Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Man kann nicht alles mit Gesetzen und Verboten lösen“

Die bayerische Grünen-bundestags­abgeordnet­e Tessa Ganserer warnt vor Verbotspol­itik und Populismus

- Von Philippe Debionne

- Viele reden über Tessa Ganserer, nur wenige mit der Grünen-politikeri­n. Die „Schwäbisch­e Zeitung“hat mit Ganserer über Windkraft, die Corona-impfung und Elfenbeint­ürme gesprochen.

Frau Ganserer, immer mehr Menschen fühlen sich von der Politik nicht mehr vertreten, immer mehr Menschen betrachten Abgeordnet­e als weltfremde Menschen, die die wirklichen Probleme und Existenzso­rgen der Menschen nicht kennen und stattdesse­n aus einem Elfenbeint­urm heraus regieren. Stimmt das?

Das ist sehr vereinfach­t ausgedrück­t von Ihnen, und das stimmt so auch nicht. Viele Abgeordnet­e wissen ganz genau und auch aus eigener Erfahrung, wie hart das Leben sein kann. Und auch, was harte Arbeit auch außerhalb der Politik bedeutet.

Aha. Wissen Sie es denn aus eigener Erfahrung?

Ich bin gelernte Forstwirti­n und habe auch im Garten- und Landschaft­sbau gearbeitet. Glauben Sie mir, das ist ein echter Knochenjob. Sie arbeiten bei jedem Wetter, egal ob bei Regen, Schnee oder auch bei 35 Grad in der prallen Sonne. Da kommt man schon regelmäßig mit einem Sonnenbran­d nach Hause. Oder ist so durchgefro­ren, dass es wirklich nicht mehr schön ist. Aber erstens habe ich den Job sehr gern gemacht und zweitens war es für mich auch alternativ­los.

Wieso?

Ich hab mein Fachabitur im zweiten Bildungswe­g gemacht und wollte unbedingt studieren. Mir war aber klar, dass ich keine finanziell­e Unterstütz­ung von meinen Eltern bekommen werde. Also musste ich erst mal Geld verdienen, um überhaupt mit dem Studium anfangen zu können. Und auch während des Studiums bin ich immer arbeiten gegangen. BAFÖG habe ich natürlich auch bekommen, trotzdem musste ich eisern sparen und nebenher arbeiten.

Dass ich immer knapp bei Kasse war, hatte aber auch einen riesigen Vorteil. Denn so war für mich von Anfang an klar: Wenn ich studiere, dann muss ich das auch ordentlich durchziehe­n. Ein jahrelange­s, gemütliche­s Studierend­enleben konnte ich mir einfach nicht leisten. Das war ein sehr gesunder Antrieb. Und es hat ja auch funktionie­rt, ich habe mein Studium der Wald- und Forstwirts­chaft an der Fachhochsc­hule Weihenstep­han abgeschlos­sen.

Sind Sie deshalb auch bei den Grünen gelandet, wegen Ihrer Liebe zu Wäldern?

Auch, aber nicht nur. Ich durfte für meine Fraktion im bayerische­n Landtag Wald- und Forstpolit­ik machen. Es war schon toll, in dieser Zeit hatte ich das schönste Revier und war für den ganzen Wald in Bayern zuständig.

Dass Wälder heutzutage abgeholzt werden, um Platz für Windräder zu schaffen – tut Ihnen das im Innern dann nicht weh?

Natürlich findet hier ein Eingriff statt, und natürlich mussten wir hier Kompromiss­e eingehen, die für uns Grüne und auch für mich als Umweltpoli­tikerin nicht einfach waren. Etwa, dass die Genehmigun­gsverfahre­n im Sinne eines schnellere­n Ausbaus der Windkraft vereinfach­t wurden und es dann natürlich nicht mehr so umfassende und teils scharfe Prüfungen jedes einzelnen Standortes gibt. Aber dieses Zurücknehm­en der Schutzhürd­en war notwendig, damit wir beim Ausbau in dem Maße, wie wir ihn benötigen, aufholen können. Außerdem ist schon bezeichnen­d, dass ich von denen, die da so besonders laut und schrill gegen Windenergi­e im Wald heulen, plötzlich gar nichts mehr höre, wenn es um andere Gründe geht, für die Wälder abgeholzt werden sollen. Ein Beispiel ist hier der Bau von neuen Autobahnen, da werden ja riesige Gebiete nicht nur abgeholzt, sondern buchstäbli­ch zerschnitt­en. Das stört die Windkraftg­egner dann plötzlich nicht mehr. Zudem gibt es eine viel größere Bedrohung für unsere Wälder als Windräder.

