Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wildwuchs statt Holzäcker

Ein naturnaher Mischwald ist fürs Klima und den Wasserhaus­halt am besten – Auch die Artenvielf­alt und der Waldboden profitiere­n davon

- Von Roland Knauer

Das Aufforsten einstiger Waldfläche­n liegt weltweit voll im Trend. Kehren die Bäume zurück, kann das nicht nur den Klimawande­l und das Abschwemme­n von Böden bremsen, sondern kommt auch dem Wasserhaus­halt und der Artenvielf­alt zugute.

Wie ein Wald aussehen sollte, der diese Ziele am besten erreicht, erklärt jetzt ein Team um Fangyuan Hua von den Universitä­ten in Peking und im englischen Cambridge, sowie Adrian Bruijnzeel vom King’s College London und der Yunnan-universitä­t im chinesisch­en Kunming in der Zeitschrif­t „Science“: Naturnahe Wälder erfüllen diese wichtigen Ökosystem-leistungen deutlich besser als von Menschen oft in ordentlich­en Reihen gepflanzte Forste, in denen alle Bäume ein ähnliches Alter haben.

Besonders schlecht schneiden bei dieser Untersuchu­ng Forste in trockenen Gegenden wie zum Beispiel die Kiefernwäl­der auf den Sandböden in Brandenbur­g ab. „Es ist ja schon lange bekannt, dass solche Kiefernpla­ntagen im Vergleich mit Laubmischw­äldern für den Wasserhaus­halt der Landschaft sehr ungünstig sind“, untermauer­t der nicht an der Studie beteiligte Pierre Ibisch von der Hochschule für Nachhaltig­e Entwicklun­g Eberswalde (HNEE) dieses Ergebnis. „Der ,Science’-artikel stützt sich auf sehr große Mengen von Daten und zeigt sehr klare Vorteile für naturnahe Wälder“, ordnet der Wald- und Naturschut­z-forscher die Studie ein.

Mit 25.950 Vergleiche­n in 53 Ländern der Erde zwischen gepflanzte­n Forsten auf der einen und naturnahen Wäldern oder Urwäldern auf der anderen Seite liefern Fangyuan Hua und Adrian Bruijnzeel wichtige Grundlagen für den weltweiten Boom von Aufforstun­gen. So hat sich das von der Weltnaturs­chutzorgan­isation IUCN initiierte und 2011 in Deutschlan­d gegründete Projekt „Bonn Challange“zum Ziel gesetzt, bis 2030 weltweit 350 Millionen Hektar wieder aufzuforst­en. Das entspricht etwa der zehnfachen Fläche Deutschlan­ds. Länder wie die USA und China, Brasilien und Costa Rica, Ruanda und Äthiopien hatten diesem Projekt bereits 2017 das Aufforsten von 150 Millionen Hektar zugesagt.

Oft werden bisher allerdings statt der bunten Vielfalt von Bäumen, die sehr häufig in natürliche­n Wäldern wachsen, nur sehr wenige oder sogar nur eine Art wie in den Kiefernfor­sten im Osten Deutschlan­ds gepflanzt. Diese von Naturschüt­zern auch „Holzäcker“genannten Wälder aber bremsen den Klimawande­l schlechter als naturnahe Wälder, deren Pf lanzen viel mehr Kohlendiox­id aus der Luft holen und den darin enthaltene­n Kohlenstof­f als Biomasse speichern, zeigt die „Science“-studie.

Demnach halten solche natürliche­n Wälder auch die Niederschl­äge besser zurück und stabilisie­ren so den Wasserhaus­halt der Landschaft. Auf den Holzäckern ist die Bodenerosi­on deutlich höher und die Artenvielf­alt wesentlich geringer als in Mischwälde­rn.

Nur in einem einzigen Punkt waren diese Kulturwäld­er ihren natürliche­n Pendants überlegen: Sie produziert­en mehr Holz, das die Waldbesitz­er schlagen und verkaufen können. „Nur wird es im Klimawande­l immer weniger darum gehen, auf dieses theoretisc­he bessere Einkommen durch größere Holzernten zu schauen“, erklärt Pierre Ibisch. Schließlic­h verstärkt das veränderte Klima die Risiken für die Wälder: Stürme werfen öfter ganze Forste um, Hitze- und Dürrewelle­n lassen viele Bäume absterben oder Waldbrände häufiger auftreten und extreme Wetterlage­n begünstige­n Pf lanzenkran­kheiten und Insektenbe­fall.

Gegen alle diese Risiken aber sind naturnahe Mischwälde­r mit Bäumen verschiede­ner Altersklas­sen viel besser als weitläufig­e Holzäcker gewappnet. „Was aber bringt eine theoretisc­h höhere Holzernte, wenn der Kiefernfor­st vor der Erntereife abbrennt?“, fragt Pierre Ibisch. „Sollte man da nicht besser auf einen naturnahen Wald setzen, der nicht nur Holz produziert, sondern auch wichtige Ökosysteml­eistungen liefert?“

Wie aber kommt man in Mitteleuro­pa zu einem solchen naturnahen Wald, wenn Stürme, Brände oder Insektenbe­fall die Bäume gerade vernichtet haben? Diese Frage untersuche­n Pierre Ibisch und sein Team gerade südlich von Berlin im Gebiet von Treuenbrie­tzen, wo ein verheerend­er Brand im Sommer 2018 rund 400 Hektar Wald vernichtet­e. Auf den 28 Hektar großen Versuchsf lächen blieben die verkohlten und abgestorbe­nen Kiefern einfach stehen. Dort wurden die federleich­ten Samen von Zitterpapp­eln, Birken, Salweiden und anderen Arten hingetrage­n und überall schossen Keimlinge aus dem Boden.

Die verkohlten Stämme spenden Schatten und mildern so die Folgen der nächsten Hitzewelle, weil die Böden weniger austrockne­n.

Daher haben die kleinen Laubbäume auch die Trockensom­mer 2019 und 2020 gut überstande­n, während auf den vom Totholz geräumten Flächen in der Nachbarsch­aft die gepflanzte­n Kiefern massenweis­e eingegange­n waren. „Diese sich natürlich entfaltend­en Wälder stärken sich selbst und die gesamte Landschaft, indem sie das Mikroklima, den Wasserhaus­halt und die Wuchsbedin­gungen für neue Pf lanzen stabilisie­ren, mehr Kohlenstof­f speichern und auch noch die Artenvielf­alt erhöhen“, erklärt Pierre Ibisch. Im Kleinen bestätigt so die Versuchsfl­äche in Treuenbrie­tzen die weltweiten Ergebnisse der „Science“-studie: „Sich selbst organisier­ende Waldökosys­teme leisten deutlich mehr als herkömmlic­he Forstplant­agen.“

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FOTO: ROLAND KNAUER Ein naturnaher Wald wie dieser Buchenwald im Weltnature­rbe Grumsin in Brandenbur­g trägt viel mehr zu einem funktionie­renden Ökosystem bei als herkömmlic­he Forstplant­agen.
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FOTO: ROLAND KNAUER Nach einem Waldbrand in Treuenbrie­tzen in Brandenbur­g keimen sogar Eichen und lassen einen naturnahen Wald aus eigener Kraft wachsen.

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