„Man kann nicht alles mit Gesetzen und Verboten lösen“
Die bayerische Grünen-bundestagsabgeordnete Tessa Ganserer warnt vor Verbotspolitik und Populismus
- Viele reden über Tessa Ganserer, nur wenige mit der Grünen-politikerin. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Ganserer über Windkraft, die Corona-impfung und Elfenbeintürme gesprochen.
Frau Ganserer, immer mehr Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr vertreten, immer mehr Menschen betrachten Abgeordnete als weltfremde Menschen, die die wirklichen Probleme und Existenzsorgen der Menschen nicht kennen und stattdessen aus einem Elfenbeinturm heraus regieren. Stimmt das?
Das ist sehr vereinfacht ausgedrückt von Ihnen, und das stimmt so auch nicht. Viele Abgeordnete wissen ganz genau und auch aus eigener Erfahrung, wie hart das Leben sein kann. Und auch, was harte Arbeit auch außerhalb der Politik bedeutet.
Aha. Wissen Sie es denn aus eigener Erfahrung?
Ich bin gelernte Forstwirtin und habe auch im Garten- und Landschaftsbau gearbeitet. Glauben Sie mir, das ist ein echter Knochenjob. Sie arbeiten bei jedem Wetter, egal ob bei Regen, Schnee oder auch bei 35 Grad in der prallen Sonne. Da kommt man schon regelmäßig mit einem Sonnenbrand nach Hause. Oder ist so durchgefroren, dass es wirklich nicht mehr schön ist. Aber erstens habe ich den Job sehr gern gemacht und zweitens war es für mich auch alternativlos.
Wieso?
Ich hab mein Fachabitur im zweiten Bildungsweg gemacht und wollte unbedingt studieren. Mir war aber klar, dass ich keine finanzielle Unterstützung von meinen Eltern bekommen werde. Also musste ich erst mal Geld verdienen, um überhaupt mit dem Studium anfangen zu können. Und auch während des Studiums bin ich immer arbeiten gegangen. BAFÖG habe ich natürlich auch bekommen, trotzdem musste ich eisern sparen und nebenher arbeiten.
Dass ich immer knapp bei Kasse war, hatte aber auch einen riesigen Vorteil. Denn so war für mich von Anfang an klar: Wenn ich studiere, dann muss ich das auch ordentlich durchziehen. Ein jahrelanges, gemütliches Studierendenleben konnte ich mir einfach nicht leisten. Das war ein sehr gesunder Antrieb. Und es hat ja auch funktioniert, ich habe mein Studium der Wald- und Forstwirtschaft an der Fachhochschule Weihenstephan abgeschlossen.
Sind Sie deshalb auch bei den Grünen gelandet, wegen Ihrer Liebe zu Wäldern?
Auch, aber nicht nur. Ich durfte für meine Fraktion im bayerischen Landtag Wald- und Forstpolitik machen. Es war schon toll, in dieser Zeit hatte ich das schönste Revier und war für den ganzen Wald in Bayern zuständig.
Dass Wälder heutzutage abgeholzt werden, um Platz für Windräder zu schaffen – tut Ihnen das im Innern dann nicht weh?
Natürlich findet hier ein Eingriff statt, und natürlich mussten wir hier Kompromisse eingehen, die für uns Grüne und auch für mich als Umweltpolitikerin nicht einfach waren. Etwa, dass die Genehmigungsverfahren im Sinne eines schnelleren Ausbaus der Windkraft vereinfacht wurden und es dann natürlich nicht mehr so umfassende und teils scharfe Prüfungen jedes einzelnen Standortes gibt. Aber dieses Zurücknehmen der Schutzhürden war notwendig, damit wir beim Ausbau in dem Maße, wie wir ihn benötigen, aufholen können. Außerdem ist schon bezeichnend, dass ich von denen, die da so besonders laut und schrill gegen Windenergie im Wald heulen, plötzlich gar nichts mehr höre, wenn es um andere Gründe geht, für die Wälder abgeholzt werden sollen. Ein Beispiel ist hier der Bau von neuen Autobahnen, da werden ja riesige Gebiete nicht nur abgeholzt, sondern buchstäblich zerschnitten. Das stört die Windkraftgegner dann plötzlich nicht mehr. Zudem gibt es eine viel größere Bedrohung für unsere Wälder als Windräder.
Die da wäre?
Die drohende zunehmende Erderhitzung. Wir haben jetzt schon eine Klimaveränderung, die in unseren Wäldern verheerende Spuren hinterlässt. Schauen Sie mal in den Harz. Schauen Sie sich andere Mittelgebirgsregionen an, wo teilweise auf Hunderten von Hektar eine komplette Entwaldung stattgefunden hat. Unsere Wälder leiden an Hitze und Trockenheit und an der zunehmenden Massenvermehrung von Schadinsekten. Und um diese Folgen des Klimawandels in den Griff zu kriegen, müssen wir weg von den fossilen Energien. Dafür benötigen wir einen Ausbau der Erneuerbaren auch im eigenen Land. Und wenn die Windkraftgegner hierzu plötzlich gar nichts mehr sagen, dann könnte man schon meinen, dass es einigen – nicht allen – dieser Menschen in Wahrheit um etwas ganz anderes geht.
Worum geht es diesen Menschen Ihrer Meinung nach?
