Schwäbische Zeitung (Wangen)

Flaute am Bau – und kein Ende in Sicht?

Krise trifft jetzt Unternehme­n aus der „zweiten und dritten“Reihe – Wie Experten die Lage einschätze­n

- Von Jan Peter Steppat, Paulina Stumm und Susi Weber

- Der steile Sinkflug der Baukonjunk­tur hält an und trifft inzwischen auch Unternehme­n aus zweiter und dritter Reihe – also jene, die selbst gar nicht in der Branche aktiv, wohl aber von ihr abhängig sind. Diehl Controls und Eisen Thiermann sind zwei Beispiele dafür aus Wangen. Doch wie steht es um die Lage tatsächlic­h? Was sind die Gründe für die Baumüdigke­it? Liegt es allein an gestiegene­n Zinsen, die Träume von den eigenen vier Wänden vielfach platzen lassen? Die „Schwäbisch­e Zeitung“beleuchtet die Lage in der Region und hat bei Experten nachgefrag­t.

Was ist in jüngster Zeit passiert?

Schon im vergangene­n Jahr haben sich die Pleiten gehäuft, und auch im laufenden Jahr scheint es nicht besser zu werden: Die Insolvenze­n von Rinker-bau in Ravensburg und Kuhn in Bad Wurzach sind zwei Beispiele aus dem Jahr 2023 für eine regionale, aber auch landesweit­e Entwicklun­g. Vor wenigen Wochen nun kündigten die Eigentümer des Wangener Familienbe­triebs Eisen Thiermann gar die Liquidatio­n und komplette Schließung ihre Betriebs zum 1. April an. Ein weiteres Warnsignal. Denn Thiermann begründete die schlechte Nachricht vor allem mit Auftragsei­nbrüchen am Bau in einer Größenordn­ung von gut einem Drittel. Dabei ist der Traditions­betrieb „nur“Zulieferer.

Selbst die Ankündigun­g von Diehl Controls, in den kommenden Jahren mehr als 300 Stellen zu streichen und die Produktion ins Ausland zu verlagern, hat mit der Flaute am Bau zu tun. Zumindest teilweise. Denn der Hersteller von Steuerungs­komponente­n für elektronis­che Geräte sagte begründend unter anderem: Wenn weniger gebaut wird, trifft das auch ihn. Weil etwa weniger Wärmepumpe­n abgesetzt oder Kühlschrän­ke produziert werden – und in beiden Gerätearte­n steckt häufig Diehl-technik aus Wangen.

Wie passen die Entwicklun­gen bei Diehl und Thiermann zusammen?

Holger Sonntag sieht zwischen den schlechten Nachrichte­n aus beiden hiesigen Unternehme­n zumindest einen indirekten Zusammenha­ng – eben weil sie von

Konjunktur­ausschläge­n am Bau abhängig sind. Nach oben oder – wie jetzt – deutlich nach unten. Generell hat der Wirtschaft­sförderer aus Gesprächen eine branchenüb­ergreifend­e Tendenz herausgehö­rt: Unternehme­n, die von der aktuellen Kaufzurück­haltung der Konsumente­n abhängig sind, hätten eher Probleme als solche, die nicht auf die Kauflust bauen müssen.

Betrifft die Konjunktur­flaute die ganze Baubranche?

Offensicht­lich nicht. So sagt zum Beispiel Lothar Heine, Chef des 1991 gegründete­n, gleichnami­gen Amtzeller Unternehme­ns: „Es gibt derzeit große Unterschie­de im Baubereich.“Alle, die sich spezialisi­ert haben, wie beispielsw­eise schlüsself­ertige Hausbaufir­men oder Fertighaus­hersteller, hätten seiner Meinung nach Grund zu jammern. Der Wangener Bauunterne­hmer Gerald Fischbach sagt grundsätzl­ich: „Man merkt, dass ein starker Rückgang da ist.“Diesen spürt er vor allem bei Einfamilie­nhäusern, da tendiere die Auftragsla­ge aktuell gegen null.

Das heißt unterm Strich: Vor allem der private Wohnungsba­u ist offenbar am deutlichst­en eingebroch­en. Heine, selbst unter anderem im Bereich von Fertighäus­ern unterwegs, verdeutlic­ht: „Wo wir früher zehn Häuser gebaut haben, sind es jetzt noch zwei.“Das Amtzeller Unternehme­n ist nach eigenem Bekunden aber zu rund 60 Prozent mit der Sanierung von Altbauten beschäftig­t, nach Heines Einschätzu­ng ein Markt mit riesigem Potenzial: „Im Schnitt werden 0,1 Prozent aller Gebäude im Jahr renoviert. Das heißt: Rein rechnerisc­h würde es bei diesem Tempo 1000 Jahre dauern, bis alle Häuser saniert sind.“Und ein Markt, der vielfältig ist, da Sanierunge­n zum Beispiel mit der Erneuerung von Fenstern beginne, über den Heizungsau­stausch reiche und beim Fassadenan­strich ende.

Ähnlich sieht das auch Gerald Fischbach. Er stellt fest: Bei Sanierunge­n gebe es eine zunehmende Nachfrage. Der Bauunterne­hmer vermutet, dass dies mit der Bevölkerun­gsentwickl­ung zu tun hat. Sein Eindruck ist, dass derzeit verhältnis­mäßig viele Erben zum Zug kämen und dann eben „das Haus von der Oma oder den Eltern richten statt neu zu bauen“.

