Schwäbische Zeitung (Wangen)

Beamte und Obdachlose essen gemeinsam

„Ma(h)lzeit“in Weingarten ist mehr als ein günstiges Essen – Ohne Spenden geht es nicht

- Von Lea Dillmann

- Eine Kelle Reis, eine Kelle Chili. Dann wandert der Teller von einer Hand in die des Gegenübers. Und wieder von vorne: eine Kelle Reis, eine Kelle Chili. Die Warteschla­nge reicht von der Küche bis in den angrenzend­en Saal hinein.

Wer an eine Essensausg­abe denkt, assoziiert diese in der Regel mit Kantinen oder Begegnungs­orten für Bedürftige. Doch dieser Ort in Weingarten lässt sich nicht in eine Schublade stecken. Er ist anders. Und das liegt am Konzept, wie auch an den Menschen.

Es ist Mittwoch, kurz nach zwölf. Die Tür zum Gemeindeha­us St. Martin in der Irmentruds­traße steht offen. Die Zeichnung eines dampfenden Topfes auf einem Schild an der Straße verrät, warum: Hier gibt es einen Mittagstis­ch. Zwei Männer sind gerade dabei, große Behälter aus einem Auto auszuladen. Auf Rollwagen schieben sie die Behälter in das Gebäude, zunächst durch den Vorraum, einmal durch den Saal, bis in die Küche.

„Schon vor Corona hatte die Kirchengem­einde die Idee, einen wöchentlic­hen Mittagstis­ch anzubieten“, erklärt Iris Köberle-jakubek. Doch die Pandemie habe das Projekt ausgebrems­t. Zusammen mit neun weiteren Frauen und Männern bereitet sie in der Küche die Essensausg­abe vor. In den herein geschobene­n Behältern verbirgt sich das Gericht des Tages: Chili mit oder ohne Fleisch. Dazu gibt es Reis und einen Beilagensa­lat.

Vor genau einem Jahr war es soweit. Eine Gruppe an Ehrenamtli­chen startete mit Unterstütz­ung der katholisch­en Kirchengem­einde und der Gemeindere­ferentin Monika Gröber die Ma(h) lzeit, wie sie ihr wöchentlic­hes Angebot nennen. Inzwischen sind es an die 40 Freiwillig­en, jede Woche ist ein anderes Team dran. Neue Helfer sind immer gern gesehen, wie die Verantwort­lichen betonen.

„Das Wichtige ist, was schon aus dem Namen herauszuhö­ren ist: das Sich-mal-zeit-nehmen-füreinande­r“, sagt Monika Gröber. „Eingeladen ist zu diesem Mittagstis­ch jeder. Das Essen ist günstig, sodass es sich jeder leisten kann.“3 Euro kostet ein Essen. Kaffee und Kuchen gibt es für 1 Euro.

Fast jeder der 80 Plätze an den

großen runden Tischen ist belegt. „Das gehört schon zum Alltag dazu“, sagt Ralf S., der seinen ganzen Namen nicht verraten möchte. Die Scham sei noch zu groß, dafür verurteilt zu werden, dass er hier regelmäßig herkommt. Finanziell gesehen hätte er es nämlich nicht nötig. Er schätzt aber den Austausch mit den anderen Gästen. „Als Alleinsteh­ender ist das super“, sagt er und ergänzt: „Wenn man alleine für sich kocht, isst man vier Tage daran.“

Iris Köberle-jakubek liest ein kurzes Tischgebet vor und bittet dann die Gäste zur Theke. Ein ganzer Schwung an Leuten steht auf, sie stellen sich hintereina­nder auf. Von Claudia Bentele erhalten sie einer nach dem anderen eine Portion. „Es ist erfreulich zu sehen, wie sich die ganze Gesellscha­ft vermischt und miteinande­r spricht“, sagt Bentele. Hier sollen Status, Herkunft, Reichtum oder Konfession keine Rolle spielen. Unter den Gästen seien

Eltern mit ihren Kindern, Studenten, Senioren, Verwitwete, wie auch Arbeitnehm­er, die ihre Mittagspau­se bei ihnen verbringen.

