Grünen-kandidat niedergeschlagen
Mann aus Amtzell trägt blaues Auge davon – Jetzt herrscht Fassungslosigkeit
- Ein 37-jähriger Kommunalwahlkandidat von Bündnis 90/ Die Grünen ist am frühen Dienstagabend von einem Mann auf dem eigenen Grundstück bei Amtzell mit einem Faustschlag niedergestreckt worden. Zuvor soll er vom mutmaßlichen Täter wegen seiner politischen Einstellung mehrfach massiv beleidigt worden sein – unter anderem als „grüne F...“Im Raum steht deshalb jetzt nicht nur eine Straftat wegen Körperverletzung, sondern auch wegen „Beleidigung auf politischer Grundlage“. Der Staatsschutz der Kriminalpolizei ermittelt.
Die schmerzlichen Spuren der Ereignisse vom Dienstagabend sind dem 37-Jährigen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Das rechte Auge ist blutunterlaufen, das Jochbein angeschwollen: Er hat bei dem Faustschlag ein klassisches Veilchen erlitten.
Schlimmer ist für ihn aber etwas ganz anderes: dass er von einem ihm eigener Aussage zufolge völlig Unbekannten wegen seiner politischen Einstellung nicht nur persönlich angegangen, sondern auch beleidigt, geschlagen und verletzt wurde – und das auf dem eigenen Grundstück.
Für Grünen-landesvorsitzende Lena Schwelling ist das eine neue Dimension. Sie sagt: Einen derartigen, offensichtlich politisch motivierten Angriff auf ein Mitglied oder einen Sympathisanten der eigenen Partei habe es in Badenwürttemberg noch nicht gegeben – allen Anfeindungen der letzten Zeit gegen prominente aber auch eher unbekannte Grüne zum Trotz.
Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“wirkt der 37-Jährige zwei Tage nach dem Angriff auf ihn gefasst, schildert sachlich aus seiner Sicht das am Dienstagabend Geschehene. Es war gegen 17 Uhr und er befand er sich gerade vor dem Haus der Hofstelle in einer ländlichen Gegend bei Amtzell, als der ihm unbekannte Mann zusammen mit einer Frau die nahe Straße entlang spazierte. Von dort habe der dann völlig unvermittelt die Beleidigungen ausgestoßen – so wüste, dass sie in der Zeitung nicht komplett zitierfähig sind.
Anschließend betrat der Fremde, laut Polizei ist er 57 Jahre alt, das Hofgrundstück und habe ihm unvermittelt und ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen, berichtet der 37-Jährige weiter. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, vor allem zum Schutz der eigenen Person.
Jetzt fragt er sich, weshalb der Angriff gerade ihm gegolten habe. Er, der bisher bei den Grünen nicht einmal aktiv gewesen sei, weder Ämter noch Mandate bekleidete. Erst am Freitag vergangener Woche trat er politisch in Erscheinung, als die Partei für die Anfang Juni anstehenden Kommunalwahlen erstmals eine eigene Liste für den Amtzeller Gemeinderat aufstellte und er sich als Kandidat nominieren ließ.
Klaus Häring-becker kann es nicht fassen. Der Vorsitzende des Wangener Kreisverbands von
Bündnis 90/Die Grünen sieht rote Linien längst überschritten. In der Region zuerst, als Landwirte gegen Ende vergangenen Jahres Gummistiefel, Transparente und Unrat vor den Wohnhäusern dreier Parteimitglieder von SPD und Grünen in Wangen abstellten. Nochmal mehr, als die Grünen ihren Politischen Aschermittwoch in Biberach wegen entgleister Proteste von Bauern und anderen kurzfristig absagen mussten. Mit dem mutmaßlichen Angriff auf den 37-jährigen Gemeinderatskandidaten hätten die politisch motivierten Angriffe jetzt aber eine ganz neue Dimension erreicht. .
Mutmaßlich deshalb, weil der in Frage kommende Täter gegenüber der Polizei die Darstellung des 37-Jährigen nicht teilte. Laut einer Sprecherin habe er bei der ersten Aufnahme des Tatbestands keine konkreten Angaben zum Vorfall gemacht. Zu der war es gekommen, weil das Opfer dem 57Jährigen nach dem Angriff bis zu einer Wiese an einem Waldrand gefolgt war und zwischenzeitlich per Notruf die Beamten alarmiert hatte, wie er im Gespräch schildert.
Moralische Unterstützung habe er seit Dienstag vielfach in Amtzell, von Nachbarn, Freunden und Grünen-mitgliedern erfahren. Von der eigenen Partei ist darüber hinaus praktische angekündigt. Lena Schwelling erklärte am Freitag, der Kandidat werde bei der Suche nach einem patenten Rechtsanwalts unterstützt. Auch sie selbst, Stadträtin und ehemalige Ob-kandidatin in Ulm, wolle nach
Amtzell kommen. Die Landesvorsitzende gibt angesichts der Geschehnisse aber zu: „Wir sind etwas rat- und hilflos.“Schon im vergangenen Jahr wegen zunehmender Anfeindungen auf Mitglieder ins Leben gerufene Maßnahmen wie Deeskalationstrainings hülfen in bei einem solchen, bislang für unmöglich gehaltenen Vorfall nicht weiter.
Das sagt sie, auch weil man bis jetzt in der Landespartei den Eindruck gehabt habe, dass es auf kommunalpolitischer Ebene noch vergleichsweise ruhig und sachlich zugehe. Anders als bei den Spitzenpolitikern der Grünen, die bekanntlich schon lange und oft wüsten Anfeindungen ausgesetzt sind – nicht nur beim ausgefallenen Politischen Aschermittwoch in Biberach. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hält seine Partei inzwischen gar für den „Prügelknaben der Nation“.
Klaus Häring-becker spürt den Gegenwind indes sehr wohl schon seit einiger Zeit auf örtlicher Ebene. Bereits bei vorangegangenen Wahlen habe er teils „hasserfüllte Menschen“an Wahlkampfständen erlebt. Eine Diskussion mit ihnen sei nicht möglich gewesen. Auch deshalb stellt der Wangener fest: „Das politische Klima ist in letzter Zeit extrem vergiftet.“
Darin sieht er eine deutliche Gefahr für die Demokratie, die freiheitliche Grundordnung und die Gesellschaft als Ganzes. An den niedergestreckten 37-Jährigen gerichtet, sagt er: „Der Schlag in Dein Gesicht war ein Schlag gegen uns alle.“