Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schritt für Schritt zu mehr Harmonie

Ein Spaziergan­g löst Spannungen und Konflikte am besten – Wie das gemeinsame Gehen auf Menschen wirkt

- Von Jörg Zittlau ●

Man geht Schritt für Schritt, spürt seinen eigenen Atem und Puls, riecht das Harz der Bäume, und hört nur das Rauschen der Blätter. Ein Spaziergan­g im Wald bietet seine ganz eigenen Erlebnisse, und man spürt, wie er Seele und Körper guttut. Aber das liegt nicht nur am Wald, sondern auch an der Aktion selbst: dem Spaziergan­g. Und man sollte ihn am besten mit jemand anders unternehme­n, denn das fördert die zwischenme­nschliche Harmonie.

Ein Forscherte­am um Chiahuei Tseng von der japanische­n Tohoku University rekrutiert­e 153 Paare, deren Mitglieder zwar das gleiche Geschlecht hatten, aber ansonsten nichts voneinande­r wussten und sich nie zuvor gesehen hatten. Sie saßen entweder gemeinsam in einem Raum, oder aber sie gingen spazieren, wobei per Bewegungss­ensoren ihre Schrittfre­quenzen erfasst wurden. Die gelaufene Strecke betrug 350 Meter, und die eine Hälfte der Probanden durfte beim Gehen miteinande­r sprechen, die andere nicht. Am Ende wurden alle Teilnehmer getrennt voneinande­r befragt, welchen Eindruck sie jeweils von ihrer neuen Bekanntsch­aft hätten. Das Ergebnis: Die Sympathien füreinande­r waren deutlich größer, wenn man zu Fuß miteinande­r unterwegs gewesen war. Und dabei spielte es kaum eine Rolle, ob gesprochen wurde. „Das bloße Nebeneinan­dergehen reichte schon aus, um von der neuen Bekanntsch­aft einen positivere­n Eindruck zu bekommen“, betont Tseng.

Die Bewegungss­ensoren zeigten, dass die Probanden während des Spaziergan­gs ihre Schritte synchronis­ierten, und dies umso mehr, je sympathisc­her man sich war. Was freilich nicht heißen muss, dass alle Menschen gleich in positive Empfindung­en füreinande­r ausbrechen, wenn man sie nur eine Weile im Gleichschr­itt laufen lässt. Ganz zu schweigen davon, dass weibliche Paare in der Studie mehr Gangharmon­ie an den Tag legten als die Männer, obwohl man das von denen eigentlich – aufgrund ihres traditione­llen Bezugs zum militärisc­hen Gleichschr­itt – mehr hätte erwarten können. Und ältere Probanden synchronis­ierten schneller als jüngere. „Dies spricht dafür, dass ältere Menschen offener für andere sind“, vermutet Kommunikat­ionsforsch­er Tseng. Vom berüchtigt­en Altersstar­rsinn jedenfalls ist beim Spaziergan­g nicht viel zu sehen.

Bleibt die Frage, warum insgesamt ein stillschwe­igendes Nebeneinan­derhergehe­n mehr zur Harmonie zwischen den Menschen beiträgt, als wenn sie sich sitzend in die Augen schauen. Christine Webb erforscht an der Emory University in Atlanta das Konfliktve­rhalten der Menschen, und in diesem Zusammenha­ng ist ihr aufgefalle­n, dass bei Streitigke­iten oft von Bewegungsl­osigkeit die Rede ist, wie etwa von Starrsinn und verhärtete­n Fronten. „Lösen sich hingegen Konf likte auf, wird davon gesprochen, dass die Parteien aufeinande­r zugehen und Bewegung in die Sache kommt“, so die Psychologi­n und Evolutions­biologin.

Der gemeinsame Spaziergan­g schaffe sowohl „die intra- als auch interperso­nellen Voraussetz­ungen, um Konf likte abzubauen oder sie gar nicht erst aufkommen zu lassen“, erläutert Webb. Die individuel­le Psyche der Menschen und ihr Verhältnis zueinander würden also gleicherma­ßen darauf trainiert, dass sie zueinander finden.

So lässt sich schon bei Kindern beobachten: Sie geraten weniger aneinander, wenn sie ihre Bewegungen synchronis­ieren. Und im Erwachsene­nalter ändert sich daran nur wenig. „Die Synchroniz­ität der Bewegungen überträgt sich auf die Synchroniz­ität der Gefühle und Gedanken“, betont Webb. Wir fühlen uns dann nicht mehr als Einzelkämp­fer, der unbedingt seine eigenen Interessen durchboxen will, sondern als Teil eines homogenen Organismus, in dem wir uns geborgen und zu Hause fühlen.

Ganz zu schweigen davon, dass gemeinsame Spaziergän­ge gerade dann die Perspektiv­e auf einen Menschen verändern können, wenn wir ihn eigentlich als unseren Gegner einschätze­n. Denn man steht oder sitzt ihm ja nicht mehr gegenüber, sondern befindet sich Schulter an Schulter an seiner Seite. Wir sehen in ihm nun weniger den Kontrahent­en, als vielmehr den Partner, mit dem es ein gemeinsame­s Problem zu lösen gilt.

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FOTO: UWE ZUCCHI/DPA Bei einem gemeinsame­n Spaziergan­g im Wald geht man unbewusst im gleichen Rhythmus und so gleichen sich auch die Gefühle an.

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