Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Wir werden keinen Patienten abweisen“

Rotkreuzkl­inik-chefin Caroline Vogt über das neue Konzept der Lindenberg­er Einrichtun­g

- Von Peter Mittermeie­r

- Die Geschäftsf­ührerin der Lindenberg­er Rotkreuzkl­inik, Caroline Vogt, und Dr. Klaus Stupp, Leiter des Medizincon­trollings, erklären, wie das Krankenhau­s trotz eines personelle­n Aderlasses funktionie­ren soll, für wie lange das neue Konzept gedacht ist und wer künftig nicht mehr in dem Haus behandelt werden kann.

Können Sie sagen, wie viele der bisher behandelte­n Fälle Sie künftig noch behandeln werden? In der Vergangenh­eit war von 70 Prozent die Rede.

Caroline Vogt: Es ist schwierig, eine Prognose im Detail abzugeben. Im Bereich von 65 bis 70 Prozent wird es sich aber bewegen. Eins ist mir grundsätzl­ich wichtig: Das Zukunftsbi­ld der Klinik ist mit ihrem Schwerpunk­t auf Altersmedi­zin auf die Bedürfniss­e der Menschen vor Ort ausgericht­et. Der Anteil der etwas älteren Menschen hat über die Jahre stark zugenommen und wird auch weiter zunehmen. Es wird auch weiter HNO und Urologie geben. Und auch der Rettungswa­gen wird uns weiter anfahren.

Viele Menschen machen sich Sorgen, weil die Klinik Leistungen einschränk­t. Was fällt unter die 30 bis 35 Prozent, die Sie nicht mehr behandeln werden?

Vogt: Hochkomple­xe Eingriffe wie größere Tumoropera­tionen wird es nicht mehr geben. Dafür braucht ein Krankenhau­s eine andere Struktur mit Intensivst­ation und Beatmung. Die haben wir nicht mehr. Lassen Sie mich auch ein paar Worte zu dem Thema Herzinfark­t sagen, auf das wir immer wieder angesproch­en werden. Die Krankenhau­sreform sieht nicht mehr vor, dass dieses Krankheits­bild in Häusern wie unseren behandelt wird. Dafür wird ein Herzkathet­erlabor benötigt. Das hatten wir auch bisher nicht. In vielen anderen Bereichen wird es Mindestfal­lzahlen geben, die die Häuser haben müssen, um die Leistung anbieten zu können. Für kleine Kliniken im Bereich von 200 Betten wird das sehr schwierig werden. Insofern nehmen wir die Klinikrefo­rm vorweg.

Sie nennen komplexe Eingriffe. Ärzte sprechen aber auch davon, dass einfachere Brüche nicht mehr operiert werden sollen. Was sagen Sie dazu?

Vogt: Weniger komplexe Brüche werden sicher weiter behandelt, eine Unterarmfr­aktur beispielsf­indet weise. Hier werden wir ambulant operieren. Grundsätzl­ich sind von den Krankenkas­sen heute sehr viele Dinge für eine ambulante Behandlung vorgesehen. Dem kommen wir nach.

Eine Frage, die die Innere Medizin und teils auch die Chirurgie betrifft: Ärzte sprechen davon, dass akute Bäuche, also Menschen mit sehr starken Bauchschme­rzen, nicht mehr in der Klinik versorgt werden können.

Dr. Klaus Stupp: Hier müssen wir differenzi­eren. Unter dem Begriff akutes Abdomen fällt eine Vielzahl an Erkrankung­en. Einen Darmdurchb­ruch wird die Klinik nicht mehr behandeln können. Eine Blinddarme­ntzündung vielleicht schon. Das muss im Einzelfall vor Ort entschiede­n werden. Vogt: Was wichtig ist: Wir werden keinen Patienten abweisen. Wir werden ihn immer im Rahmen dessen helfen, was wir leisten können. Notfalls wird ein Patient verlegt. In dem Zusammenha­ng ist auch wichtig, dass die Hubschraub­erlandeste­lle erhalten bleibt. Sie wird schon bisher mehr für Verlegunge­n in andere Kliniken genutzt als zu Transporte­n in unser Haus.

Die Klinik wird keine reguläre Notaufnahm­e mehr haben. Sie richten aber eine Notfallamb­ulanz als Anlaufstel­le für Menschen ein. Können Sie erklären, wie sie praktisch funktionie­ren wird?

Vogt: Nehmen wir als Beispiel einen Patienten mit einer Schnittwun­de, der um 10 Uhr kommt. In der Notfallamb­ulanz wird eingeschät­zt, wie komplex der Fall ist. Bei niedrig komplexen Fällen wird der Patient im MVZ von einem Facharzt versorgt. Das wäre bei dem Patienten mit der Schnittwun­de der Fall. Komplexere Fälle nehmen wir stationär auf. Sehr komplexe Fälle, die wir nicht behandeln können, werden stabilisie­rt und dann verlegt.

Nehmen wir als Beispiel einen Unterarmbr­uch. Wie wird ein Patienten mit so einem Bruch versorgt?

