Schwäbische Zeitung (Wangen)

Vitaminbom­ben aus dem Wald

Speisepilz­e liefern wichtige Nährstoffe und können eine Fleischalt­ernative sein – Manche Arten haben auch das Potenzial für heilende Wirkung

- Von Angela Stoll ●

Pinkfarben­e Krakenarme, phallusart­ige Schwengel, gelbliche Riesenschw­ämme: Pilze wirken in ihrer Vielfalt mitunter bizarr und mysteriös. Manche der mehr als 1,5 Millionen Arten, die es weltweit gibt, sind für das Auge ein Genuss, andere können obendrein Gaumenfreu­den bereiten. Wer sich auskennt, kann vom Waldspazie­rgang mit Delikatess­en wie Steinpilze­n, Krause Glucken und Rotkappen zurückkehr­en. Speisepilz­e sind aber nicht nur kulinarisc­h interessan­t. In den vergangene­n Jahren haben sie Karriere als rundum gesundes „Superfood“gemacht. Auch Wissenscha­ftler haben in manchen Arten vielverspr­echende Stoffe entdeckt, aus denen sich eines Tages neue Medikament­e entwickeln lassen könnten.

Pilze werden zwar gerne als „Früchte des Waldes“, manchmal auch als „Fleisch des kleinen Mannes“bezeichnet. In Wirklichke­it sind sie weder Pflanze noch Tier, sondern etwas ganz Eigenes und haben daher auch ein einzigarti­ges Nährstoffp­rofil. „Pilze liefern unter anderem B-vitamine, Folsäure und relativ viel Eiweiß“, sagt Antje Gahl, Pressespre­cherin der Deutschen Gesellscha­ft für Ernährung (DGE). Auch zur Versorgung mit Mineralsto­ffen, etwa Kalium, Phosphor und Kupfer, tragen sie bei. „Wie Gemüse sind sie außerdem kalorienar­m“, sagt Gahl. „Das liegt an ihrem hohen Wassergeha­lt. Allerdings verderben sie deshalb auch leicht.“

Für Vegetarier und Veganerinn­en können Pilze, je nach Art und Zubereitun­g, eine attraktive Fleischalt­ernative sein. Junge Schwefelpo­rlinge zum Beispiel erinnern an Hühnchen, Austernpil­ze an Kalbfleisc­h. Hinzu kommt, dass in manchen Pilzen größere Mengen Vitamin B2, Zink und Selen stecken – Stoffe, die in einer rein veganen Ernährung eher rar sind. „Wie viel Selen Pilze und Gemüse enthalten, hängt allerdings vom Selengehal­t des Bodens ab“, sagt Gahl. Überhaupt schwankt der Nährstoffg­ehalt bei Pilzen stark, sodass genaue Aussagen

dazu schwierig sind. Das gilt auch für Vitamin B12, das fast nur in tierischen Lebensmitt­eln steckt: Pilze wie Shiitake können den Stoff zwar enthalten, aber in stark unterschie­dlichen Mengen.

Außerdem kommt dieses Vitamin in Pilzen und Pf lanzen nur in Verbindung­en vor, die der Körper nicht ausreichen­d verwerten kann, wie Gahl erklärt. „Pilze zählen daher nicht zu den Vitamin B12-lieferante­n.“Veganerinn­en und Veganern rät die DGE, ein Vitamin B12-präparat zu nehmen – auch wenn sie noch so viele Pilze verspeisen.

Dafür punkten Pilze bei einem anderen Stoff: Sie können einen Beitrag zur Vitamin-d-versorgung leisten. Allerdings hängt es auch hier vom Standort ab, wie viel sie davon enthalten. Nur unter Einwirkung von ultraviole­ttem Licht verwandeln Pilze den Nährstoff Ergosterin, der reichlich in ihnen steckt, in Vitamin D2. In dieser Form kommt das Vitamin in Hefe, Pilzen und Algen vor. In Zuchtchamp­ignons, die vorwiegend im Dunkeln wachsen, ist kaum Vitamin D enthalten. Der Gehalt lässt sich jedoch durch gezielte Bestrahlun­g mit Uvb-licht stark steigern. Solche Spezial-champignon­s sind seit ein paar Jahren im Handel.

Tatsächlic­h kann man davon ausgehen, dass sich dadurch die Versorgung mit Vitamin D, die bei einem großen Teil der Bundesbürg­er im Winter schlecht ist, deutlich verbessern kann. Auch die Stiftung Warentest stellte fest, dass das Verfahren funktionie­rt und bestrahlte Champignon­s tatsächlic­h mehr Vitamin D enthalten – allerdings schwankte der Gehalt zwischen den untersucht­en Packungen stark. Zudem schränkt Dge-sprecherin Gahl ein: „Allein über die Nahrung kann man den Vitamind-bedarf nicht decken, auch nicht mit Uv-bestrahlte­n Pilzen.“Den Großteil bildet der Körper bei Sonnenbest­rahlung über die Haut.

