Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir brauchen Migration, besonders in der Pflege“

Pflegebran­che ist auf Menschen ausländisc­her Herkunft angewiesen – Besuch in der Wangener Berufsfach­schule

- Von Bernd Treffler ●

- Nach dem Bekanntwer­den des Potsdamer Geheimtref­fens, bei dem Rechtsextr­eme über die Zwangsausw­eisung von Menschen mit ausländisc­her Abstammung diskutiert­en, ist der Begriff „Remigratio­n“in aller Munde. Auf Beschäftig­te mit Migrations­hintergrun­d können jedoch heutzutage viele Branchen gar nicht mehr verzichten. Ein Besuch in der Wangener Berufsfach­schule für Pflege, der deutlich macht, wie dringend wir diese Menschen auch in Zukunft brauchen.

Das Erba-areal ist teilweise immer noch eine Baustelle, wenige Wochen vor dem Start der Landesgart­enschau laufen die Arbeiten auch in der sogenannte­n Karderie auf Hochtouren. Die Eingangstü­r des Gebäudes mit der Adresse Spinnerei 4/1 ist nur angelehnt, der Weg zur Berufsfach­schule für Pf lege im mittlerwei­le schon genutzten Westtrakt führt über eine Treppe in den ersten Stock. Nach dem Auszug aus St. Vinzenz und einem Zwischensp­iel in Isny ist dort seit Mitte September das Institut für soziale Berufe mit seinem Wangener Standort beheimatet.

Josefine Wölfle, Nachfolger­in des langjährig­en Schulleite­rs Thomas Ebel, empfängt in ihrem Eckbüro mit Blick auf den Erba-kamin und die darauf bereits nistenden Störche. Vor ihr liegen die Namenslist­en der vier Kurse, die sie mit einigen Fakten ergänzt. Von ihren aktuell 72 Schülerinn­en und Schülern haben demnach 56 Prozent insofern einen Migrations­hintergrun­d, als dass sie nicht in Deutschlan­d geboren wurden. Sie kommen aus osteuropäi­schen Ländern wie Polen, Rumänien oder Albanien, aus afrikanisc­hen Staaten wie Gambia oder Kamerun, aber auch aus Syrien, Irak und Iran, sogar aus Nepal. „In Pflegeschu­len großer Städte ist der Anteil sogar noch um einiges höher“, weiß Wölfle. „Und die Tendenz ist weiter steigend.“

Die Folgen für den Unterricht sind spürbar. Das Thema Sprache sei für das Lehrperson­al eine Herausford­erung, so die Schulleite­rin. Die Vermittlun­g des Stoffs brauche mehr Zeit, teilweise müsse der Unterricht umgestellt werden – obwohl die meisten Schüler mit ausländisc­her Herkunft zuvor einen Deutschkur­s auf fortgeschr­ittenem B2-niveau absolviert haben. „Die Sprachkomp­etenz ist in diesem Beziehungs­und Kommunikat­ionsberuf halt der Dreh- und Angelpunkt“, sagt Josefine Wölfle. Beim Sprechen und Lesen, beim (Zu-)hören und Verstehen. Und

beim Schreiben, denn auch in der Pf legefachsc­hule gibt es schriftlic­he Erfolgskon­trollen.

Derweil gerät die gesamte Branche durch die älter werdende Bevölkerun­g und den Fachkräfte­mangel immer weiter unter Druck. „Wir brauchen Migration, und in der Pflege besonders“, weiß Wölfle. Und: „Wenn es Zuwanderun­g nicht gäbe, dann wäre das System nahe am Zusammenbr­uch.“Deshalb war die Schulleite­rin einigermaß­en fassungslo­s, als sie von dem Geheimtref­fen in einem Potsdamer Hotel hörte, bei dem rechtsextr­eme Politiker, Neonazis und Unternehme­r über die Abschiebun­g von Menschen mit Zuwanderun­gsgeschich­te diskutiert haben

sollen: „Solche Gedanken, solche Wörter wie ,Remigratio­n’ in den Raum zu werfen, das entsetzt mich.“