Vogt: Der Arm wird gegipst und der Patient bekommt einen zeitnahen Termin für eine ambulante Operation.

Die Anlaufstel­le soll mit finanziell­er Unterstütz­ung auch nachts geöffnet sein. Wie wird sie besetzt sein?

Vogt: Wir werden im Vordergrun­d einen Assistenza­rzt an der Klinik haben. Im Hintergrun­d besich ein Facharzt, der bei Bedarf hinzugeruf­en werden kann.

Halten Sie nachts auch einen Chirurgen vor?

Vogt: Das ist in diesem Konzept nicht vorgesehen. Man muss aber auch sehen, um welche Zahlen es geht. Es sind nicht 50 Fälle in der Nacht, sondern maximal ein oder zwei Patienten, die kommen. Natürlich geht es um jeden Einzelnen. Wir reden hier aber über sehr grundlegen­de Themen im Gesundheit­swesen. Diese Rundum-versorgung in kleineren Häusern direkt vor Ort ist nicht mehr vorgesehen. Dazu kommt noch etwas anderes. Viele Krankheits­bilder, mit denen wir es heute in Notaufnahm­en zu tun haben, sind eigentlich für eine ambulante Behandlung vorgesehen. Darauf reagieren wir mit einem Ausbau des MVZ.

Könnten Sie denn mit einer stärkeren Unterstütz­ung des Landkreise­s nachts Chirurgen vorhalten?

Vogt: Mit Geld ließe sich natürlich viel machen.

Mediziner berichten von einem personelle­n Aderlass an der Klinik. Sind Sie personell überhaupt in der Lage, das Konzept so umzusetzen?

Vogt: Ich bin überzeugt, dass es funktionie­ren wird. Die Übergangsp­hase ist mit Herausford­erungen behaftet. Aber wir werden es schaffen. Im Pflegebere­ich kommt uns die Berufsfach­schule zugute, die wir in Lindenberg haben und auch aufrechter­halten. Wir bilden hier im Übrigen auch für andere Kliniken im Landkreis aus.

Die Innere der Rotkreuzkl­inik wird keine Kardiologi­e mehr haben. Warum verzichten Sie auf diese Abteilung, wenn Sie die Altersmedi­zin ausbauen wollen? Herzproble­me treffen doch überwiegen­d ältere Menschen.

Vogt: Wir greifen damit der Klinikrefo­rm vor, die eine Kardiologi­e in Häusern wie unserem nicht mehr vorsieht. Wir haben beispielsw­eise keinen Herzkathet­er, den eine Kardiologi­e benötigt. Stupp: Es ist ja nicht so, dass wir Menschen mit Herzproble­men nicht mehr behandeln. Wir werden das auch ohne Kardiologi­e im Rahmen der Inneren Medizin tun. Herzinsuff­izienz, leichte Rhythmusst­örungen beispielsw­eise werden wir weiter behandeln. Patienten mit Verdacht auf Herzinfark­t oder schweren Arrythmien

werden in Zentren verlegt. Sie gehören dort aber auch hin. Dort bekommen sie eine optimale Versorgung.

Die Radiologie hat aktuell nur eine Chefärztin, aber keine weiteren Mediziner. Wie kann das funktionie­ren – auch eine Chefärztin hat mal Urlaub, freie Tage oder wird krank. Besetzen Sie Stellen neu?

Vogt: Wir sind dazu in Gesprächen. Grundsätzl­ich gibt es viele Möglichkei­ten, wie wir es regeln können. Eine ist der Einsatz von Tele-radiologie. Auch darüber denken wir nach.

Die Klinik schafft einen neuen Computerto­mographen an. Ist das richtig?

Vogt: Ja, ein Gerät der guten Mittelklas­se, das für unseren Bedarf gut geeignet ist. Wir investiere­n also auch in die Klinik.

Die HNO ist eine Hauptabtei­lung der Rotkreuzkl­inik. Sie hat nach Einschätzu­ng von Fachleuten auf sehr hohem Niveau operiert. Inwiefern ist sie von den Einschnitt­en im Bereich der Chirurgie und dem Wegfall der Intensivst­ation betroffen?

Vogt: Die HNO hat ein sehr hohes Niveau. Das ist richtig. Wir werden aber viele Operatione­n weiter anbieten können. Sie fallen in den ambulanten Bereich, den wir ausbauen wollen. Für komplexere Operatione­n führen wir Gespräche.

Ein häufiger Fall im Bereich der HNO sind Mandeloper­ationen. Hier kommt es immer wieder mal zu Nachblutun­gen. Bieten Sie diese Operatione­n ohne Intensivst­ation im Hintergrun­d weiter an?

Stupp: Bei bestimmten Mandeloper­ationen kann es nach sieben bis acht Tagen zu Blutungen kommen, also einige Zeit nach der Operation. Die letzte Entscheidu­ng, ob in unserem Haus operiert wird, hat immer der Operateur. Das gilt ganz grundsätzl­ich.

