Staatsanwalt sieht Verrohung der Protestkultur
Ausschreitungen und Blockaden müssen im Interesse der Demokratie geahndet werden, findet Alexander Boger
- Mit den unangemeldeten Demonstrationen während der Corona-pandemie hat sich etwas in der Protestkultur in Oberschwaben verändert. Es komme seither bei öffentlichen Versammlungen immer öfter zu Straftaten, beklagt der Leiter der Ravensburger Staatsanwaltschaft, Alexander Boger. Die Aggressivität sei hoch, Demonstranten seien nicht mehr empfänglich für Argumente der Gegenseite und lehnten den Staat zum Teil komplett ab. Straftaten, wie kürzlich bei Bauernprotesten in Biberach, müssten konsequent geahndet werden – das sei im Interesse der Demokratie, findet er.
Bei der politischen Auseinandersetzung und Protestkultur hat der Leitende Oberstaatsanwalt Boger in den vergangenen Jahren eine Verrohung festgestellt, wie er bei einer Jahrespressekonferenz der Staatsanwaltschaft am Dienstag erklärt. Zum Beispiel komme es bei politischen Diskussionen im Internet oder in Chatgruppen immer häufiger zu ehrverletzenden Äußerungen.
Vor allem bei öffentlichen Demonstrationen und Protesten sieht er eine Veränderung. „Dass bei Demonstrationen Straftaten begangen werden, kenne ich von früheren Protesten nicht“, sagt Boger. „Verstöße gegen das Versammlungsrecht – das hat mit Corona angefangen“, so Boger. Damals waren Tausende Menschen in Ravensburg und anderen Städten der Region ohne erforderliche Anmeldung der Versammlung auf die Straße gegangen, um gegen staatliche Corona-schutzmaßnahmen zu demonstrieren. Generell stellt er fest: „Es fehlt die Bereitschaft, die Gegenseite zu hören. Es wird nicht mit dem Ziel der Diskussion demonstriert.“
Ebenfalls während der Coronapandemie kam es zu ersten Protesten der Klimaaktivisten in Ravensburg, im Mai 2021 nicht angemeldet und mit der Blockade der Schussenstraße (B32) als wichtiger Verkehrsader in Ravensburg verbunden. Schließlich holten Spezialkräfte der Polizei die Aktivisten von einem Seil, das sie über die Straße gespannt und sich dort festgemacht hatten. Am 8. März 2024 blockierten Aktivisten in Ravensburg erneut die B32, indem sie sich von einer Brücke abseilten und mit Bannern gegen verbale Übergriffe auf Frauen demonstrierten. Die Gruppe bezeichnete sich selbst als Unterstützer
der Klimaaktivisten aus dem Altdorfer Wald.
Boger beklagt darüber hinaus, dass Behörden- und Gerichtsentscheidungen offenbar nicht mehr respektiert würden. Als Beispiel für dieses Verhalten nennt er die Äußerung des namentlich bekannten Aktivisten Samuel Bosch, er werde seine dreiwöchige Haftstrafe dieser Tage bewusst nicht antreten, weil er seinem Engagement für den Klimaschutz nachgehen müsse. Der „Sinn“oder das Motiv f ließen in eine Einschätzung der Strafverfolgungsbehörde aber nicht ein. „Die Klimaaktivisten
sagen: Wir machen das ja für was Gutes! Aber das bewerten wir nicht“, erklärt Boger.
Als drittes Beispiel für seine These zur Verrohung der Protestund Diskussionskultur nennt Boger die Bauernproteste beim geplanten, dann aber wegen der Krawalle abgesagten politischen Aschermittwoch der baden-württembergischen Grünen in Biberach 2024. Boger spricht von einer auffällig hohen Aggressivität, die dort seiner Einschätzung nach herrschte. „Bei diesem Protest wurden auch einige Straftaten begangen“, so der Leiter der Staatsanwaltschaft.
Es laufen seinen Angaben zufolge 41 Ermittlungsverfahren, in 23 Fällen habe die Polizei Verdächtige ermitteln könne. Das Ziel der Staatsanwaltschaft sei es, diese Fälle zügig aufzuarbeiten. „Es geht nicht, so was zu dulden.“
Im Grundsatz stimmt auch der Anwalt Claus Schulz, der in Ravensburg die Klimaaktivisten rechtlich vertritt, der Beobachtung Bogers zu. Er sehe es auch so, dass eine Verrohung stattfinde, sagt Schulz auf Anfrage der Redaktion. Aber der Behördenleiter habe zum Teil falsche Beispiele
genannt, findet Schulz. Die Staatsanwaltschaft sei gegenüber den Klimaaktivisten „intolerant und verbittert“. Eine Straftat sei dann gegeben, wenn zum Beispiel Gesundheit oder Eigentum von anderen verletzt werden. „Was macht es, wenn einer auf den Baum steigt?“, fragt Schulz. Anders sei das in Biberach gewesen, wo gewalttätige Demonstranten vor Ort gewesen seien. „Da wurde Angst und Schrecken verbreitet“, so Schulz. Boger führte zu seiner Beobachtung am Dienstag weiter aus: Dass Gesetze, Behördenentscheidungen und sogar der Staat als Ganzes und seine Vertreter abgelehnt werden, gipf le im Verhalten der „Reichsbürger“. Er betont dabei allerdings, dass er die Protestgruppen nicht alle in einen Topf werfen will, schon gar nicht mit „Reichsbürgern“.
Grundsätzlich führt der Leiter der Staatsanwaltschaft aus, dass das Versammlungsrecht und die Meinungsfreiheit hohe Güter seien. „Aber der Staat muss sagen, wo die Grenzen sind“, so Boger. Aus seiner Sicht wäre die Demokratie gefährdet, wenn man solche Regeln nicht mehr durchsetzt.