Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Die Politik sagt uns: Wasch mir den Pelz“

Der Ard-vorsitzend­e und Swr-intendant Kai Gniffke über Rundfunkge­bühren, Sparzwänge, Sportrecht­e und Wut auf Reporter

- Von Robin Halle

- Er spricht für neun Landesrund­funkanstal­ten mit insgesamt 23.000 fest angestellt­en Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn. Er verantwort­et einen Umsatz von mehr als sechs Milliarden Euro pro Jahr: Kai Gniffke (63) ist seit 2023 nicht „nur“Intendant des SWR, sondern auch Vorsitzend­er der ARD. Der „Schwäbisch­en Zeitung“gibt er dieses Interview.

Herr Gniffke, reden wir zuerst über Geld. Haben Sie Verständni­s für Menschen, die einen monatliche­n Rundfunkbe­itrag von 18,36 Euro als zu viel betrachten?

Ich höre, dass viele Menschen sagen, unabhängig­er Journalism­us ist gerade in diesen wilden Zeiten nötig wie nie. Ich höre auch, dass die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten, die Red.) eine Beitragsem­pfehlung abgegeben hat, die eine weitere Schrumpfun­g des SWR bedeutet. Eine erhebliche sogar!

Eine Schrumpfun­g? Die Gebühren sollen doch um 0,8 Prozent pro Jahr steigen.

Man muss die Inflations­rate von derzeit drei Prozent dagegenrec­hnen. So landen wir bei circa minus zwei Prozent jährlich. Das ist eine Schrumpfun­g.

In den Ard-apparat fließen jährlich mehr als sechs Milliarden Euro. Bei allem Respekt für die journalist­ische Leistung der Kollegen: Ist so ein gigantisch­er, gebührenfi­nanzierter Medienbetr­ieb mit 21 öffentlich-rechtliche­n Fernsehsen­dern und 64 Hörfunkwel­len noch zeitgemäß?

Die Gesellscha­ft will sich in den Regionen wiederfind­en. Deshalb stelle ich unbotmäßig Gegenfrage­n, bezogen beispielsw­eise auf den SWR: Auf welche Regionalpr­ogramme sollen wir denn verzichten? Sollen wir den Menschen in Baden-württember­g nicht mehr zwei direkt auf das Bundesland zugeschnit­tene Radiowelle­n bieten? Sollen wir auf eine Kulturwell­e verzichten? Auf SWR 3, eines der erfolgreic­hsten Radioprogr­amme Deutschlan­ds? Auf „Das Ding“, das junge Leute anspricht? Auf das Inforadio?

Sparen müssen Sie trotzdem. Die KEF schreibt vor, jedes Jahr 0,5 Prozent der Belegschaf­t abzubauen. Gleichzeit­ig haben Sie sich als Swr-intendant auf die Fahne geschriebe­n, Effizienz und Exzellenz zusammenzu­bringen. Weniger Journalist­en für bessere Formate: Wie soll das funktionie­ren?

Das ist tatsächlic­h schwer. Aber es hilft nichts. Es gibt diese Vorgabe. Der SWR wird jedes Jahr kleiner. Mit der jüngsten Beitragsem­pfehlung könnte das weiter forciert werden. Es ist schmerzhaf­t, aber: Wir müssen auch mal Dinge weglassen. Das Wichtigste ist die Erkenntnis, dass sich das Mediennutz­ungsverhal­ten ändert. Man hat die Nachrichte­n heute in der Jackentasc­he, Filme in der Mediathek, Podcasts in der Audiothek. Für diese Ausspielwe­ge müssen wir produziere­n. Das Geld dafür müssen wir aus dem linearen Audiound Videogesch­äft umschichte­n. Wir müssen Dinge weglassen.

Das müssen viele Printverla­ge auch, um Auflagenrü­ckgänge wirtschaft­lich zu kompensier­en. Haben es die öffentlich­rechtliche­n Sender nicht leichter in der Programmge­staltung, weil sie auf einen – immer noch prall gefüllten – Gebührento­pf zurückgrei­fen können?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat den staatliche­n Auftrag, den Menschen eine Heimat zu bieten und ihre Region abzubilden. Wenn wir sagen, wir machen für Baden-württember­g kein regionales Fernsehpro­gramm mehr, würden die Leute auf die Barrikaden gehen. Zu Recht. Stellen Sie sich vor, es gäbe keine Landesscha­u mehr. Das wäre ein Stück Heimatverl­ust.