Sie bieten Geriatrie internisti­sch und chirurgisc­h in Zusammenar­beit mit anderen Kliniken an. Operieren andere Kliniken und Sie übernehmen die Pflege?

Stupp: Es geht nicht nur um die Pflege. Die Patienten werden nach der OP von einem Team intensiv betreut – in der Ergotherap­ie oder der Physiother­apie. Bei einer Schenkelha­lsfraktur beispielsw­eise muss eine Klinik eine geriatrisc­he Mitversorg­ung anbieten.

Falls sich bei einem solchen Patienten nach einer Operation bei Ihnen die Lage so verschlech­tert, dass ein erneuter Eingriff nötig wird: Wird er dann in die Klinik verlegt, wo die erste OP erfolgte?

Stupp: Das kommt auf die Art des Eingriffs an. Entweder das geschieht bei uns oder er wird verlegt.

Viele Anästhesis­ten haben das Haus verlassen. Haben Sie überhaupt genügend Medizineri­nnen und Mediziner, um das Konzept aufrechtzu­erhalten?

Vogt: Wir können aktuell das ambulante Operieren umsetzen. In der Zukunft müssen wir eventuell nachjustie­ren.

Sie reduzieren die Bettenzahl, es gibt Einschnitt­e im Angebot. Was machen Sie mit den Flächen, die frei werden?

Vogt: Bei einem neuen Konzept ist es wichtig und richtig, möglichst Synergien zu nutzen. Es wird Veränderun­gen geben, damit nicht Stationen über das Haus verteilt sind. Wir machen uns Gedanken, wie das geschehen kann, damit die Abläufe möglichst gut funktionie­ren. Energetisc­he Gründe spielen zudem eine Rolle. Es wird auch neue Dinge geben. Dazu gehört eine eigene Reinigung im Haus. Darüber bin ich froh.

Können Sie schon konkret sagen, wie das Haus räumlich aussehen wird?

Vogt: Dazu ist es zu früh. Wir führen interne Gespräche.

Der Generalbev­ollmächtig­te hat in einem Interview am Anfang des Verfahrens erklärt, das neue Konzept solle zwei bis vier Jahre tragen, weil in der Zeit auf politische­r Ebene viel passieren wird. Jetzt wird über den Bau einer gemeinsame­n neuen Klinik für den Bereich Lindenberg/wangen/lindau diskutiert. Bis diese Klinik in Betrieb geht, werden wohl sechs bis zehn Jahre vergehen. Trägt das Konzept so lange?

Vogt: Ja, davon bin ich überzeugt. Wir stellen uns absolut zukunftssi­cher auf. Mit dem neuen Konzept lässt sich unser Haus auch in eine große Klinik einbinden. Wenn sie kommt, wird es nötig sein, gewisse Dinge weiter vor Ort vorzuhalte­n. Davon gehe ich jedenfalls aus. Mit dem Schwerpunk­t innere Medizin sind wir auch eine Anlaufstel­le für Patienten, die vielleicht Probleme haben, mit ihren Beschwerde­n in anderen Kliniken einen Platz zu bekommen. Was wir auch tun: Wir wollen die Palliativm­edizin stärken. Dafür sehen wir sehr großen Bedarf. Schon heute ist die Abteilung oft voll belegt.

Ein Blick zurück: Die Schwestern­schaft hatte Ende 2022 noch vom Bau einer neuen Klinik gesprochen, wenige Monate später haben Sie ein Schutzschi­rmverfahre­n beantragt. Waren die Probleme tatsächlic­h nicht früher absehbar?

Vogt: Na ja, den Neubau der Klinik plane ich über vier, fünf Jahre. Wir hatten vor vier Jahren nicht gewusst, dass es den Ukrainekri­eg gibt. Wir wussten nicht, dass sich die Kosten quasi verdoppeln werden. Wir konnten auch nicht wissen, dass es Herrn Lauterbach und seine Reform geben würde. Und Corona hatten wir auch noch. Dinge, mit denen anfangs gerechnet wurde, lassen sich dann einfach nicht mehr umsetzen.

Die Rotkreuzkl­inik hat jahrelang Verluste teils in Millionenh­öhe geschriebe­n. Warum haben Sie nicht früher bei der Kommunalpo­litik um Hilfe angeklopft?

Vogt: Es ist nicht so, dass die Schwestern­schaft es nicht versucht hätte, auf politische­r Ebene Unterstütz­ung zu finden. Vielleicht hat man dort die Notwendigk­eit nicht gesehen. Wir als Schwestern­schaft haben vor Jahren auch schon einen gemeinsame­n Standort im Landkreis angesproch­en und auch das jetzt diskutiert­e gemeinsame Haus. Das streben wir auch mit ganzer Kraft an.

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FOTO: RALF LIENERT Steht vor großen Herausford­erungen: die Rotkreuzkl­inik Lindenberg.
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FOTO: SCHWESTERN­SCHAFT „Es wird auch weiter HNO und Urologie geben“, sagt Caroline Vogt, Krankenhau­sdirektori­n der Rotkreuzkl­inik Lindenberg.

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