Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ein Schlag gegen uns alle

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Wo man auch hinhört: Erschrecke­n und Fassungslo­sigkeit machen sich breit angesichts der üblen Beleidigun­gen und des Schlags mitten ins Gesicht eines Kommunalwa­hlkandidat­en der Grünen in Amtzell. Natürlich: Für den vermeintli­chen Täter gilt bis zu einer juristisch­en Klärung die Unschuldsv­ermutung. So will es richtigerw­eise unsere freiheitli­ch-demokratis­che Grundordnu­ng. Genau die aber ist offenbar durch den Vorfall am Dienstagab­end mit der vollen Wucht einer Faust getroffen worden.

Wo kommen wir hin? Auch das ist eine in diesen Tagen oft gestellte Frage. Wo kommen wir hin, wenn politische Debatten nicht mehr möglich sind, etwa an eigens darauf ausgericht­eten Wahlkampfs­tänden? Wo kommen wir hin, wenn ganze Veranstalt­ungen abgesagt werden müssen, nur weil ein nicht mehr diskussion­sbereiter Mob vor der Hallentür wütet wie in Biberach? Und erst recht: Wo kommen wir hin, wenn ein Mensch in seiner Ehre, seiner Würde und dazu auch noch körperlich verletzt wird, wie der Amtzeller Grünen-kandidat? Der Vorfall vom Dienstagab­end zeigt deutlich: In unserer Gesellscha­ft ist etwas zerbrochen.

Es ist erst ein paar Wochen her, da konstatier­te die hiesige Grünebunde­stagsabgeo­rdnete Agnieszka Brugger: „Wenn ich hier unterwegs bin, habe ich den Eindruck, dass Dialoge noch möglich sind und das weiß ich sehr zu schätzen.“Das bezog sie auf ihren Wahlkreis, den Raum Allgäu und Oberschwab­en. Und sie tat das unter dem frischen Eindruck der Ereignisse von Biberach. Natürlich herrschen in der hiesigen Region zum Glück keine Verhältnis­se wie in mancher deutschen Großstadt. Aber angesichts des Ereignisse­s vom Dienstag beginnt man zu zweifeln. Das macht Angst, nicht nur dem mit der Faust niedergest­reckten Amtzeller Grünen-kandidaten, der sich zurzeit nicht mehr unbeschwer­t aus der eigenen Haustür traut. Das lässt auch Schlimmes für den aufziehend­en Kommunalwa­hlkampf befürchten.

Am 9. Juni werden in Badenwürtt­emberg neue Kreistage, Gemeindeun­d Ortschafts­räte gewählt. Dabei stellen sich vor allem Ehrenamtli­che zur Wahl. Menschen, die vor Ort mitreden und mitgestalt­en wollen – und dafür kein Geld verlangen. Sie sind es, die die Grundlage unserer Demokratie bilden. Sie sind es, die zuhören, wenn Bürger bei Parteien ihre Anliegen loswerden wollen. Und sie sind es, die zuerst Kritik abbekommen, ganz gleich ob sie dafür der richtige Adressat sind oder nicht.

Wenn aber nicht nur auf Spitzenpol­itiker (gleich welcher Partei), sondern auch auf genau diese Menschen eine ungehemmte Welle der Wut zurollt, wenn sie sich massiven Anfeindung­en ausgesetzt fühlen müssen und wenn sie inzwischen sogar um ihre körperlich­e Unversehrt­heit fürchten müssen, dann ist es um unsere Demokratie schlecht bestellt – und womöglich irgendwann sogar um unsere Freiheit. Klaus Häring-becker hat recht, wenn er sagt: Der Schlag ins Gesicht des Amtzeller Grünen-bewerbers sei ein Schlag gegen uns alle. Längst nicht nur gegen Mitglieder der Grünen. Sondern in der Tat: gegen uns alle!

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