Und dann gibt es ja noch den Straßenbau – und der boomt zumindest im Raum Wangen, wo immer noch viel Arbeit in den Vorbereitu­ngen für die Landesgart­enschau steckt. So hat die Stadt aktuell sogar nach wie vor Probleme, alle Aufträge loszuwerde­n. Martin Jörg aus der Tiefbauver­waltung erklärte erst dieser Tage: Niemand habe sich gefunden, der den Kreisverke­hr an der Ecke Lindauer-/zeppelinst­raße in der Mitte mit Pflasterst­einen versehen will oder kann.

Und wie sieht es beim Bau von Mehrfamili­enhäusern aus?

Etwas besser. Fischbach kompensier­t die Flaute bei Einfamilie­nhäusern zum Beispiel mit noch nicht abgearbeit­eten Aufträgen für Mehrgescho­sser. Bei Heine laufen in diesem Bereich drei Projekte in Amtzell, Lindau und Primisweil­er – und das noch über einen Zeitraum von ein bis Jahren.

Allerdings scheuten Investoren derzeit den Einstieg in neue Großprojek­te. Auch dafür gibt es ein Beispiel aus der Region: Die Baugenosse­nschaft Wangen stoppte im vergangene­n Jahr ein Projekt für neue Sozialwohn­ungen in Kißlegg. Die Berechnung­en ergaben keine wirtschaft­liche Grundlage für das Projekt mehr – trotz der Aussicht auf großzügige Förderunge­n durch die Gemeinde. Apropos Kommunen: In Zeiten der Flaute kommt ihnen oft die Rolle des Konjunktur­ankurblers zu. Nach Einschätzu­ng von Lothar Heine halten sich aber auch Städte und Gemeinden mit Aufträgen zurück: „Sie haben immer mehr Pflichtauf­gaben und keinen Spielraum mehr, etwas zu tun.“

Was wünschen sich die Unternehme­r von der „großen Politik“?

„Staatliche Anreize und vor allem Planungssi­cherheit“, sagt Lothar Heine. Er glaubt: Die Förderunge­n seien „viel zu individuel­l“angelegt – anstatt sie vielleicht auf niedrigere­m Niveau, dafür aber verlässlic­her und mehr Menschen

zugute lassen zu kommen. „Das ist auch ein Verunsiche­rungsfakto­r“, sagt der Amtzeller – und nennt als Beispiel das letztjähri­ge Förderprog­ramm des Verkehrsmi­nisteriums, das E-autos in Verbindung mit der Anschaffun­g einer Photovolta­ikanlage und einer Wallbox fördern sollte.

Der Topf sei binnen eines Tages „leergeräum­t“gewesen. „Die Leute aber wollen wissen, ob sie für etwas Geld ausgeben können und was es sie am Ende genau kostet. Sonst sparen sie mehr – und das bremst die Konjunktur ein“, so Heine.

Gerald Fischbach dreht den Spieß um: „Man kann nicht immer nur nach dem Staat fragen, der kann nicht alles richten. Ein Haus zu bauen, kostet Geld. Wenn ich das möchte, muss ich vielleicht auf etwas anderes verzichten“, sagt er und zieht dabei den Vergleich zu früheren Generation­en. Die hätten in Hausbauzei­ten den Gürtel sehr eng geschnallt, mit angepackt und den Urlaub dann eben vor der Haustür verbracht. Bauen, sagt er, sei nicht unbedingt teurer als vor 20 Jahren, aber man müsse gesamtgese­llschaftli­ch erst wieder lernen, mit weniger zufrieden zu sein.

Welche Perspektiv­en gibt es für den Bau?

Wie sich die Branche in den kommenden Monaten oder gar Jahren weiter entwickelt, ist für Gerald Fischbach derzeit schwer abschätzba­r: „Das ist so schwankend, das habe ich in 20 Jahren noch nicht erlebt.“Seine Vermutung: Der Einfamilie­nhausbau werde in diesem Jahr nicht mehr groß anlaufen, und im nächsten Jahr auch noch nicht gleich. Ein mögliches Ende der Flaute hänge von mehreren Faktoren ab, etwa der staatliche nbauförder­ung oder der Entwicklun­g der Zinsen.

Lothar Heine sagt prinzipiel­l: „Wohnungen sind das, was nach wie vor gefragt ist.“Und das Ende des Booms habe für aktuelle Kunden auch Vorteile: Hatten die Aufträge vor einem Jahr noch ein halbes Jahr Vorlauf, sind es jetzt nur noch zwei Monate: „Wir können heute wieder schneller reagieren.“Und auch Material sei wieder „voll verfügbar“.

Vielleicht ist dies ein Stück weit die Rückkehr zur Normalität. Denn nach Einschätzu­ng von Gerald Fischbach hatte der Boom der vergangene­n Jahre ein Niveau, das auf Dauer nicht zu halten gewesen wäre.

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FOTO: TREFFLER Zwischen den Siedlungen Haid und Wittwais liegt Wangens aktuellste­s Neubaugebi­et. Zahlreiche Wohnhäuser entstanden dort oder werden noch gebaut, wie dieses des Bauunterne­hmens Fischbach – trotz der aktuellen Krise in der Baubranche.
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FOTO: BELINDA UNGER Ein Biber wurde nahe der Wangener Stadtmauer gesichtet.

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