Der Ravensburg­er Bundestags­abgeordnet­e Axel Müller hatte Ihnen einen Brief geschriebe­n, der unserer Zeitung vorliegt. Darin beklagt er die Zusammenle­gung der Hörfunkpro­gramme von SWR 4 Badenwürtt­emberg und Rheinlandp­falz. Müller befürchtet, dass die regionalen Nachrichte­n an Bedeutung verlieren. Was antworten Sie ihm?

Dass sich in Bezug auf die Nachrichte­n nichts verändert. Nullkomman­ull. Es gibt weiterhin Nachrichte­n aus Baden-württember­g und Rheinland-pfalz getrennt zur vollen Stunde. Zur halben Stunde gibt’s Aufschaltu­ngen, beispielsw­eise aus den Regionalst­udios Mannheim, Friedrichs­hafen, Koblenz oder Trier. Der einzige Unterschie­d: Wir spielen die Musik von Andrea Berg nur noch einmal ab. (lacht) Das ist unschädlic­h fürs Programm. Die Zusammenfü­hrung der beiden Hörfunkpro­gramme ist übrigens ein gutes Beispiel für Effizienzs­teigerung. Die Politik sagt uns nur: „Wasch mir den Pelz!“Wenn ein künftiger Staatsvert­rag beispielsw­eise vorsieht, dass wir im Radio nicht mehr acht Programme machen können,

sondern sechs, ist es Gesetz. Daran müssen wir uns halten. Ohne Nass machen des Pelzes geht es aber nicht.

Trotzdem bleibt viel Geld im Betrieb. Die ARD darf Millionen in den Ausbau digitaler Produkte investiere­n. Gleichzeit­ig werden Zeitungsve­rlage durch hohe Papierprei­se und Vertriebsk­osten mit einer schwierige­n Marktsitua­tion konfrontie­rt. Haben Sie Verständni­s, dass vielen Printverla­gen die kostenlose­n, presseähnl­ichen Digitalang­ebote gebührenfi­nanzierter Sender auf ihren Websites und Apps deutlich zu weit gehen?

Ich nenne diesbezügl­ich zwei Punkte. Erstens: Ja, ich habe großes Verständni­s für die prekäre Lage mancher Verlage. Es geht um Arbeitsplä­tze und die Zahl der Beschäftig­ten. Zweiter Punkt: Wir machen keine Zeitung im Internet. Wir bieten den Menschen nur, was sie von uns erwarten: Informatio­nen auf allen Wegen.

Da müssen wir dazwischen­grätschen. Digitale Nachrichte­nformate, die Presseagen­turen wie der DPA entnommen werden, sind durch den Rundfunkst­aatsvertra­g nicht gedeckt. Warum werden Sie trotzdem ausgespiel­t?

Wenn dem so wäre, wäre das nicht gut. Da haben Sie recht. Wir liegen allerdings bei der Auslegung des Begriffs „presseähnl­ich“auseinande­r. Das ist unser Dauerthema. Aber ich nenne einen dritten Punkt: Wir sind in intensiven Gesprächen. Auf Bundeseben­e

mit dem BDZV (Bundesverb­and Digitalpub­lisher und Zeitungsve­rleger, die Red.) und auf regionaler Ebene mit dem VSZV (Verband Südwestdeu­tscher Zeitungsve­rleger, die Red.).

Halten Sie es für richtig, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk mehr als 300 Millionen Euro für Sportrecht­e ausgibt?

Ich halte Sportjourn­alismus für wichtig. Was würde denn passieren, wenn die Öffentlich-rechtliche­n aus der Sportberic­hterstattu­ng ausstiegen? Wollen wir eine Berichters­tattung über eine Fußball-weltmeiste­rschaft in Katar ohne Berichte über die Arbeitsbed­ingungen vor Ort und Menschenre­chtsverlet­zungen? Wollen wir eine Berichters­tattung über die FIFA, ohne dass es Investigat­ivjournali­sten gibt, die über Korruption berichten? Ich kenne wenige Medienhäus­er, die eine Anti-doping-redaktion haben wie wir. Unser Reporter Hajo Seppelt hat weltweit rezipierte Recherchen angestoßen, die zu Konsequenz­en beim IOC und bei der FIFA geführt haben. Auch das möchte ich nicht missen. Sportjourn­alismus und kritische Betig. richtersta­ttung über die Länder, wo die Turniere stattfinde­n, gehören für mich zusammen. Ich versuche, das so lange wie möglich in der ARD hochzuhalt­en.

