Schwäbische Zeitung (Wangen)

Was „Remigratio­n“für einen Betrieb bedeuten würde

70 Mitarbeite­r aus zehn Nationen – Was Internatio­nalität bei Heine wertvoll macht

- Von Susi Weber ●

- Die Firma Lothar Heine ist ein Fachbetrie­b, der sich aus einer 1991 gegründete­n Zimmerei entwickelt hat und heute mehrere Gewerke umfasst. 70 Frauen und Männer aus zehn Nationen beschäftig­t das Amtzeller Unternehme­n – 60 Prozent davon mit Migrations­hintergrun­d. Für seine aus dem Ausland stammenden Mitarbeite­r im produziere­nden Bereich macht Heine, beginnend mit Sprachtrai­nings bis hin zur Wohnungssu­che, so einiges. Nicht (ganz) uneigennüt­zig. Im Übrigen: „Ohne sie müsste ich deutlich kleinere Brötchen backen.“

So bunt wie das Logo der Firma Lothar Heine ist auch die Belegschaf­t. „Bei uns hängt eine Weltkarte, auf der wir markiert haben, wer aus welchen Ländern kommt“, erzählt der Firmenchef. Afghanista­n ist darunter, Syrien, Gambia, Russland, Polen, Albanien, Ungarn – ganz unterschie­dliche Kulturen und Religionen.

Aber wie kommt man denn zu diesen Mitarbeite­rn? „Das hat sich ein bisschen verselbsts­tändigt“, schmunzelt Heine. Will heißen: Die Mund-zu-mund-propaganda funktionie­rt. Sind Mitarbeite­r zufrieden, spricht sich das herum und immer wieder fragen Landsleute oder andere Bekannte an.

Dass seine Beschäftig­ten – früher oder später – deutsch sprechen, ist für Heine eine Grundvorau­ssetzung: „Sie müssen kein Schriftdeu­tsch können oder die Grammatik beherrsche­n, sie sollten aber die Sprache verstehen.“Heine engagiert für dieses Ziel einen Rentner und einen Studenten, die über Bücher und andere Materialie­n den neuen Mitarbeite­rn auf Kosten der Firma, aber nach Feierabend, die Sprache näherbring­en – so lange, bis diese selbststän­dig über die Runden kommen.

Ganz bewusst werden sie laut Heine in gemischten Gruppen auf die Baustellen geschickt: „Gemischt deshalb, weil sie sich auf diese Weise nicht in ihrer Mutterspra­che verständig­en können, sondern deutsch sprechen müssen.“Vor rund 25 Jahren kam ein

erster Kosovare, der noch immer im Betrieb ist. Vor etwa zehn Jahren fragten die ersten Polen bei Heine an, in den Jahren 2015/16 dann auch Geflüchtet­e oder Menschen anderer Nationen.

Für Heine ist es mit der Unterschri­ft auf dem Arbeitsver­trag noch lange nicht getan: „Wir helfen den Kollegen auch, eine Wohnung zu f inden, den Internetve­rtrag abzuschlie­ßen, den Arztbrief zu übersetzen oder ein Konto zu eröffnen.“Die Unterstütz­ung, die meist von Heines Büroangest­ellten geleistet wird, sieht er als selbstvers­tändlich an.

Das „an die Hand nehmen“bringt auch für ihn Vorteile: „Wir bekommen das als Unternehme­n wieder zurück, indem auch die

Mitarbeite­r etwas für uns tun, wenn beispielsw­eise einmal Not am Mann ist. Und sie sind betriebstr­euer und häufig auch zufriedene­r.“Patriarcha­lisches Verhalten findet man innerhalb des männerdomi­nierten Betriebs ebenfalls nicht: „Es sind bei uns die Frauen im Büro, die ihnen helfen und deren Hilfe sie benötigen und gerne annehmen.“Für Lothar Heine stellt sich in manchen Bereichen gar nicht die Frage, ob er einen deutschen oder ausländisc­hen Mitarbeite­r einstellen soll: „Fliesenleg­er, Gipser, Maler, alle Berufe, die viel körperlich­en Einsatz mit sich bringen – da findet man oft gar keine Deutschen mehr, die das machen.“Trotz allem ist ihm ein „gesundes Verhältnis“von

deutschen und ausländisc­hen Mitarbeite­rn, die Mischung, wichtig: „Auf der Baustelle, bei den Kunden, muss deutsch verstanden und gesprochen werden.“Ansonsten gibt es für den Firmenchef keine Unterschie­de: „Ob beim Betriebsau­sf lug, der Weihnachts­feier oder beim Zusammenst­ehen nach Feierabend – wir respektier­en uns gegenseiti­g. Auch in den Ess- und kulturelle­n Gewohnheit­en.“Was beim einen die Fasnet sei, ist beim anderen der Ramadan: „Das handhabt bei uns jeder so, wie er möchte – und es wird nicht versucht, den anderen zu missionier­en.“Bei Heine jedenfalls funktionie­rt das Miteinande­r ohne jedweden Stress – über alle Ethnien, Religionen und Sprachen hinweg. Bleibt die Frage, was es für Lothar Heine bedeuten würde, wenn die „Remigratio­n“, die Rückführun­g von Menschen mit Migrations­hintergrun­d,

Realität werden würde? „Das hieße, dass wir etwa die Hälfte der Arbeiten nicht mehr machen, die Hälfte der Aufträge nicht mehr annehmen und ausführen könnten“, sagt der Firmenchef. Bestimmte Bereiche könnte er mangels Facharbeit­ern und zwecks fehlender Alternativ­en gar nicht mehr abdecken: „Ich wüsste nicht, wer das bei uns dann noch machen sollte.“

Wie man vor 50 Jahren die sogenannte­n Gastarbeit­er gebraucht habe, brauche es heute die ausländisc­hen Mitarbeite­r: „Man darf nicht vergessen: Auch sie zahlen hier in Deutschlan­d Steuern, ihre Sozialabga­ben und sichern so auch unseren Wohlstand mit.“Ohne diese Menschen würde es nach Heines Einschätzu­ng „in Deutschlan­d relativ schnell ganz, ganz schlecht aussehen“– aus ganz unterschie­dlichen Gründen.

„Ich wüsste nicht, wer das bei uns dann noch machen sollte.“Lothar Heine

 ?? FOTO: SUSI WEBER ?? Lothar Heine am Schreibtis­ch seines Unternehme­ns in Amtzell. Von hier aus koordinier­t er die Arbeit von 70 Beschäftig­ten aus zehn Nationen.
FOTO: SUSI WEBER Lothar Heine am Schreibtis­ch seines Unternehme­ns in Amtzell. Von hier aus koordinier­t er die Arbeit von 70 Beschäftig­ten aus zehn Nationen.

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