in Ulm, eines von 15 Krebs-spitzenzentren in Deutschland. Der Onkologe ist einer der renommiertesten Experten seines Fachs. Im Interview erklärt er, welche Heilungschancen Patienten haben und wie man sich am besten vor Krebs schützen kann.
Krebs galt lange Zeit als eine der gefährlichsten Volkskrankheiten, weil die Heilungschancen bei vielen Krebsarten schlecht waren. Inzwischen hört man immer wieder von Durchbrüchen und neuen Therapien im Kampf gegen die Krankheit. Was bedeutet das für uns alle?
In den vergangenen Jahren gab es bei nahezu allen Krebserkrankungen tatsächlich Durchbrüche. Wir verstehen heute viel besser, welche Krankheitsmechanismen bei Krebs wirken. Wo wir früher mit einer Chemotherapie behandelt haben, können wir heute gezielt Medikamente einsetzen, die nicht nur verträglicher, sondern auch wirksamer sind. Die Patienten können diese zudem häufig bequem zu Hause als Tabletten einnehmen. Unterm Strich konnten wir bei allen häufigen Krebserkrankungen die Überlebenschancen von Patienten deutlich verbessern.
Können Sie das in Zahlen fassen?
Das hängt natürlich von der speziellen Krebsart ab. Aber allein in den vergangenen fünf Jahren haben sich die Überlebenschancen im besten Fall um bis zu 20 oder 30 Prozent gebessert. Viel mehr Patienten können geheilt werden, zudem ist die Überlebenszeit mit einer Krebserkrankung deutlich länger.
Glauben Sie, dass wir den Krebs irgendwann ganz besiegen können?
Die Geschwindigkeit in der Medizin ist beachtlich. Mit konkreten Vorhersagen muss ich aber zurückhaltend sein. Die gute Nachricht ist aber: Wenn man die Erkrankungen frühzeitig feststellt, können wir heute schon fast alle Krebserkrankungen heilen.
Bei welchen Krebsarten gibt es denn inzwischen gute Heilungschancen, bei welchen ist es weiterhin sehr schwierig?
Generell gilt: Je länger man eine Behandlung verzögert, desto schlechter sind die Aussichten. Krankheiten wie Brustkrebs, bestimmte Arten von Darmkrebs oder bestimmte Arten von Lymphknotenkrebs können wir heute zum Beispiel sehr gut behandeln. Lungenkrebs ist dagegen nach wie vor schwieriger. Das Gleiche gilt für Bauchspeicheldrüsenkrebs oder auch bestimmte Tumore im Gehirn.
Inzwischen wissen wir viel über die Risikofaktoren, die Krebs auslösen können. Merken Sie an den Patientenzahlen, dass mehr Menschen zum Beispiel auf eine gesunde Ernährung
achten oder es weniger Raucher gibt?
Ja, Lungenkrebs ist eigentlich das beste Beispiel. Das war lange der häufigste und tödlichste Tumor. Dadurch, dass die Zahl der Raucher zurückgegangen ist, konnte auch die Zahl der Neuerkrankungen gesenkt werden. Bei anderen Krankheiten wie etwa Hautkrebs beobachten wir aber eine Zunahme der Fälle, vermutlich durch die Uv-belastung, der viele ausgesetzt sind.
Wie kann denn jeder Einzelne das Risiko für sich senken, an Krebs zu erkranken?
Das Rauchen ist definitiv ein großer Risikofaktor, nach wie vor für Lungenkrebs, aber auch für Tumore im Kopf-hals-mundbereich und der Speiseröhre. Ebenso ist übermäßiger Alkoholkonsum gefährlich. Selbst Übergewicht, weiß man inzwischen, ist mit vermehrten Krebserkrankungen verbunden. Mit einer gesunden Lebensführung senkt man sein Risiko deutlich. Gleichzeitig muss man sagen: Es gibt keine Wunderpille oder Ernährung gegen Krebs.
Wie wichtig sind Vorsorgeuntersuchungen?
Vorsorgeuntersuchungen sind enorm wichtig. Eine Darmspiegelung zum Beispiel kann heute so durchgeführt werden, dass man kaum etwas davon merkt. Und wenn der Befund unauffällig ist, hat man jahrelang Ruhe und die Sicherheit, in dieser Zeit nicht an Darmkrebs zu erkranken. Das Gleiche gilt für die anderen Untersuchungen wie die Brustkrebsvorsorge. Heute ist häufig auch von „Krebs-bluttests“die Rede. Diese sind allerdings noch in der Entwicklung und noch nicht so aussagekräftig.
Seit Jahren gibt es auch Impfungen gegen Krebsarten. Zuletzt hat Biontech mit mrnaimpfungen für Schlagzeilen gesorgt. Kommt da jetzt die Rettung aus der Spritze?
Es gibt Impfungen wie die Hpvimpfung, die vor allem bei Mädchen den Gebärmutterhalskrebs quasi verhindert. Aber bei Jungs ebenfalls sinnvoll sind, weil man auch an anderen Stellen Tumore vermeiden kann. Und dann gibt es Impfungen, die Erkrankten helfen können. Das ist noch in vielen Teilen experimentell, aber es gibt deutliche Fortschritte, etwa mit Antikörpern, die das Immunsystem in seinem Kampf gegen die Krebserkrankung stärken. Bei den Impfstoffen von verschiedenen Firmen werden wir wohl in den kommenden Jahren große Fortschritte sehen.
Statistisch gesehen erkranken ja vor allem ältere Menschen an Krebs. Dennoch trifft es auch immer mal wieder Kinder und Jugendliche.
Die Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen sind viel, viel seltener als bei Erwachsenen. Die häufigste Krebserkrankung bei Kindern ist Leukämie. Glücklicherweise haben wir da enorm hohe Heilungsraten, bei Leukämie etwa von 80 bis 90 Prozent, schon weil Kinder viel belastbarer sind als Erwachsene und die Therapien glücklicherweise besser vertragen.