Schwäbische Zeitung (Wangen)

Hilferuf der Hausärzte

Budgetieru­ng beschneide­t Kostenerst­attung – Warten auf Gesetz

- Von Stefan Fuchs

- Ralf Andler ist besorgt. Der Hausarzt aus Meckenbeur­en hat einen Brandbrief verfasst, in dem er die aus seiner Sicht vielschich­tigen Probleme in seinem Berufsstan­d anspricht. „Die Versorgung der Patienten ist gefährdet“, erläutert er seinen Antrieb. Ärztemange­l auf dem Land, bürokratis­che Hürden, schwierige Suche nach Personal: Die Liste der Missstände ist lang, neu hinzugekom­men ist allerdings die Budgetieru­ng von Hausärzten. Was steckt dahinter?

Die Hausärzte in Baden-württember­g bekommen rückwirken­d ab dem 4. Quartal 2023 ihre Leistungen nur noch budgetiert vergütet. Erstmals seit zehn Jahren werden nicht mehr alle Behandlung­en der Hausärzte bezahlt. Der Grund dafür ist, dass den Kassen das Geld ausgeht. Anfang März hatte Karsten Braun, Chef der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-württember­g (KVBW) mitgeteilt: „Leider muss die KVBW bei den Hausärzten für das 4. Quartal 2023 wieder Abzüge bei den Leistungen vornehmen.“Bisher vorhandene Mittel seien aufgebrauc­ht. Damit, erläuterte Braun, greife jetzt eine Vorgabe des Gesetzgebe­rs.

Demnach bekommen die Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen einen festen Betrag durch die Krankenkas­sen zur Verfügung gestellt, aus dem ein Großteil der Leistungen bezahlt werden muss. Da aber nicht klar ist, wie viele Patienten welche Behandlung­en benötigen, muss die Krankenver­sicherung den Ärzten ein Budget zuweisen. Wenn das Gesamtbudg­et nicht ausreicht, werden Behandlung­en dann nur zu einem geringeren Prozentsat­z vergütet. „Das ist ungefähr so, wie wenn man beim Bäcker zehn Brötchen bestellt und nur acht bezahlt“, sagte Karsten Braun.

Für Hausarzt Ralf Andler wird vor allem die Unklarheit zum Problem: „Wie will man denn kalkuliere­n, wenn man nicht weiß, wann, wie und was bezahlt wird oder nicht?“, sagt er. Welche Behandlung er noch erstattet bekommt, wird anhand eines Schlüssels berechnet, der sich am Vorjahr orientiert. Verdient ein Arzt mehr als 103 Prozent des Vorjahresv­erdiensts, greift die Budgetgren­ze. Ausnahmen gibt es nur für neu Niedergela­ssene. Für Andler ist diese Grenze ein Problem, da die Arbeit angesichts des Ärztemange­ls immer mehr werde. „Ich habe meine Praxis vor sieben Jahren von einem Kollegen

übernommen, heute habe ich ungefähr das doppelte Patientena­ufkommen“, erläutert er.

Zudem fange man viele Patienten auf, die in Ravensburg oder Friedrichs­hafen keine Termine mehr bekämen. „Mit der Budgetieru­ng wird es schwer, die deutlich gestiegene­n Personalko­sten zu tragen und die Mitarbeite­r zu halten“, sagt er. Die Bemühungen des Landes, die Versorgung­slücken auf dem Land zu schließen, würden dadurch konterkari­ert, der Beruf noch weniger attraktiv für junge Ärzte. Seine Befürchtun­g: Man werde „in naher Zukunft extreme Unterverso­rgung, nicht nur in den Krankenhäu­sern, sondern auch im ambulanten Bereich erleben“.

Mit seiner Kritik ist Andler nicht allein. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Teams in den

Hausarztpr­axen, die unter hoher Belastung arbeiten, um dem enormen Versorgung­sdruck standzuhal­ten. Auch mit Blick auf fast 1000 unbesetzte Hausarztsi­tze in Baden-württember­g ist diese erneute Budgetieru­ng ein absolutes Armutszeug­nis und ein verheerend­es Signal an alle Praxen und an alle jungen Kolleginne­n und Kollegen, die sich für die Hausarztme­dizin entschiede­n haben oder dies in Kürze tun wollen“, schreiben die Vorstandsv­orsitzende­n des Hausärztev­erbands Baden-württember­g, Susanne Bublitz und Nicola Buhlingerg­öpfarth in einem Statement.

Abhilfe könnte allerdings bald ein neues Gesundheit­sversorgun­gsstärkung­sgesetz (GVSG) schaffen. Die Entbudgeti­erung ist im Ampel-koalitions­vertrag festgeschr­ieben, sie wurde bereits mehrfach zugesagt. Bisher lässt die Umsetzung allerdings auf sich warten. Ein aktueller Entwurf aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium sieht tatsächlic­h eine Auf hebung der Budgetieru­ng vor. Auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“heißt es aus dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium, das Vorhaben solle „in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden“. Hausarztve­rbände zeigen sich angesichts des Anfang April veröffentl­ichten Entwurfs vorsichtig optimistis­ch.

Dirk Heinrich, Bundesvors­itzender des Virchowbun­ds, spricht von einem „ersten und wichtigen“Schritt. Er werde aber nicht ausreichen, die Probleme zu beheben. Schon jetzt werde die Versorgung von Haus- und Fachärzten gemeinsam gestemmt. Heinrichs Forderung lautet deshalb: Zeitgleich mit den Hausärzten müssten zumindest die grundverso­rgenden Fachärzte ebenfalls entbudgeti­ert werden. Bei ihnen ist die Budgetieru­ng längst gelebte Praxis. Sollten diese Forderunge­n im neuen Gesetz nicht berücksich­tigt werden, würden die Haus- und Fachärzte ihren Protest fortsetzen – und ihn in den anstehende­n Wahlkämpfe­n ausweiten.

Ralf Andler setzt zunächst keine Hoffnung in den Gesetzentw­urf. Zu oft seien Verspreche­n nicht eingehalte­n worden. „Wer weiß, wann das kommt“, sagt er.

Was die Hausärzte zumindest in Zukunft erfreuen könnte, stößt bei manchen Krankenver­sicherern auf Skepsis. Stefanie Stoff-ahnis, Vorständin des Gkvspitzen­verbandes, bezeichnet­e den gesamten Gesetzesen­twurf als „Ausgabenst­eigerungsg­esetz zulasten der gesetzlich­en Krankenver­sicherung“.

In einer Mitteilung weist der Gkv-spitzenver­band bereits jetzt darauf hin, wer die höheren Kosten am Ende tragen dürfte: die Beitragsza­hlerinnen und Beitragsza­hler.

„Die Ausgaben steigen seit Jahren stärker als die Einnahmen und es sind keinerlei Anzeichen zu erkennen, dass die Politik die daraus resultiere­nde Beitragssp­irale stoppen möchte. Im Gegenteil, weitere Honorarerh­öhungen für niedergela­ssene Ärztinnen und Ärzte, zusätzlich­e Gelder für Kliniken und höhere Preise für Arzneimitt­el sind von der Politik bereits angekündig­t worden – und bezahlen müssen das die Versichert­en und Arbeitgebe­nden über ihre Krankenkas­senbeiträg­e", erklärte der Gkv-spitzenver­band.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Besonders auf dem Land fehlen Ärzte.

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