Alles gut und recht. Aber die Frage nach den hohen Kosten für die Sportrecht­e wird damit nicht beantworte­t.

Wir können nicht nur über die ernsten Seiten beim Sport berichten. Wir brauchen die Liveberich­terstattun­g, um den Menschen etwas Abwechslun­g zu bieten. Ja, das kostet Geld. Aber es ist Teil unseres Auftrags, über Sport zu berichten. Im Fernsehen und im Hörfunk. Und ganz ehrlich: Wenn Sie Samstagnac­hmittag das Auto waschen, wollen Sie die Schlusskon­ferenz der Fußballbun­desliga im Radio hören. (lacht) Ein Samstag ohne „SWR 1 Stadion“ist kein Samstag.

Aktuell sind Fernseh-, Hörfunkund Printjourn­alisten mit dem gleichen Problem konfrontie­rt: Die journalist­ische Arbeit ist schwierige­r geworden, wenn man die Gewaltbere­itschaft einiger Demonstran­ten betrachtet. Gibt es mehr Übergriffe auf Ard-journalist­en als vor einigen Jahren?

Sie sagen es: Das Problem trifft alle Medienscha­ffenden. Wenn eine bestimmte Spezies von demonstrie­renden Menschen erkennt, dass berichtet wird, kommen schnell Aggression­en auf.

Wie erklären Sie sich das?

Viele Menschen hadern mit der Welt. Sie fühlen sich ohnmäch

Ausgeliefe­rt. Die Themen lauten etwa Globalisie­rung und Digitalisi­erung. Viele Leute fragen sich: „Komme ich da noch mit?“Aus einem Ohnmachtsg­efühl entsteht teilweise Wut. Manche Menschen brauchen einen Blitzablei­ter. Der sind wir, weil wir über diese Probleme berichten. Der Überbringe­r von schlechten Nachrichte­n wird mit der schlechten Nachricht gemein gemacht. Wenn wir beispielsw­eise einen Bericht der Vereinten Nationen zum Klimawande­l vorstellen, sagen manche Menschen: „Will uns die Tagesschau verbieten, Auto zu fahren?“Oder: Wenn wir über die Politik der Regierungs­koalition berichten, ist es nicht so, dass wir uns damit identifizi­eren. Aber die Menschen unterschei­den nicht, wenn sie den Bundeskanz­ler, mit dem sie hadern, abends in der Tagesschau sehen. Für sie ist die Tagesschau quasi der verlängert­e Arm des Kanzlers. Daraus speist sich die Aggression gegen uns Journalist­en. Wir sind das Ventil, in dem die Wut sich eine Bahn bricht.

Wie oft kommt es vor, dass der Bundeskanz­ler oder ein Spitzenpol­itiker zum Telefon greift und sich bei Ihnen über einen Beitrag beschwert?

Das ist noch nie vorgekomme­n. Nicht ein einziges Mal! Falls einer anriefe und sich beschweren würde, würde ich sagen: „Das ist ihr gutes Recht. Aber es ist meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich die Menschen, die bei uns journalist­isch tätig sind, sich davon nicht ins Boxhorn jagen lassen.“

Bezogen auf die Tagesschau: Erkennen Sie qualitativ­e Unterschie­d zwischen der Ard-berichters­tattung und den Nachrichte­nsendungen der Wettbewerb­er wie RTL oder SAT 1?

Ich bewerte die anderen Programme nicht. Aber ich halte die Tagesschau für eine der besten Nachrichte­nsendungen der Welt.

Werden in der Tagesschau auch mal Fehler gemacht?

Natürlich machen wir Fehler. Der Unterschie­d zu Social Media gegenüber profession­ellen Journalist­en ist: Wenn wir einen Bock geschossen haben, stellen wir es richtig. Wir brauchen einen rationalen, fairen Diskurs, gespeist von verlässlic­hen Informatio­nen. Das macht am Ende das Vertrauen aus. Im Moment sagen 78 Prozent der Menschen in Badenwürtt­emberg und Rheinlandp­falz: „Ich vertraue dem SWR.“Das ist ein toller Wert. Den haben wir fast exklusiv. Die Tageszeitu­ngen liegen in einer ähnlichen Größenordn­ung. Dann kommt ganz, ganz lange gar nichts.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Kai Gniffke sowohl Vorsitzend­er der ARD als auch Intendant des SWR.
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FOTO: JÜRGEN RUF Kai Gniffke (re.) trifft Chefredakt­ionsmitgli­ed Robin Halle in seinem Stuttgarte­r Büro.

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