Die Exotin unter den Kaminkehrern
Als weiblicher, 41-jähriger Azubi ist die Wangenerin Sandra Bodenmiller die doppelte Ausnahme
- Vier von fünf Auszubildenden im Kaminkehrer-beruf sind männlich. Sie starten zudem im Alter zwischen 16 und 18 Jahren in ihre Ausbildung. Bei Sandra Bodenmiller sieht das anders aus: Sie ist als Frau noch immer die Ausnahme – und sie ist bereits 41 Jahre alt. Ihr Weg in diesen Beruf führte sie unter anderem über die spanische Insel La Gomera.
Aber der Reihe nach: Nach der Hauptschule, die Sandra Bodenmiller in Wangen absolvierte, begann sie eine Ausbildung als Altenpflegerin. Doch nach anderthalb Jahren musste sie diese abbrechen, denn sie war schwanger. Mehr noch: Mit dem Vater des Kindes entschloss sie sich, nach La Gomera auszuwandern. Dort kam ihre Tochter zur Welt, dort lebte die junge Familie drei Jahre lang. Bis es zur Trennung kam und Sandra Bodenmiller zu ihren Eltern nach Wangen zurückkehrte.
Es folgte die Zeit als alleinerziehende Mutter. An die Fortsetzung der Ausbildung war nicht zu denken. „Ich hatte Hilfsjobs in der Gastronomie“, erinnert sie sich. Später begann sie, in einer Kunststofffabrik zu arbeiten, „zunächst am Band und in der Nachtschicht, später im Lager und am Ende in der Qualitätssicherung“.
Doch sie wusste: Ihr fehlt eine grundlegende Ausbildung. Trotz des innerbetrieblichen Aufstiegs war ihr klar: „Wenn ich diese Stelle verliere, muss ich immer wieder von unten anfangen.“Deshalb hatte Sandra Bodenmiller eines immer im Hinterkopf: Doch noch eine Lehre zu absolvieren.
Konkret wurde dieser Gedanke, als ihre Tochter das Abitur in der Tasche hatte und ein Studium begann. Der heute 41-Jährigen war schnell klar: „Jetzt oder nie.“Und sie wusste, dass sie einen Beruf lernen wollte, der ihr das Arbeiten an der frischen Luft ermöglicht, andererseits auch den Umgang mit Kunden. Ein Bekannter machte sie auf den Kaminkehrer-beruf aufmerksam, sie machte ein Praktikum und wusste danach: „Das ist es.“
Prompt hörte sie aus der Verwandtschaft, dass ein Kaminkehrer in Bad Grönenbach Nachwuchs
suchte. Sie bewarb sich, bekam den Ausbildungsplatz und pendelte täglich. Doch jeden Tag fast anderthalb Stunden Arbeitsweg zu haben, wurde ihr dann doch zu viel. Nach der Zwischenprüfung wechselte sie zu Joachim Baur. Der Gestratzer ist für den Kehrbezirk in Lindenberg und Scheidegg zuständig. Auch er suchte dringend nach Unterstützung – und ist begeistert von der 41-Jährigen. Klar ist beiden: Die im Sommer anstehende Abschlussprüfung soll nicht das Ende
der Zusammenarbeit markieren. „Sie darf mir nicht abhauen“, sagt Baur.
Das will Sandra Bodenmiller auch gar nicht. Sie schätzt ihren neuen Beruf. Der Arbeitstag beginnt dabei mit einer morgendlichen Besprechung in der Werkstatt. Dann geht es zu den Kunden. Je nach Wetter stehen Arbeiten auf dem Dach, das Kehren der Kamine oder auch Messungen der Heizungsanlagen an. Baur schätzt die Entlastung, denn längst ist der Kaminkehrer nicht
nur für den Brandschutz zuständig, sondern auch als unabhängiger Berater für den Heizungsbau geschätzt. Eine Aufgabe, die eines Tages auch auf Sandra Bodenmiller zukommen könnte, wenn sie ihrer Ausbildung die Meisterprüfung und eine entsprechende Zusatzqualifikation folgen lässt.
„Alles der Reihe nach“, sagt die 41-Jährige, die bislang nur positive Erfahrungen in ihrem neuen Beruf gesammelt hat. Dass sie eine Frau ist, ist indes nirgendwo ein Thema. Nicht für Joachim
Baur, aber auch nicht für ihre Kunden. Die freuen sich auch, wenn sie kommt, denn das Image des glücksbringenden Kaminkehrers gibt es bis heute.
In der Berufsschule in München ist Bodenmiller die Älteste in ihrer Klasse. Das sei grundsätzlich kein Problem gewesen. Allerdings sei es ihr schon schwer gefallen, wieder in einen Schulalltag zu finden – nach mehr als 20 Jahren Pause. Doch es ist ihr erfolgreich gelungen. Nur Einser und Zweier stehen im Zeugnis.