„Der VFB darf die Trauben nicht zu hoch hängen“
Ex-torhüter Timo Hildebrand über den Höhenflug seines VFB und Schwung aus Stuttgart für das DFB-TEAM
- 2007er Meistertorhüter Timo Hildebrand schaut auch heute noch ganz genau auf seinen Ex-club. Vor dem Landesderby des VFB Stuttgart bei der TSG Hoffenheim (18.30 Uhr/sky) hat der 44-Jährige mit der „Schwäbischen Zeitung“über den Stuttgarter Höhenflug, Gefahren der kommenden Saison sowie einen Vfb-block bei der deutschen Nationalmannschaft gesprochen.
Herr Hildebrand, mit dem VFB und der TSG treffen Ihre beiden baden-württembergischen Exclubs aufeinander. Bei dem einen Club spielten Sie inklusive Jugend zwölf Jahre, bei dem anderen 1,5, sind Ihre Sympathien dennoch gleich verteilt?
In Hoffenheim hatte ich eine sehr abwechslungsreiche Zeit und habe daher sowohl positive als auch nicht so schöne Erinnerungen an den Kraichgau. Ich wäre gerne länger dort geblieben, aber das war damals nicht möglich. Mit dem VFB habe ich natürlich viel mehr erlebt, das ist eine andere Hausnummer und mein Herzensverein, daher sind meine Sympathien klar. Ich glaube aber, dass es ein sehr interessantes Spiel wird.
Die Stuttgarter stehen auf Tabellenplatz drei, die TSG im Niemandsland, sind die Rollen denn nicht so klar, wie sie scheinen?
Es haben auch schon schlechter platzierte Mannschaften gegen den VFB oder andere Teams, die weit oben standen, gewonnen, von daher ist die Ausgangslage nicht ganz so klar. Jedes Spiel fängt bei null an und da gilt es erst einmal die Performance auf den Platz zu bringen. Für den VFB ist es zudem ein Auswärtsspiel, auch wenn durch die Nähe sicher viele Stuttgartfans die Mannschaft begleiten werden. Es ist also weit davon entfernt, ein einfaches Spiel zu werden. Zudem haben beide Teams eine ähnliche Spielphilosophie mit tollem Offensivfußball.
Es ist auch das Spiel zweier Trainer gegen Ihre Ex-clubs. Spielt das etwa ein Jahr nach den Wechseln noch eine Rolle?
Ich glaube, überhaupt nicht. Beide Clubs haben ihren Weg gefunden. Die Hoffenheimer mit Pellegrino Matarazzo haben ihre Talsohle durchschritten, die Stuttgarter in dieser Saison noch keine durchschreiten müssen, und entsprechend sind beide Vereine gut
drauf. Das Konzept von Sebastian Hoeneß ist einfach gut. Er hat es geschafft, den VFB mit seiner Philosophie zu stabilisieren. Sie haben viel Ballbesitz und legen sich den Gegner zurecht, sind geduldig und warten auf ihre Option. Das sieht alles sehr abgeklärt aus.
Experten und Fans hätten längst einen Stuttgarter Einbruch erwartet. Doch auch nach 25 Spieltagen ist der nicht gekommen. Reicht es denn wirklich zum großen Königsklassencoup?
Das Team insgesamt überragt gerade. Es macht Spaß, ihnen zuzuschauen und ins Stadion zu gehen. Ich bin ja selber auch Fan. Es verwundert niemanden mehr, weil es mittlerweile schon über einen längeren Zeitraum so funktioniert. Die Jungs spielen Woche für Woche richtig gut, das Grundgerüst der Mannschaft stimmt und deshalb ist das alles keine Überraschung mehr.
Eine Überraschung war dann doch die vierfache Dfb-kadernominierung. War das ein logischer Schritt?
Das ist schon ein mutiger Schritt von Bundestrainer Julian Nagelsmann, dennoch sollten in der Nationalmannschaft die Spieler auflaufen, die aktuell am besten
drauf sind und das sind nun einmal gerade auch die Kicker vom VFB. Ich bin gespannt, wer aus dem Kreis dann auch wirklich mit zur EM fährt. In den vergangenen ein bis zwei Jahren wurde beim DFB ja gesucht, was der Kern der Mannschaft sein könnte und in dieser Situation haben die Jungs nun eine gute Chance. Für jede Mannschaft, auch für die Nationalmannschaft, ist es wichtig, ein gutes Gerüst zu haben, Spieler, die sich schon länger kennen – und da kommen die Stuttgarter Kicker nun gerade recht.
Wären die Vfbler dann bei der EM mittendrin oder nur dabei?
Ich glaube nicht, dass sie dann den Anspruch hätten, einfach nur Urlaub zu machen und bei der EM eine ruhige Kugel zu schieben. Natürlich muss man sich reinfinden, gerade auch als Debütant, aber die Nationalmannschaft ist aktuell im Umbruch und da haben es die Jungs in der eigenen Hand, sich in die Mannschaft reinzuspielen – und das bei so einem Turnier. Jede Heim-em ist ein Traum. Hier die Gelegenheit zu bekommen, wäre die Krönung für einen Fußballer. Es zeigt, dass, wenn man als Mannschaft Topleistung bringt, der Weg in das DFB-TEAM immer offen ist. Die Jungs liefern nun einmal über viele Monate eine starke Leistung ab und haben sich das dadurch absolut verdient.
Sollte sich Nagelsmann dann nicht generell am VFB orientieren und bei der EM Brustringfußball spielen lassen?
Wenn Chris Führich zusammen mit Maximilian Mittelstädt auf der linken Abwehrseite spielen würde, wäre das sicher gut. Die beiden kennen sich, trainieren jeden Tag zusammen und bilden ein super Duo. So ein Pärchen, das auf einer Seite wirbelt, wäre förderlich. Es gab ja auch immer Blöcke von zum Beispiel Bayern oder Dortmund, da könnte nun vielleicht auch ein Stuttgartblock funktionieren – auch wenn man immer abwarten muss. Insgesamt gilt es, im Sommer einfach gut zu funktionieren.
Was ist denn bei der EM möglich? Das bisher Gesehene macht ja nicht übermäßig Mut.
Es schwingt immer viel Hoffnung mit. Es ist eine große Unbekannte, wie die Mannschaft performt, und da müssen wir uns alle überraschen lassen. Es ist nur zu hoffen, dass es anders wird als das, was wir die letzten Jahre teilweise gesehen haben.
Als frisch gebackene Champions-league-teilnehmer könnten die Stuttgarter Senkrechtstarter doch mit besonders breiter Brust vorangehen, oder?
Die Chance ist sehr groß, aber wir haben noch neun Spiele und bisher hat es der Mannschaft gutgetan, auf Understatement zu setzen. Wenn am Ende die Königsklasse dabei rauskommt, sind wir alle glücklich, aber dann würde mit der kommenden Saison schon die neue Herausforderung warten. Es wird nicht einfach und gerade in Stuttgart, bei dem Umfeld. Der VFB darf die Trauben nicht zu hoch hängen. Da erwarten dann viele sicher, dass man im Jahr darauf direkt wieder Champions League spielt und so weiter, doch so funktioniert es nun einmal nicht. Es ist eine ganz andere Nummer, wenn man international spielt und sich wieder qualifizieren soll. Aber das ist alles weit weg. Erst einmal genießen wir, wie es beim VFB aktuell läuft. Es gab ja in den letzten Jahren genügend andere Zeiten.