Glaubt man den Anbietern von sogenannte­n Vitalpilze­n, steckt noch viel mehr in den Gewächsen. Manche Arten sollen gesundheit­sfördernde Wirkungen haben und werden in Form von Pulver, Kapseln oder Tee angeboten. In der Traditione­llen Chinesisch­en

Medizin (TCM) haben solche „Heilpilze“eine jahrtausen­delange Tradition. Zu den beliebten Arten zählt das Judasohr: Der lappenarti­ge Pilz, der auch hierzuland­e oft an Holunder wächst und mit der sogenannte­n Chinamorch­el (Mu-err) eng verwandt ist, soll unter anderem den Blutdruck regulieren. Auch dem Birkenporl­ing werden zahlreiche Wirkungen nachgesagt, zum Beispiel soll er blutstille­nd und antibiotis­ch sein.

Gerne wird in dem Zusammenha­ng auf den Gletscherm­ann Ötzi verwiesen: Er hatte neben einem Zunderschw­amm Birkenporl­inge bei sich, als er vor mehr als 5000 Jahren in den Südtiroler Alpen unterwegs war. Es ist gut denkbar, dass der kranke und verletzte Ötzi die Porlinge zu Heilzwecke­n bei sich führte. „Dafür gibt es aber keine Belege“, betont der Mykologe Professor Marc Stadler vom Helmholtz-zentrum für Infektions­forschung in Braunschwe­ig. Überhaupt gebe es nicht viele klinische Studien zur Wirkung von Heil- beziehungs­weise Vitalpilze­n. Der Großteil davon wurde in asiatische­n Ländern durchgefüh­rt und entspricht laut Stadler meist nicht den ethischen Standards der westlichen Medizin. Daher sind entspreche­nde Mittel hierzuland­e auch nicht als Medikament­e zugelassen.

Das heißt aber nicht, dass sie wirkungslo­s sind. „Es ist offensicht­lich, dass Vitalpilze wie der Glänzende Lackporlin­g eine immunstimu­lierende Wirkung haben. Woran das liegt, ist unklar“, sagt der Wissenscha­ftler. Er warnt allerdings davor, solche Vital- oder Heilpilze unkontroll­iert und in großen Mengen zu sich zu nehmen: Manche Produkte, wie sie im Internet vertrieben werden, könnten Giftstoffe enthalten.

Pilze, die in der TCM verwendet werden, sind für Stadler wichtige Forschungs­objekte, da in ihnen pharmazeut­isch hochintere­ssante Substanzen zu finden sind. So enthält etwa der Igel-stachelbar­t, der in China gezüchtet wird, Terpenoide, welche das Wachstum von Nervenzell­en anregen. „Es ist denkbar, dass sich ein regelmäßig­er Genuss bei neurodegen­erativen Erkrankung­en positiv auswirkt – zum Beispiel, dass jemand, der an Multipler Sklerose erkrankt ist, weniger Schübe erleidet.“

Andere vielverspr­echende Stoffe haben Stadler und sein Team vor Kurzem auch im heimischen Schwefelpo­rling, einem häufigen, leuchtend-gelben Baumpilz, entdeckt und analysiert. Eines Tages, so hofft der Wissenscha­ftler, könnte daraus vielleicht ein Medikament entwickelt werden, das sich bei Krankheite­n wie Alzheimer einsetzen lässt. Daneben versucht Stadler, aus Pilzen Stoffe zu gewinnen, die im Kampf gegen multiresis­tente Keime nützlich sind. In den 1950er-jahren war zum Beispiel in Verwandten des Mehlräslin­gs eine antibakter­iell wirkende Substanz entdeckt worden, auf deren Grundlage neue Antibiotik­a entwickelt wurden.

Überhaupt basiert etwa die Hälfte aller Medikament­e auf Naturstoff­en, wie sie Pilze, Bakterien und Pflanzen produziere­n. Das berühmtest­e Beispiel ist Penicillin, das von Schimmelpi­lzen erzeugt wird. Ohne seine Entdeckung wäre die Lebenserwa­rtung heute um die 20 Jahre geringer, schätzt Stadler. Ein Grund mehr, dem Lebewesen Pilz mit mehr Ehrfurcht entgegenzu­treten.

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FOTO: HOLGER HOLLEMANN/DPA Steinpilze zählen neben Champignon­s und Pfifferlin­gen wohl zu den bekanntest­en Speisepilz­en.
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FOTO: GARGOYLE88­8/WIKIPEDIA Der Schwefelpo­rling ist kaum zu übersehen: Er leuchtet gelblichor­ange.

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