Ich sage mal so: Es gibt nicht wenige Menschen, auch in der Politik, die haben begriffen, dass man mit schrillen Tönen leichter wahrgenommen wird. Wenn es aber immer lauter und schriller wird, kann das dazu verleiten, Diskussionen oder Argumente zu verkürzen und zu vereinfachen. Und dann ist es nur noch ein schmaler Grat zum Populismus, bei dem der Bogen ganz schnell überspannt ist. Als Nächstes hat man dann derart verhärtete Fronten, bei denen man sich nicht mehr aufeinander zubewegen kann. Und das, finde ich, ist allgemein eine echte Gefahr für die Demokratie und für einen wirklichen demokratischen Diskurs.
Die Diskussion um Windräder ist eine Gefahr für die Demokratie?
Sie wissen schon, was ich meine. Diese Verhaltensweisen, von denen ich gerade gesprochen habe, die gibt es ja in ganz vielen Bereichen des menschlichen Zusammenlebens. Nehmen Sie etwa den Diskurs um die berechtigten Forderungen nach Selbstbestimmung für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und binäre Menschen. So wie sich hier manche positionieren und mit einer Vehemenz agieren, da ist es meiner Meinung nach ganz offensichtlich, dass es diesen Menschen in erster Linie gar nicht um die Sache als solche geht. Sondern darum, die Stimmung aufzuheizen, Hass zu säen, Unmut zu verbreiten und letztlich die Gesellschaft zu spalten. Angst und Hass sind sehr erfolgreiche und wirksame Machtinstrumente. Es ist ein sehr perfides Spiel und es ist leider nur sehr schwierig, dagegen vorzugehen. Die Leute, die sich von der Angst haben einfangen lassen, die sind nur noch sehr schwer mit Sachargumenten zu erreichen. Und transgeschlechtliche Menschen sind hier ganz besonders im Fokus.
Warum?
Weil sie eine noch kleinere Minderheit sind als andere queere Menschen, es gibt weitaus weniger transgeschlechtliche Menschen als etwa Schwule und Lesben. Je kleiner die Gruppe, desto angreifbarer ist sie, desto leichter lässt sie sich zum Sündenbock machen. Und zugleich ist es auch schwieriger, Vorbehalte, Vorurteile oder auch Ängste abzubauen, wenn es wenig bis gar keine Berührungspunkte gibt. Es ist halt für viele heute erst einmal suspekt, weil die wenigsten Menschen einen persönlichen Kontakt zu transgeschlechtlichen Menschen haben. Die meisten Menschen kennen ganz einfach niemanden in ihrem Personenkreis, der trans ist. Und dann gibt es Kräfte im politischen Wertekanon, die versuchen, das für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
Das ist leider eine gesellschaftliche Entwicklung, die wir momentan auf der ganzen Welt beobachten müssen. Dass rückwärtsgewandte, konservative Kräfte in den letzten Jahren lauter und wahrnehmbarer geworden sind und in manchen Ländern sogar zum Rückbau der Rechte geführt haben. Wenn wir nicht aufpassen und uns weiter für unsere Rechte einsetzen, dann können wir auch das wieder verlieren, was wir erreicht haben.
An anderer Stelle haben Sie sich für die Rechte einer ganz anderen Minderheit eingesetzt. Sie haben – anders als die überwältigende Mehrheit Ihrer grünen Parteikollegen – gegen eine allgemeine Impfpflicht gestimmt. Warum?
Ich habe mich sehr genau mit den Diskussionen und den Gesetzgebungsprozessen beschäftigt. Und am Ende waren da für mich viele Fragezeichen, was den hundertprozentigen Schutz durch Impfungen anbelangt. Und es hat sich dann ja auch abgezeichnet, dass sich Menschen trotz zweifacher oder auch weiterer Booster-impfungen mit Corona angesteckt haben und auch an Corona erkrankt sind. Ich selber bin mehrfach geimpft und auch überzeugt, dass die Impfung sinnvoll ist und hilft, die Schwere der Krankheitsverläufe einzuschränken. Aber sie bietet eben keinen hundertprozentigen Schutz.
Ein Impfzwang ist für mich aber ein sehr intensiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Menschen und muss deswegen äußerst gut begründet sein. Und im Fall der Corona-impfung war die Begründung für mich einfach nicht ausreichend. Ich wäre für eine verpflichtende Impfberatung gewesen, in der Hoffnung, dass sich dann mehr Menschen vom Nutzen der Impfung überzeugen lassen. Das ist grundsätzlich der bessere Ansatz, auch in anderen Bereichen: Menschen von etwas zu überzeugen, statt sie mit Gesetzen zu etwas zu zwingen. Wir können die gesellschaftspolitischen Probleme, die wir ohne Zweifel haben, nicht alle mit Gesetzen und Verboten lösen. Das wird nicht klappen.
Und wie ist das dann zu schaffen?
Es ist wie in einer großen Firma. Eine gute Führungskraft zeichnet sich dadurch aus, Menschen zu ermutigen, Menschen zu bestärken und so mitzunehmen. Und den Menschen ein ehrliches und realistisches Bild vom Istzustand zu geben. Wir werden zum Beispiel lernen müssen, mit den Folgen des Klimawandels umgehen zu müssen, ganz egal, was wir alles anstellen. Da müssen wir uns ja jetzt schon anpassen, wenn es in der Stadt im Hochsommer kaum mehr auszuhalten ist, weil alles asphaltiert ist, und sich die Stadt so erhitzt, dass sie nachts nicht mehr abkühlt. Aber deswegen kann ich doch nicht resignieren, alles schwarzmalen und sagen: Die Herausforderungen sind so groß, das schaffen wir eh nicht mehr. Ich muss die Leute ermutigen, statt ihnen Angst einzujagen. Angst war schon immer ein ganz schlechter Ratgeber.