Flaute am Bau – und kein Ende in Sicht?
Krise trifft jetzt Unternehmen aus der „zweiten und dritten“Reihe – Wie Experten die Lage einschätzen
- Der steile Sinkflug der Baukonjunktur hält an und trifft inzwischen auch Unternehmen aus zweiter und dritter Reihe – also jene, die selbst gar nicht in der Branche aktiv, wohl aber von ihr abhängig sind. Diehl Controls und Eisen Thiermann sind zwei Beispiele dafür aus Wangen. Doch wie steht es um die Lage tatsächlich? Was sind die Gründe für die Baumüdigkeit? Liegt es allein an gestiegenen Zinsen, die Träume von den eigenen vier Wänden vielfach platzen lassen? Die „Schwäbische Zeitung“beleuchtet die Lage in der Region und hat bei Experten nachgefragt.
Was ist in jüngster Zeit passiert?
Schon im vergangenen Jahr haben sich die Pleiten gehäuft, und auch im laufenden Jahr scheint es nicht besser zu werden: Die Insolvenzen von Rinker-bau in Ravensburg und Kuhn in Bad Wurzach sind zwei Beispiele aus dem Jahr 2023 für eine regionale, aber auch landesweite Entwicklung. Vor wenigen Wochen nun kündigten die Eigentümer des Wangener Familienbetriebs Eisen Thiermann gar die Liquidation und komplette Schließung ihre Betriebs zum 1. April an. Ein weiteres Warnsignal. Denn Thiermann begründete die schlechte Nachricht vor allem mit Auftragseinbrüchen am Bau in einer Größenordnung von gut einem Drittel. Dabei ist der Traditionsbetrieb „nur“Zulieferer.
Selbst die Ankündigung von Diehl Controls, in den kommenden Jahren mehr als 300 Stellen zu streichen und die Produktion ins Ausland zu verlagern, hat mit der Flaute am Bau zu tun. Zumindest teilweise. Denn der Hersteller von Steuerungskomponenten für elektronische Geräte sagte begründend unter anderem: Wenn weniger gebaut wird, trifft das auch ihn. Weil etwa weniger Wärmepumpen abgesetzt oder Kühlschränke produziert werden – und in beiden Gerätearten steckt häufig Diehl-technik aus Wangen.
Wie passen die Entwicklungen bei Diehl und Thiermann zusammen?
Holger Sonntag sieht zwischen den schlechten Nachrichten aus beiden hiesigen Unternehmen zumindest einen indirekten Zusammenhang – eben weil sie von
Konjunkturausschlägen am Bau abhängig sind. Nach oben oder – wie jetzt – deutlich nach unten. Generell hat der Wirtschaftsförderer aus Gesprächen eine branchenübergreifende Tendenz herausgehört: Unternehmen, die von der aktuellen Kaufzurückhaltung der Konsumenten abhängig sind, hätten eher Probleme als solche, die nicht auf die Kauflust bauen müssen.
Betrifft die Konjunkturflaute die ganze Baubranche?
Offensichtlich nicht. So sagt zum Beispiel Lothar Heine, Chef des 1991 gegründeten, gleichnamigen Amtzeller Unternehmens: „Es gibt derzeit große Unterschiede im Baubereich.“Alle, die sich spezialisiert haben, wie beispielsweise schlüsselfertige Hausbaufirmen oder Fertighaushersteller, hätten seiner Meinung nach Grund zu jammern. Der Wangener Bauunternehmer Gerald Fischbach sagt grundsätzlich: „Man merkt, dass ein starker Rückgang da ist.“Diesen spürt er vor allem bei Einfamilienhäusern, da tendiere die Auftragslage aktuell gegen null.
Das heißt unterm Strich: Vor allem der private Wohnungsbau ist offenbar am deutlichsten eingebrochen. Heine, selbst unter anderem im Bereich von Fertighäusern unterwegs, verdeutlicht: „Wo wir früher zehn Häuser gebaut haben, sind es jetzt noch zwei.“Das Amtzeller Unternehmen ist nach eigenem Bekunden aber zu rund 60 Prozent mit der Sanierung von Altbauten beschäftigt, nach Heines Einschätzung ein Markt mit riesigem Potenzial: „Im Schnitt werden 0,1 Prozent aller Gebäude im Jahr renoviert. Das heißt: Rein rechnerisch würde es bei diesem Tempo 1000 Jahre dauern, bis alle Häuser saniert sind.“Und ein Markt, der vielfältig ist, da Sanierungen zum Beispiel mit der Erneuerung von Fenstern beginne, über den Heizungsaustausch reiche und beim Fassadenanstrich ende.
Ähnlich sieht das auch Gerald Fischbach. Er stellt fest: Bei Sanierungen gebe es eine zunehmende Nachfrage. Der Bauunternehmer vermutet, dass dies mit der Bevölkerungsentwicklung zu tun hat. Sein Eindruck ist, dass derzeit verhältnismäßig viele Erben zum Zug kämen und dann eben „das Haus von der Oma oder den Eltern richten statt neu zu bauen“.