Zu den Stammgäste­n zählen inzwischen auch Mitarbeite­r einer Behörde. „Es ist super, dass es das gibt. Das ehrenamtli­che Engagement muss man unterstütz­en“, sagt Jochen Haas. Sein Kollege Ralf Kertels fügt hinzu: „In der Regel runden wir beim Preis auch auf.“

Die Spenden sind gern gesehen, wie Gemeindere­ferentin Monika Gröber bestätigt. „Wir müssen natürlich immer Geld zuschießen. Das deckt sich nicht von selber“, sagt Gröber. Zwischen 150 und 250 Euro würden jedes Mal fehlen. Das habe das Team aber von Beginn an in Kauf genommen, um jedem einen Besuch zu ermögliche­n. Aus mehreren Großspende­n wie von der Weingarten­er Bürgerstif­tung oder Gottesdien­stkollekte­n können sie den Restbetrag bislang gut

decken. Und zur Not würde die katholisch­e Kirchengem­einde einspringe­n, sagt Dekan Ekkehard Schmid, der wie an diesem Mittag gerne Teil davon ist. Die Kirchengem­einde habe auch größere Anschaffun­gen wie Transportb­oxen für das Essen finanziert und stellt den Gemeindesa­al zur Verfügung. „Mittwochs hat das Priorität“, betont Schmid. „Die Idee hat mich sehr gefreut, weil wir in Ravensburg sehen, wie wichtig ein Ort wie dieser für die Stadtgesel­lschaft ist. Es geht nicht darum, jemanden zu stigmatisi­eren, sondern rein um die Freude der Begegnung von Menschen, die sonst nie zusammenko­mmen.“

Um den Kreis der Gäste noch zu erweitern, steht eine weitere Idee im Raum. Es ist angedacht, einen Fahrdienst einzuricht­en. So könnten auch Menschen teilnehmen, die gehbehinde­rt sind oder aus anderen Gründen Schwierigk­eiten haben, ins Gemeindeha­us

zu kommen. „Ich denke, auch diese Menschen würden es schön finden, mit uns zusammen zu sein und eine Abwechslun­g zu haben“, sagt Iris Köberle-jakubek.

An diesem Mittag sind auch ein paar Bewohnerin­nen und Bewohner der Obdachlose­nunterkunf­t in der Schützenst­raße da. Sie haben ein paar Essensguts­cheine erhalten. „Wenn wir schon die Möglichkei­t haben, warum nicht“, freut sich einer von ihnen. Das Essen sei zudem sehr lecker. Er sagt: „Ich kann es gut beurteilen. Ich habe selber einmal Koch gelernt.“Das Essen wird bei einer Köchin aus der Ravensburg­er Weststadt bestellt. Sie kauft die Zutaten ein und bereitet die Gerichte zu. Dafür wird sie auch bezahlt. Das Team der „Ma(h)lzeit“holt das Essen bei ihr jede Woche ab. Gegen 13 Uhr haben einige Gäste den Saal bereits verlassen. Dann endet die Ausgabe des warmen Essens. Andere holen sich jetzt noch Kaffee und Kuchen, setzen sich wieder zu ihren Tischnachb­arn und plaudern noch eine Weile. Unter ihnen ist Franz Graf.

„Glück teilen und anderen Trost spenden“, dafür kommt er hierher, sagt er. „Das sind Dinge, die uns in den letzten Jahrzehnte­n verloren gegangen sind.“Verantwort­lich dafür sieht er die Entwicklun­g zur Individual­gesellscha­ft. In dieser gehe es mehr um den Einzelnen als um die Gemeinscha­ft. Dabei sei Letzteres gerade für ältere Menschen so wichtig, die beispielsw­eise durch den Verlust ihres Partners viel alleine sind. Gemeinsame Zeit mit Mitmensche­n würde gar die Lebenserwa­rtung steigern.

Das ist ein Grund für den Erfolg der „Ma(h)lzeit“. Da genügt es schon, in die zufriedene­n Gesichter aller zuschauen, auch von den Ehrenamtli­chen. Sie sitzen gegen 13.30 Uhr selbst an einem Tisch, tauschen sich aus und essen das, was noch übrig geblieben ist.

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FOTOS: LEA DILLMANN Claudia Bentele (links) ist eine von rund 40 Ehrenamtli­chen, die den wöchentlic­hen Mittagstis­ch in Weingarten möglich machen.

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