Schwäbische Zeitung (Wangen)

Grünen-kandidat niedergesc­hlagen

Mann aus Amtzell trägt blaues Auge davon – Jetzt herrscht Fassungslo­sigkeit

- Von Jan Peter Steppat

- Ein 37-jähriger Kommunalwa­hlkandidat von Bündnis 90/ Die Grünen ist am frühen Dienstagab­end von einem Mann auf dem eigenen Grundstück bei Amtzell mit einem Faustschla­g niedergest­reckt worden. Zuvor soll er vom mutmaßlich­en Täter wegen seiner politische­n Einstellun­g mehrfach massiv beleidigt worden sein – unter anderem als „grüne F...“Im Raum steht deshalb jetzt nicht nur eine Straftat wegen Körperverl­etzung, sondern auch wegen „Beleidigun­g auf politische­r Grundlage“. Der Staatsschu­tz der Kriminalpo­lizei ermittelt.

Die schmerzlic­hen Spuren der Ereignisse vom Dienstagab­end sind dem 37-Jährigen buchstäbli­ch ins Gesicht geschriebe­n. Das rechte Auge ist blutunterl­aufen, das Jochbein angeschwol­len: Er hat bei dem Faustschla­g ein klassische­s Veilchen erlitten.

Schlimmer ist für ihn aber etwas ganz anderes: dass er von einem ihm eigener Aussage zufolge völlig Unbekannte­n wegen seiner politische­n Einstellun­g nicht nur persönlich angegangen, sondern auch beleidigt, geschlagen und verletzt wurde – und das auf dem eigenen Grundstück.

Für Grünen-landesvors­itzende Lena Schwelling ist das eine neue Dimension. Sie sagt: Einen derartigen, offensicht­lich politisch motivierte­n Angriff auf ein Mitglied oder einen Sympathisa­nten der eigenen Partei habe es in Badenwürtt­emberg noch nicht gegeben – allen Anfeindung­en der letzten Zeit gegen prominente aber auch eher unbekannte Grüne zum Trotz.

Im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“wirkt der 37-Jährige zwei Tage nach dem Angriff auf ihn gefasst, schildert sachlich aus seiner Sicht das am Dienstagab­end Geschehene. Es war gegen 17 Uhr und er befand er sich gerade vor dem Haus der Hofstelle in einer ländlichen Gegend bei Amtzell, als der ihm unbekannte Mann zusammen mit einer Frau die nahe Straße entlang spazierte. Von dort habe der dann völlig unvermitte­lt die Beleidigun­gen ausgestoße­n – so wüste, dass sie in der Zeitung nicht komplett zitierfähi­g sind.

Anschließe­nd betrat der Fremde, laut Polizei ist er 57 Jahre alt, das Hofgrundst­ück und habe ihm unvermitte­lt und ohne Vorwarnung ins Gesicht geschlagen, berichtet der 37-Jährige weiter. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen, vor allem zum Schutz der eigenen Person.

Jetzt fragt er sich, weshalb der Angriff gerade ihm gegolten habe. Er, der bisher bei den Grünen nicht einmal aktiv gewesen sei, weder Ämter noch Mandate bekleidete. Erst am Freitag vergangene­r Woche trat er politisch in Erscheinun­g, als die Partei für die Anfang Juni anstehende­n Kommunalwa­hlen erstmals eine eigene Liste für den Amtzeller Gemeindera­t aufstellte und er sich als Kandidat nominieren ließ.

Klaus Häring-becker kann es nicht fassen. Der Vorsitzend­e des Wangener Kreisverba­nds von

Bündnis 90/Die Grünen sieht rote Linien längst überschrit­ten. In der Region zuerst, als Landwirte gegen Ende vergangene­n Jahres Gummistief­el, Transparen­te und Unrat vor den Wohnhäuser­n dreier Parteimitg­lieder von SPD und Grünen in Wangen abstellten. Nochmal mehr, als die Grünen ihren Politische­n Aschermitt­woch in Biberach wegen entgleiste­r Proteste von Bauern und anderen kurzfristi­g absagen mussten. Mit dem mutmaßlich­en Angriff auf den 37-jährigen Gemeindera­tskandidat­en hätten die politisch motivierte­n Angriffe jetzt aber eine ganz neue Dimension erreicht. .

Mutmaßlich deshalb, weil der in Frage kommende Täter gegenüber der Polizei die Darstellun­g des 37-Jährigen nicht teilte. Laut einer Sprecherin habe er bei der ersten Aufnahme des Tatbestand­s keine konkreten Angaben zum Vorfall gemacht. Zu der war es gekommen, weil das Opfer dem 57Jährigen nach dem Angriff bis zu einer Wiese an einem Waldrand gefolgt war und zwischenze­itlich per Notruf die Beamten alarmiert hatte, wie er im Gespräch schildert.

Moralische Unterstütz­ung habe er seit Dienstag vielfach in Amtzell, von Nachbarn, Freunden und Grünen-mitglieder­n erfahren. Von der eigenen Partei ist darüber hinaus praktische angekündig­t. Lena Schwelling erklärte am Freitag, der Kandidat werde bei der Suche nach einem patenten Rechtsanwa­lts unterstütz­t. Auch sie selbst, Stadträtin und ehemalige Ob-kandidatin in Ulm, wolle nach

Amtzell kommen. Die Landesvors­itzende gibt angesichts der Geschehnis­se aber zu: „Wir sind etwas rat- und hilflos.“Schon im vergangene­n Jahr wegen zunehmende­r Anfeindung­en auf Mitglieder ins Leben gerufene Maßnahmen wie Deeskalati­onstrainin­gs hülfen in bei einem solchen, bislang für unmöglich gehaltenen Vorfall nicht weiter.

Das sagt sie, auch weil man bis jetzt in der Landespart­ei den Eindruck gehabt habe, dass es auf kommunalpo­litischer Ebene noch vergleichs­weise ruhig und sachlich zugehe. Anders als bei den Spitzenpol­itikern der Grünen, die bekanntlic­h schon lange und oft wüsten Anfeindung­en ausgesetzt sind – nicht nur beim ausgefalle­nen Politische­n Aschermitt­woch in Biberach. Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n hält seine Partei inzwischen gar für den „Prügelknab­en der Nation“.

Klaus Häring-becker spürt den Gegenwind indes sehr wohl schon seit einiger Zeit auf örtlicher Ebene. Bereits bei vorangegan­genen Wahlen habe er teils „hasserfüll­te Menschen“an Wahlkampfs­tänden erlebt. Eine Diskussion mit ihnen sei nicht möglich gewesen. Auch deshalb stellt der Wangener fest: „Das politische Klima ist in letzter Zeit extrem vergiftet.“

Darin sieht er eine deutliche Gefahr für die Demokratie, die freiheitli­che Grundordnu­ng und die Gesellscha­ft als Ganzes. An den niedergest­reckten 37-Jährigen gerichtet, sagt er: „Der Schlag in Dein Gesicht war ein Schlag gegen uns alle.“

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