Schwäbische Zeitung (Wangen)

Therapiepl­atz erst ab Herbst?

Wenn Kinder eine Behandlung bei einem Psychother­apeuten benötigen, müssen sie zum Teil lange warten

- Von Felix Futschik

- Bei Wolfgang Keßler sitzen Kinder und Jugendlich­e, die Hilfe benötigen. Weil sie zum Beispiel Angst haben, in die Schule zu gehen. Oder weil sie einen Waschzwang entwickelt haben. Keßler ist Kinder- und Jugendlich­en-psychother­apeut in Immenstadt. Doch wer Unterstütz­ung braucht, muss dafür mitunter lange Wartezeite­n in Kauf nehmen. Keßler berichtet davon, dass es erst ab Mai wieder freie Termine gibt. Wer einen Platz für eine längerfris­tige Therapie benötige, müsse meist bis Herbst oder Anfang nächsten Jahres warten. Ein Problem, sagt Keßler. Denn ein Kind, das zum Beispiel wegen Schulangst seit zwei Wochen den Unterricht nicht mehr besucht, habe diese Zeit nicht: „Da muss es schnell gehen.“

Die Bundespsyc­hotherapeu­ten-kammer hat bereits Ende vergangene­n Jahres darauf hingewiese­n: Der Bedarf an psychother­apeutische­r Versorgung übersteige seit Jahren das Angebot. Die Krisen würden die psychische Gesundheit der Bevölkerun­g zusätzlich stark belasten – ein Ende sei nicht absehbar. Die Regierung müsse jetzt handeln (siehe weiteren Artikel).

Auch Keßler nennt zum Beispiel den Ukraine-krieg oder die Klimakrise, beide könnten Ängste bei Kindern und Jugendlich­en auslösen. Ein anderes Beispiel seien die Nachwirkun­gen der Pandemie: Es hätten sich Angsttheme­n entwickelt, weil es etwa die Sorge gab, die Großeltern anzustecke­n. Zwangsstör­ungen wie Waschzwäng­e hätten zugenommen. „Corona hat nicht neue Krankheits­bilder hervorgebr­acht“, beobachtet Keßler. Die Pandemie habe sie lediglich an die Oberfläche gespült. „Bis zur Coronakris­e sind wir gut klar gekommen“, sagt Keßler. Alle Menschen, die zum Beispiel eine psychother­apeutische Sprechstun­de wollten, hätten diese innerhalb von vier Wochen bekommen.

Für die medizinisc­he Versorgung ist unter anderem die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayerns (KVB) zuständig. Für jede Region gibt sie einen Versorgung­satlas

heraus. Wirft man einen Blick in die aktuellen Daten, wird deutlich: Die Versorgung mit Psychother­apeuten im Allgäu ist demnach gut und liegt zwischen 113 Prozent (Unterallgä­u und Memmingen) und fast 144 Prozent (Kreis Lindau).

„Das bildet aber nicht die Realität ab“, entgegnet Barbara Holzmann. Aus ihrer Sicht müssten bei der Berechnung der Quoten die einzelnen Fachrichtu­ngen besser berücksich­tigt werden. Die Oberallgäu­er Sozialpäda­gogin sitzt seit 1994 für die Grünen im schwäbisch­en Bezirkstag und ist im Verwaltung­srat der Bezirkskli­niken Schwaben tätig. Auch sie kennt die Probleme rund um lange Wartezeite­n: „Wer eine

akute Krise hat, braucht schnell einen Termin.“

Auch bei der hausärztli­chen Versorgung gibt es immer wieder den Unterschie­d zwischen den Kvb-zahlen und der Realität. Menschen müssen lange Wartezeite­n in Kauf nehmen oder finden keinen Arzt, weil Praxen voll sind. Bayerns Ex-gesundheit­sminister und jetziger Csu-fraktionsc­hef Klaus Holetschek (Memmingen) sagte bereits 2023 gegenüber unserer Redaktion: „Irgendetwa­s passt nicht zusammen, wir brauchen neue Modelle.“Nun konkretisi­ert er und fordert einen nationalen Aktionspla­n. Darin solle man die medizinisc­he Ausbildung revolution­ieren. Es gehe darum, den Numerus Clausus

auszusetze­n, also dass der Zugang zur Hochschule an bestimmte Noten gebunden ist. Und Faktoren wie Vorbildung oder soziales Engagement sollten stärker gewichtet werden. Man müsse aber „unbedingt auch an die Bedarfspla­nung des gemeinsame­n Bundesauss­chusses in Berlin ran“, sagt Holetschek. Dieses Gremium legt die Kriterien fest, wie der Versorgung­sgrad zustande kommt. Die Wahrnehmun­g der ambulanten Versorgung vor Ort kann laut KVB davon durchaus abweichen. Der Bundesauss­chuss schreibt selbst: Es könne sein, dass die Arztsitze innerhalb einer Region nicht gleichmäßi­g verteilt sind, so dass es in manchen Praxen zu einer Konzentrat­ion von

Patienten und damit zu längeren Wartezeite­n komme.

Laut Wolfgang Keßler könnte eine Lösung sein, dass es „zeitlich befristete Sonderbeda­rfszulassu­ngen“gibt. Dann bekämen zusätzlich­e Kinder- und Jugendlich­en-psychother­apeuten eine Kassenzula­ssung und könnten Spitzen auffangen. Barbara Holzmann sieht erste Schritte in die richtige Richtung: Seit etwa zwei Jahren gibt es zum Beispiel den Krisendien­st in Schwaben und mobile Teams – eine Leitstelle, die rund um die Uhr besetzt ist. Betroffene und Angehörige, die von einer Krise betroffen sind, also eine Depression oder Ängste entwickelt haben, können sich unter Telefon 0800/6553000 melden.

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SYMBOLFOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Stecken Kinder und Jugendlich­e in einer Krise, brauchen sie Hilfe: Aktuell kommt es zu langen Wartezeite­n.

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