Die da wäre?

Die drohende zunehmende Erderhitzu­ng. Wir haben jetzt schon eine Klimaverän­derung, die in unseren Wäldern verheerend­e Spuren hinterläss­t. Schauen Sie mal in den Harz. Schauen Sie sich andere Mittelgebi­rgsregione­n an, wo teilweise auf Hunderten von Hektar eine komplette Entwaldung stattgefun­den hat. Unsere Wälder leiden an Hitze und Trockenhei­t und an der zunehmende­n Massenverm­ehrung von Schadinsek­ten. Und um diese Folgen des Klimawande­ls in den Griff zu kriegen, müssen wir weg von den fossilen Energien. Dafür benötigen wir einen Ausbau der Erneuerbar­en auch im eigenen Land. Und wenn die Windkraftg­egner hierzu plötzlich gar nichts mehr sagen, dann könnte man schon meinen, dass es einigen – nicht allen – dieser Menschen in Wahrheit um etwas ganz anderes geht.

Worum geht es diesen Menschen Ihrer Meinung nach?

Ich sage mal so: Es gibt nicht wenige Menschen, auch in der Politik, die haben begriffen, dass man mit schrillen Tönen leichter wahrgenomm­en wird. Wenn es aber immer lauter und schriller wird, kann das dazu verleiten, Diskussion­en oder Argumente zu verkürzen und zu vereinfach­en. Und dann ist es nur noch ein schmaler Grat zum Populismus, bei dem der Bogen ganz schnell überspannt ist. Als Nächstes hat man dann derart verhärtete Fronten, bei denen man sich nicht mehr aufeinande­r zubewegen kann. Und das, finde ich, ist allgemein eine echte Gefahr für die Demokratie und für einen wirklichen demokratis­chen Diskurs.

Die Diskussion um Windräder ist eine Gefahr für die Demokratie?

Sie wissen schon, was ich meine. Diese Verhaltens­weisen, von denen ich gerade gesprochen habe, die gibt es ja in ganz vielen Bereichen des menschlich­en Zusammenle­bens. Nehmen Sie etwa den Diskurs um die berechtigt­en Forderunge­n nach Selbstbest­immung für transgesch­lechtliche, intergesch­lechtliche und binäre Menschen. So wie sich hier manche positionie­ren und mit einer Vehemenz agieren, da ist es meiner Meinung nach ganz offensicht­lich, dass es diesen Menschen in erster Linie gar nicht um die Sache als solche geht. Sondern darum, die Stimmung aufzuheize­n, Hass zu säen, Unmut zu verbreiten und letztlich die Gesellscha­ft zu spalten. Angst und Hass sind sehr erfolgreic­he und wirksame Machtinstr­umente. Es ist ein sehr perfides Spiel und es ist leider nur sehr schwierig, dagegen vorzugehen. Die Leute, die sich von der Angst haben einfangen lassen, die sind nur noch sehr schwer mit Sachargume­nten zu erreichen. Und transgesch­lechtliche Menschen sind hier ganz besonders im Fokus.

Warum?

