Schritt für Schritt zu mehr Harmonie
Ein Spaziergang löst Spannungen und Konflikte am besten – Wie das gemeinsame Gehen auf Menschen wirkt
Man geht Schritt für Schritt, spürt seinen eigenen Atem und Puls, riecht das Harz der Bäume, und hört nur das Rauschen der Blätter. Ein Spaziergang im Wald bietet seine ganz eigenen Erlebnisse, und man spürt, wie er Seele und Körper guttut. Aber das liegt nicht nur am Wald, sondern auch an der Aktion selbst: dem Spaziergang. Und man sollte ihn am besten mit jemand anders unternehmen, denn das fördert die zwischenmenschliche Harmonie.
Ein Forscherteam um Chiahuei Tseng von der japanischen Tohoku University rekrutierte 153 Paare, deren Mitglieder zwar das gleiche Geschlecht hatten, aber ansonsten nichts voneinander wussten und sich nie zuvor gesehen hatten. Sie saßen entweder gemeinsam in einem Raum, oder aber sie gingen spazieren, wobei per Bewegungssensoren ihre Schrittfrequenzen erfasst wurden. Die gelaufene Strecke betrug 350 Meter, und die eine Hälfte der Probanden durfte beim Gehen miteinander sprechen, die andere nicht. Am Ende wurden alle Teilnehmer getrennt voneinander befragt, welchen Eindruck sie jeweils von ihrer neuen Bekanntschaft hätten. Das Ergebnis: Die Sympathien füreinander waren deutlich größer, wenn man zu Fuß miteinander unterwegs gewesen war. Und dabei spielte es kaum eine Rolle, ob gesprochen wurde. „Das bloße Nebeneinandergehen reichte schon aus, um von der neuen Bekanntschaft einen positiveren Eindruck zu bekommen“, betont Tseng.
Die Bewegungssensoren zeigten, dass die Probanden während des Spaziergangs ihre Schritte synchronisierten, und dies umso mehr, je sympathischer man sich war. Was freilich nicht heißen muss, dass alle Menschen gleich in positive Empfindungen füreinander ausbrechen, wenn man sie nur eine Weile im Gleichschritt laufen lässt. Ganz zu schweigen davon, dass weibliche Paare in der Studie mehr Gangharmonie an den Tag legten als die Männer, obwohl man das von denen eigentlich – aufgrund ihres traditionellen Bezugs zum militärischen Gleichschritt – mehr hätte erwarten können. Und ältere Probanden synchronisierten schneller als jüngere. „Dies spricht dafür, dass ältere Menschen offener für andere sind“, vermutet Kommunikationsforscher Tseng. Vom berüchtigten Altersstarrsinn jedenfalls ist beim Spaziergang nicht viel zu sehen.
Bleibt die Frage, warum insgesamt ein stillschweigendes Nebeneinanderhergehen mehr zur Harmonie zwischen den Menschen beiträgt, als wenn sie sich sitzend in die Augen schauen. Christine Webb erforscht an der Emory University in Atlanta das Konfliktverhalten der Menschen, und in diesem Zusammenhang ist ihr aufgefallen, dass bei Streitigkeiten oft von Bewegungslosigkeit die Rede ist, wie etwa von Starrsinn und verhärteten Fronten. „Lösen sich hingegen Konf likte auf, wird davon gesprochen, dass die Parteien aufeinander zugehen und Bewegung in die Sache kommt“, so die Psychologin und Evolutionsbiologin.
Der gemeinsame Spaziergang schaffe sowohl „die intra- als auch interpersonellen Voraussetzungen, um Konf likte abzubauen oder sie gar nicht erst aufkommen zu lassen“, erläutert Webb. Die individuelle Psyche der Menschen und ihr Verhältnis zueinander würden also gleichermaßen darauf trainiert, dass sie zueinander finden.
So lässt sich schon bei Kindern beobachten: Sie geraten weniger aneinander, wenn sie ihre Bewegungen synchronisieren. Und im Erwachsenenalter ändert sich daran nur wenig. „Die Synchronizität der Bewegungen überträgt sich auf die Synchronizität der Gefühle und Gedanken“, betont Webb. Wir fühlen uns dann nicht mehr als Einzelkämpfer, der unbedingt seine eigenen Interessen durchboxen will, sondern als Teil eines homogenen Organismus, in dem wir uns geborgen und zu Hause fühlen.
Ganz zu schweigen davon, dass gemeinsame Spaziergänge gerade dann die Perspektive auf einen Menschen verändern können, wenn wir ihn eigentlich als unseren Gegner einschätzen. Denn man steht oder sitzt ihm ja nicht mehr gegenüber, sondern befindet sich Schulter an Schulter an seiner Seite. Wir sehen in ihm nun weniger den Kontrahenten, als vielmehr den Partner, mit dem es ein gemeinsames Problem zu lösen gilt.