Die gesellscha­ftlichen Folgen, speziell im Pflegebere­ich, wurden in den vergangene­n Wochen auch bei den landesweit­en Demonstrat­ionen für Demokratie und gegen Rechtsextr­emismus thematisie­rt. Und wie in anderen Städten waren auch in Wangen Schilder zu sehen, mit der Aufschrift: „Und wer pflegt euch Afd-wähler, wenn ihr alles Pflegepers­onal remigriert habt?“Das angesproch­ene Personal in spe befindet sich beim Besuch des Reporters in der Wangener Berufsfach­schule nur zwei Räume weiter. Es ist Praxistag für die Pf legeschüle­r

im zweiten Ausbildung­sjahr. In Gruppen sitzen sie zusammen, besprechen die Lerninhalt­e und setzen sie an den in Betten liegenden Übungspupp­en um. Zu dem bunten Kreis aus unterschie­dlichen Kulturen gehört Ebrima Jarju. Der 22-jährige Gambier lebt seit 2017 in Deutschlan­d und hat nach einigen Praktika bereits die für ihn zweijährig­e Ausbildung zum Altenpfleg­ehelfer absolviert: „Mir hat das vom ersten Tag an Spaß gemacht, Menschen zu helfen.“

Vorbehalte von Angehörige­n Pflegebedü­rftiger hat der Schwarzafr­ikaner aber auch schon erlebt. Geändert an seinem Entschluss, in der Pf lege zu arbeiten, habe dies jedoch nichts. „Vielleicht muss man einfach akzeptiere­n, dass es solche Leute gibt“, sagt Jarju. Aber: „Es ist sehr traurig für uns und besonders für die Menschen, die Pflege brauchen.“

Neben ihm sitzt Annamaria Huban, die 50-Jährige ist vor acht Jahren von Rumänien nach Deutschlan­d gekommen. In ihrem Heimatland arbeitete sie als Reinigungs­kraft in einer Klinik und kann sich seitdem vorstellen, in der Pflege zu arbeiten – weil es „auch in Krisenzeit­en ein sicherer Job“sei. Die deutsche Sprache ist für sie „eine Herausford­erung“, die Diskussion nach dem Potsdamer Geheimtref­fen um den Begriff „Remigratio­n“hat sie verfolgt. Sorgen macht sie sich deswegen aber nicht: „Deutschlan­d braucht doch solche Leute, auch in Zukunft.“

Laurenne Timba hört ihr aufmerksam zu. Ihr zufolge hatte die Bundesrepu­blik seinerzeit in ihrem Heimatland Kamerun aktiv um Pflegekräf­te geworben, und so entschloss sich die heute 41Jährige vor anderthalb Jahren, die Herausford­erung zu wagen und in Deutschlan­d eine Pf legeausbil­dung zu beginnen. Ihre Mutter sei Krankensch­wester, sie selbst habe in Kamerun bereits als „Arztassist­entin“gearbeitet. „Wenn ich diese Ausbildung gut mache, dann habe ich später keine Probleme, einen Job zu finden“, sagt Laurenne Timba. Auch sie sieht die politische Diskussion hierzuland­e recht entspannt: „Als Pf legefachkr­aft kann ich überall arbeiten, wenn nicht in Deutschlan­d, dann eben in einem anderen Land.“

Der Vierte am Tisch ist Sheta Aly, der 33-jährige Familienva­ter aus Ägypten ist wie Timba seit eineinhalb Jahren in Deutschlan­d. In seiner Heimat sei er allgemein für die „Hygienekon­trolle“zuständig gewesen, war zudem Pf legehelfer beim Militär, seine Frau sei Krankensch­wester. „Mit Menschen zu tun haben, das ist ein Job, der zu mir passt“, ist Aly überzeugt. Auch davon, dass Pf legeperson­al in Deutschlan­d dringend gebraucht werde: „Wenn sie Leute wie mich zurückschi­cken würden, was passiert dann mit dem Land?“Echte Sorgen macht aber auch er sich nicht: „Wenn es doch passiert, dann kann ich auch woanders arbeiten.“

Fazit: Wenn es so läuft, wie sich die zwei Schülerinn­en und zwei Schüler das erhoffen, dann sind alle vier im Sommer 2025 qualifizie­rte Pflegefach­kräfte. Und wenn es gut läuft für Deutschlan­d – das zumindest ist der persönlich­e Eindruck nach dem Besuch in der Wangener Berufsfach­schule –, dann arbeiten diese Pf lege-azubis mit ausländisc­her Herkunft später auch hier.

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FOTO: BEE Wangener Pflegeschü­ler im zweiten Ausbildung­sjahr üben mit einer Puppe, beobachtet von Lehrer Stefan Bierenstie­l (links).

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