Und dann gibt es ja noch den Straßenbau – und der boomt zumindest im Raum Wangen, wo immer noch viel Arbeit in den Vorbereitungen für die Landesgartenschau steckt. So hat die Stadt aktuell sogar nach wie vor Probleme, alle Aufträge loszuwerden. Martin Jörg aus der Tiefbauverwaltung erklärte erst dieser Tage: Niemand habe sich gefunden, der den Kreisverkehr an der Ecke Lindauer-/zeppelinstraße in der Mitte mit Pflastersteinen versehen will oder kann.
Und wie sieht es beim Bau von Mehrfamilienhäusern aus?
Etwas besser. Fischbach kompensiert die Flaute bei Einfamilienhäusern zum Beispiel mit noch nicht abgearbeiteten Aufträgen für Mehrgeschosser. Bei Heine laufen in diesem Bereich drei Projekte in Amtzell, Lindau und Primisweiler – und das noch über einen Zeitraum von ein bis Jahren.
Allerdings scheuten Investoren derzeit den Einstieg in neue Großprojekte. Auch dafür gibt es ein Beispiel aus der Region: Die Baugenossenschaft Wangen stoppte im vergangenen Jahr ein Projekt für neue Sozialwohnungen in Kißlegg. Die Berechnungen ergaben keine wirtschaftliche Grundlage für das Projekt mehr – trotz der Aussicht auf großzügige Förderungen durch die Gemeinde. Apropos Kommunen: In Zeiten der Flaute kommt ihnen oft die Rolle des Konjunkturankurblers zu. Nach Einschätzung von Lothar Heine halten sich aber auch Städte und Gemeinden mit Aufträgen zurück: „Sie haben immer mehr Pflichtaufgaben und keinen Spielraum mehr, etwas zu tun.“
Was wünschen sich die Unternehmer von der „großen Politik“?
„Staatliche Anreize und vor allem Planungssicherheit“, sagt Lothar Heine. Er glaubt: Die Förderungen seien „viel zu individuell“angelegt – anstatt sie vielleicht auf niedrigerem Niveau, dafür aber verlässlicher und mehr Menschen
zugute lassen zu kommen. „Das ist auch ein Verunsicherungsfaktor“, sagt der Amtzeller – und nennt als Beispiel das letztjährige Förderprogramm des Verkehrsministeriums, das E-autos in Verbindung mit der Anschaffung einer Photovoltaikanlage und einer Wallbox fördern sollte.
Der Topf sei binnen eines Tages „leergeräumt“gewesen. „Die Leute aber wollen wissen, ob sie für etwas Geld ausgeben können und was es sie am Ende genau kostet. Sonst sparen sie mehr – und das bremst die Konjunktur ein“, so Heine.
Gerald Fischbach dreht den Spieß um: „Man kann nicht immer nur nach dem Staat fragen, der kann nicht alles richten. Ein Haus zu bauen, kostet Geld. Wenn ich das möchte, muss ich vielleicht auf etwas anderes verzichten“, sagt er und zieht dabei den Vergleich zu früheren Generationen. Die hätten in Hausbauzeiten den Gürtel sehr eng geschnallt, mit angepackt und den Urlaub dann eben vor der Haustür verbracht. Bauen, sagt er, sei nicht unbedingt teurer als vor 20 Jahren, aber man müsse gesamtgesellschaftlich erst wieder lernen, mit weniger zufrieden zu sein.
Welche Perspektiven gibt es für den Bau?
Wie sich die Branche in den kommenden Monaten oder gar Jahren weiter entwickelt, ist für Gerald Fischbach derzeit schwer abschätzbar: „Das ist so schwankend, das habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt.“Seine Vermutung: Der Einfamilienhausbau werde in diesem Jahr nicht mehr groß anlaufen, und im nächsten Jahr auch noch nicht gleich. Ein mögliches Ende der Flaute hänge von mehreren Faktoren ab, etwa der staatliche nbauförderung oder der Entwicklung der Zinsen.
Lothar Heine sagt prinzipiell: „Wohnungen sind das, was nach wie vor gefragt ist.“Und das Ende des Booms habe für aktuelle Kunden auch Vorteile: Hatten die Aufträge vor einem Jahr noch ein halbes Jahr Vorlauf, sind es jetzt nur noch zwei Monate: „Wir können heute wieder schneller reagieren.“Und auch Material sei wieder „voll verfügbar“.
Vielleicht ist dies ein Stück weit die Rückkehr zur Normalität. Denn nach Einschätzung von Gerald Fischbach hatte der Boom der vergangenen Jahre ein Niveau, das auf Dauer nicht zu halten gewesen wäre.