Hilferuf der Hausärzte
Budgetierung beschneidet Kostenerstattung – Warten auf Gesetz
- Ralf Andler ist besorgt. Der Hausarzt aus Meckenbeuren hat einen Brandbrief verfasst, in dem er die aus seiner Sicht vielschichtigen Probleme in seinem Berufsstand anspricht. „Die Versorgung der Patienten ist gefährdet“, erläutert er seinen Antrieb. Ärztemangel auf dem Land, bürokratische Hürden, schwierige Suche nach Personal: Die Liste der Missstände ist lang, neu hinzugekommen ist allerdings die Budgetierung von Hausärzten. Was steckt dahinter?
Die Hausärzte in Baden-württemberg bekommen rückwirkend ab dem 4. Quartal 2023 ihre Leistungen nur noch budgetiert vergütet. Erstmals seit zehn Jahren werden nicht mehr alle Behandlungen der Hausärzte bezahlt. Der Grund dafür ist, dass den Kassen das Geld ausgeht. Anfang März hatte Karsten Braun, Chef der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-württemberg (KVBW) mitgeteilt: „Leider muss die KVBW bei den Hausärzten für das 4. Quartal 2023 wieder Abzüge bei den Leistungen vornehmen.“Bisher vorhandene Mittel seien aufgebraucht. Damit, erläuterte Braun, greife jetzt eine Vorgabe des Gesetzgebers.
Demnach bekommen die Kassenärztlichen Vereinigungen einen festen Betrag durch die Krankenkassen zur Verfügung gestellt, aus dem ein Großteil der Leistungen bezahlt werden muss. Da aber nicht klar ist, wie viele Patienten welche Behandlungen benötigen, muss die Krankenversicherung den Ärzten ein Budget zuweisen. Wenn das Gesamtbudget nicht ausreicht, werden Behandlungen dann nur zu einem geringeren Prozentsatz vergütet. „Das ist ungefähr so, wie wenn man beim Bäcker zehn Brötchen bestellt und nur acht bezahlt“, sagte Karsten Braun.
Für Hausarzt Ralf Andler wird vor allem die Unklarheit zum Problem: „Wie will man denn kalkulieren, wenn man nicht weiß, wann, wie und was bezahlt wird oder nicht?“, sagt er. Welche Behandlung er noch erstattet bekommt, wird anhand eines Schlüssels berechnet, der sich am Vorjahr orientiert. Verdient ein Arzt mehr als 103 Prozent des Vorjahresverdiensts, greift die Budgetgrenze. Ausnahmen gibt es nur für neu Niedergelassene. Für Andler ist diese Grenze ein Problem, da die Arbeit angesichts des Ärztemangels immer mehr werde. „Ich habe meine Praxis vor sieben Jahren von einem Kollegen
übernommen, heute habe ich ungefähr das doppelte Patientenaufkommen“, erläutert er.
Zudem fange man viele Patienten auf, die in Ravensburg oder Friedrichshafen keine Termine mehr bekämen. „Mit der Budgetierung wird es schwer, die deutlich gestiegenen Personalkosten zu tragen und die Mitarbeiter zu halten“, sagt er. Die Bemühungen des Landes, die Versorgungslücken auf dem Land zu schließen, würden dadurch konterkariert, der Beruf noch weniger attraktiv für junge Ärzte. Seine Befürchtung: Man werde „in naher Zukunft extreme Unterversorgung, nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch im ambulanten Bereich erleben“.
Mit seiner Kritik ist Andler nicht allein. „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Teams in den
Hausarztpraxen, die unter hoher Belastung arbeiten, um dem enormen Versorgungsdruck standzuhalten. Auch mit Blick auf fast 1000 unbesetzte Hausarztsitze in Baden-württemberg ist diese erneute Budgetierung ein absolutes Armutszeugnis und ein verheerendes Signal an alle Praxen und an alle jungen Kolleginnen und Kollegen, die sich für die Hausarztmedizin entschieden haben oder dies in Kürze tun wollen“, schreiben die Vorstandsvorsitzenden des Hausärzteverbands Baden-württemberg, Susanne Bublitz und Nicola Buhlingergöpfarth in einem Statement.
Abhilfe könnte allerdings bald ein neues Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) schaffen. Die Entbudgetierung ist im Ampel-koalitionsvertrag festgeschrieben, sie wurde bereits mehrfach zugesagt. Bisher lässt die Umsetzung allerdings auf sich warten. Ein aktueller Entwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium sieht tatsächlich eine Auf hebung der Budgetierung vor. Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium, das Vorhaben solle „in diesem Jahr auf den Weg gebracht werden“. Hausarztverbände zeigen sich angesichts des Anfang April veröffentlichten Entwurfs vorsichtig optimistisch.
Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbunds, spricht von einem „ersten und wichtigen“Schritt. Er werde aber nicht ausreichen, die Probleme zu beheben. Schon jetzt werde die Versorgung von Haus- und Fachärzten gemeinsam gestemmt. Heinrichs Forderung lautet deshalb: Zeitgleich mit den Hausärzten müssten zumindest die grundversorgenden Fachärzte ebenfalls entbudgetiert werden. Bei ihnen ist die Budgetierung längst gelebte Praxis. Sollten diese Forderungen im neuen Gesetz nicht berücksichtigt werden, würden die Haus- und Fachärzte ihren Protest fortsetzen – und ihn in den anstehenden Wahlkämpfen ausweiten.
Ralf Andler setzt zunächst keine Hoffnung in den Gesetzentwurf. Zu oft seien Versprechen nicht eingehalten worden. „Wer weiß, wann das kommt“, sagt er.
Was die Hausärzte zumindest in Zukunft erfreuen könnte, stößt bei manchen Krankenversicherern auf Skepsis. Stefanie Stoff-ahnis, Vorständin des Gkvspitzenverbandes, bezeichnete den gesamten Gesetzesentwurf als „Ausgabensteigerungsgesetz zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung“.
In einer Mitteilung weist der Gkv-spitzenverband bereits jetzt darauf hin, wer die höheren Kosten am Ende tragen dürfte: die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.
„Die Ausgaben steigen seit Jahren stärker als die Einnahmen und es sind keinerlei Anzeichen zu erkennen, dass die Politik die daraus resultierende Beitragsspirale stoppen möchte. Im Gegenteil, weitere Honorarerhöhungen für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, zusätzliche Gelder für Kliniken und höhere Preise für Arzneimittel sind von der Politik bereits angekündigt worden – und bezahlen müssen das die Versicherten und Arbeitgebenden über ihre Krankenkassenbeiträge", erklärte der Gkv-spitzenverband.