„Wir können etwas Historisches schaffen“
Noah Weißhaupt über die Europa-reise des SC Freiburg, die Konkurrenz mit Vereinslegenden und Tipps vom Papa
- Es läuft bereits die fünfte Minute der Nachspielzeit, als Schiedsrichter Alejandro Hernandez zum Bildschirm schreitet, um über das Wohl und Wehe des SC Freiburg zu entscheiden. Kurz zuvor war Noah Weißhaupt der Ball im eigenen Strafraum an den Arm gesprungen. Die Frage „Elfmeter oder nicht?“quält minutenlang alle Beteiligten und Zuschauer. Doch am Ende können alle Freiburger aufatmen: Der spanische Referee zeigt nicht auf den Punkt, weil Weißhaupt zuvor geschubst wurde. Wenige Sekunden später ist Schluss, der Sport-club gewinnt das Hinspiel im Achtelfinale der Europa League mit 1:0 und ist nun in einer guten Ausgangssituation, um am Donnerstag (18.45 Uhr/ RTL+) im Rückspiel in London, den erstmaligen Einzug ins Viertelfinale eines Europapokals klarzumachen. Wie Weißhaupt die strittige Szene erlebte und was er sich vom Rückspiel erhofft, hat der 22-Jährige im Interview erzählt.
Herr Weißhaupt, im Hinspiel hätten Sie Ihre Mannschaft mit Ihrem unbeabsichtigten Handspiel fast um den verdienten Lohn gebracht. Haben Sie die Schreckminuten verdaut?
Ja, ich habe das ganz weggesteckt. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich in den Minuten, in denen die Situation überprüft wurde, echt ruhig geblieben bin, weil ich wusste, dass ich von meinem Gegenspieler geschubst worden war. Natürlich wird man etwas unsicherer, umso länger es dauert, aber für mich war es die absolut richtige Entscheidung, den Elfmeter nicht zu geben.
Durch den 1:0-Sieg im Hinspiel sind die Chancen aufs Weiterkommen deutlich gestiegen. Werden Sie in London das Viertelfinale klarmachen?
Die Ausgangslage hat sich nicht groß verändert – außer, dass West Ham jetzt etwas mehr Druck hat. Wir reisen aber trotz der Führung nicht als Favorit nach London. Wichtig wird sein, dass wir wieder so gut und mutig nach vorne spielen wie im Hinspiel und uns nicht verstecken – wenn uns das gelingt, bin ich guter Dinge, dass es fürs Viertelfinale reichen kann.
Schon der Einzug ins Achtelfinale, und das zum zweiten Mal in Folge, ist für den Sport-club ein Erfolg. Was bedeutet es für junge Spieler wie Sie, sich so früh auch auf internationaler Ebene beweisen zu dürfen? Dass ist für uns einfach mega. Die
ganzen Reisen, sich mit Topgegnern und -spielern messen zu können und solche Erlebnisse wie unser Sieg in der Verlängerung gegen Lens – das sind Erfahrungen, die uns auf jeden Fall weiterbringen. Außerdem bekommen wir viele Extraspiele, in denen wir uns beweisen können. Das hilft uns enorm.
Sie sind seit Ihrem elften Lebensjahr beim SC und haben den Aufschwung der letzten Jahre miterlebt. Bekommt man als Jugendspieler schon mit, wie der Verein wächst? Und was verändert sich dadurch in der Ausbildung?
Ja, die Jugend bekommt das auf jeden Fall mit. Alle sehen ja, wie viele Jungs es aus dem eigenen Nachwuchs in die erste oder zweite Mannschaft schaffen. Und die Aussicht, da selbst dabei sein und vielleicht sogar mal im Europapokal spielen zu können , erhöht noch mal den Ehrgeiz, sich durchzusetzen.
Wird aber auch der Druck größer, weil man für die höheren Aufgaben noch besser ausgebildet sein muss?
Nein, das macht unsere Fußballschule ganz gut. Die Jugendspieler können sich hier relativ unbeschwert entwickeln und werden behutsam herangeführt.
Das allein kann aber nicht der Grund sein, weshalb in Frei
burg so vielen eigenen Jugendspielern der Durchbruch gelingt. Was ist das Erfolgsrezept?
Hier ist einfach alles sehr familiär. Das habe ich gleich gespürt, als ich in die Fußballschule gekommen bin. Man kommt einfach gerne dorthin und hat super Trainer, die alle sehr viel Ahnung vom Fußball haben und den Jungs auch Zeit geben, sich zu entwickeln. Und natürlich gehört es einfach schon immer zur DNA des Clubs, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen.