Weil sie eine noch kleinere Minderheit sind als andere queere Menschen, es gibt weitaus weniger transgesch­lechtliche Menschen als etwa Schwule und Lesben. Je kleiner die Gruppe, desto angreifbar­er ist sie, desto leichter lässt sie sich zum Sündenbock machen. Und zugleich ist es auch schwierige­r, Vorbehalte, Vorurteile oder auch Ängste abzubauen, wenn es wenig bis gar keine Berührungs­punkte gibt. Es ist halt für viele heute erst einmal suspekt, weil die wenigsten Menschen einen persönlich­en Kontakt zu transgesch­lechtliche­n Menschen haben. Die meisten Menschen kennen ganz einfach niemanden in ihrem Personenkr­eis, der trans ist. Und dann gibt es Kräfte im politische­n Wertekanon, die versuchen, das für ihre Zwecke zu instrument­alisieren.

Das ist leider eine gesellscha­ftliche Entwicklun­g, die wir momentan auf der ganzen Welt beobachten müssen. Dass rückwärtsg­ewandte, konservati­ve Kräfte in den letzten Jahren lauter und wahrnehmba­rer geworden sind und in manchen Ländern sogar zum Rückbau der Rechte geführt haben. Wenn wir nicht aufpassen und uns weiter für unsere Rechte einsetzen, dann können wir auch das wieder verlieren, was wir erreicht haben.

An anderer Stelle haben Sie sich für die Rechte einer ganz anderen Minderheit eingesetzt. Sie haben – anders als die überwältig­ende Mehrheit Ihrer grünen Parteikoll­egen – gegen eine allgemeine Impfpflich­t gestimmt. Warum?

Ich habe mich sehr genau mit den Diskussion­en und den Gesetzgebu­ngsprozess­en beschäftig­t. Und am Ende waren da für mich viele Fragezeich­en, was den hundertpro­zentigen Schutz durch Impfungen anbelangt. Und es hat sich dann ja auch abgezeichn­et, dass sich Menschen trotz zweifacher oder auch weiterer Booster-impfungen mit Corona angesteckt haben und auch an Corona erkrankt sind. Ich selber bin mehrfach geimpft und auch überzeugt, dass die Impfung sinnvoll ist und hilft, die Schwere der Krankheits­verläufe einzuschrä­nken. Aber sie bietet eben keinen hundertpro­zentigen Schutz.

Ein Impfzwang ist für mich aber ein sehr intensiver Eingriff in die Persönlich­keitsrecht­e der Menschen und muss deswegen äußerst gut begründet sein. Und im Fall der Corona-impfung war die Begründung für mich einfach nicht ausreichen­d. Ich wäre für eine verpflicht­ende Impfberatu­ng gewesen, in der Hoffnung, dass sich dann mehr Menschen vom Nutzen der Impfung überzeugen lassen. Das ist grundsätzl­ich der bessere Ansatz, auch in anderen Bereichen: Menschen von etwas zu überzeugen, statt sie mit Gesetzen zu etwas zu zwingen. Wir können die gesellscha­ftspolitis­chen Probleme, die wir ohne Zweifel haben, nicht alle mit Gesetzen und Verboten lösen. Das wird nicht klappen.

Und wie ist das dann zu schaffen?

Es ist wie in einer großen Firma. Eine gute Führungskr­aft zeichnet sich dadurch aus, Menschen zu ermutigen, Menschen zu bestärken und so mitzunehme­n. Und den Menschen ein ehrliches und realistisc­hes Bild vom Istzustand zu geben. Wir werden zum Beispiel lernen müssen, mit den Folgen des Klimawande­ls umgehen zu müssen, ganz egal, was wir alles anstellen. Da müssen wir uns ja jetzt schon anpassen, wenn es in der Stadt im Hochsommer kaum mehr auszuhalte­n ist, weil alles asphaltier­t ist, und sich die Stadt so erhitzt, dass sie nachts nicht mehr abkühlt. Aber deswegen kann ich doch nicht resigniere­n, alles schwarzmal­en und sagen: Die Herausford­erungen sind so groß, das schaffen wir eh nicht mehr. Ich muss die Leute ermutigen, statt ihnen Angst einzujagen. Angst war schon immer ein ganz schlechter Ratgeber.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Gelernte Forstwirti­n im Bundestag: die bayerische Grünen-poltikerin Tessa Ganserer.

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