Sie dürfen Ihrem Vater also dankbar sein, dass Sie wegen ihm im Breisgau aufgewachsen sind. Marco Weißhaupt spielte von 1997 bis 2001 ebenfalls für den SC – allerdings nicht im Europapokal, sondern zunächst in der 2. Liga und dann gegen den Abstieg in der Bundesliga. Gibt es da auch mal Sticheleien von Ihnen?
Natürlich, das lass ich mir nicht nehmen (lacht). Aber er sagt dann immer, ich muss erst mal auf so viele Spiele (120 für den SC, d. Red.) kommen wie er, erst dann darf ich meinen Mund aufmachen. Da bin ich aber auf einem guten Weg (aktuell 70).
Nach seiner aktiven Karriere arbeite Ihr Vater als Trainer. Inwiefern gibt er auch Ihnen Tipps?
Ich darf mir von Papa immer was anhören – aber auch von Mama.
Die Tipps von ihr sind besonders gut, sie meint immer: aufs Tor schießen, aufs Tor schießen, aufs Tor schießen. Papa hat doch noch ein paar Anmerkungen mehr.
Wo sieht er denn noch Verbesserungspotenzial bei Ihnen?
Ich weiß selbst, dass ich vor allem noch torgefährlicher werden muss. Das klappt in dieser Saison schon viel besser als letztes Jahr. Aber da ist noch Luft nach oben.
Trainer Christian Streich hat Sie in dieser Saison nicht nur als offensiven Flügelspieler eingesetzt, sondern auch öfter mal als linken Verteidiger. Welche Position liegt Ihnen mehr?
Es kommt immer aufs System und die aktuelle Spielsituation an. Prinzipiell fühle ich mich in der offensiven Rolle wohler, aber die Position als Schienenspieler in einer Fünferkette liegt mir auch, weil man da viele Bälle bekommt, einem viel Platz geschaffen wird und ich auch ins Eins-gegen-eins gehen kann, was ich sehr gerne mache.
Sie sagten mal, dass Ihnen Geduld schwerfällt. Jetzt haben Sie in Freiburg auf der linken Seite das Problem, mit Christian Günter und Vincenzo Grifo zwei absolute Leistungsträger vor der Nase zu haben. Was überwiegt: Der Ärger, dass dadurch
nicht so viel Spielzeit für Sie rausspringt oder die Freude, von zwei solchen Spielern mit Format lernen zu können?
Stimmt, dass ist nicht immer ganz einfach. Ich versuche einfach, immer wenn ich reinkomme, so viel Druck aufzubauen, dass der Trainer irgendwann gar nicht mehr drum herumkommt, dass ich von Beginn an spielen muss. Aber klar, gerade weil ich mit den beiden konkurriere, muss ich mich noch mehr beweisen. Und das hilft mir in der Entwicklung.
Günter und Grifo haben eine Ära des Sport-clubs geprägt. Ist es für sie als Freiburger Junge ein Ziel, es ihnen nachzumachen? Oder sehen Sie sich in Zukunft bei einem größeren Club?
Mein großes Ziel ist es, mich hier erst mal durchzusetzen und dem Verein mit meinen Leistungen etwas zurückzugeben. Was danach kommt, kann ich noch nicht sagen.
Die Aussicht auf regelmäßige Europapokal-nächte ist sicher ein wichtiges Argument, um Talente zu halten und neue Spieler zu verpflichten. Wie wichtig sind die internationalen Spiele für die weitere Entwicklung des Vereins?
Das ist wie ein besonders leckerer Nachtisch, von dem man natürlich gerne was abhaben möchte. Aber den Hauptgang gibt es in der Bundesliga, und da muss man sich den Nachtisch erst mal mit guten Leistungen verdienen.
In der Liga ist dem SC am Sonntag beim 2:1 in Bochum ein Befreiungsschlag nach zuvor sechs sieglosen Spielen gelungen. Wie optimistisch sind Sie, dass es erneut für einen europäischen Wettbewerb reicht?
Es ist alles sehr eng in dieser Saison, im Moment kämpfen sehr viele Mannschaften um die internationalen Plätze. Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir wieder gute Chancen haben, wenn wir weiter Vollgas geben und in jedem Spiel von der ersten bis zur letzten Minute ackern.
Wie wichtig wäre ein Erfolg gegen West Ham für den weiteren Verlauf der Saison?
Wir können etwas Historisches schaffen. Wenn es uns gelingen würde, mit dem SC Freiburg tatsächlich zum ersten Mal in ein europäisches Viertelfinale einzuziehen, würde das natürlich einen extremen Push geben. Es wären Erinnerungen, die man niemals vergessen wird – und dafür werden wir gerne kämpfen.