Frühlingsgefühle am Göta Kanal
Naturnah und voller Nostalgie präsentiert sich die schwedische Wasserstraße von der Ost- zur Nordsee
as der● Eiffelturm für Frankreich und das Brandenburger Tor für Deutschland sind, ist für Schweden der Göta Kanal. Er wurde dort zum Bauwerk des Jahrtausends gekürt und zählt zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten. Der Göta Kanal, das „blaue Band Schwedens“genannt, verläuft quer durchs Land. Er verbindet Nordund Ostsee und die zwei größten schwedischen Städte, Stockholm und Göteborg. Und er ist typisch schwedisch: naturnah und gelassen.
Im Zeitraum zwischen 1810 bis 1832 von Hand gegraben, hat sich der Kanal von einer pragmatischen Wasserstraße zum Urlaubsidyll für jährlich rund drei Millionen Touristen entwickelt. Das zugleich größte Bauwerk Schwedens erstreckt sich über 190 Kilometer. Der Kernabschnitt verläuft zwischen Sjötorp und Mem und macht etwa ein Drittel der kompletten Strecke aus. Der restliche Wasserweg führt über Seen und Flüsse.
Der Kanal ist wie geschaffen für Radfahrer, Passagiere, Wanderer und Naturliebhaber. Oder auch für romantische Liebesgeschichten à la Inga Lindström. Das beweist Amanda Hessle. Die gebürtige Schweizerin ist heute Reiseführerin am und um den Kanal. „Meine Geschichte in Schweden hat mit einer Studienreise auf dem Göta Kanal begonnen. Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Hessle, die nicht genau beschreiben kann, ob es die Gegend, das Kanalschiff oder der erste Offizier gewesen war, der ihr Herz vollends erobert hat. „Für mich ist der Kanal Lebensader und der blaugrüne Faden durch mein ganzes Leben.“Mittlerweile lebt und arbeitet die Schweizerin bereits seit 25 Jahren in Schweden. „Die ganz besondere Zufriedenheit und Gelassenheit der Menschen und die Ruhe, die man hier überall finden kann, sagt mir sehr zu“, schwärmt Hessle von ihrer Wahlheimat am Göta Kanal.
Ohne Lärm, fast geräuschlos und mit derselben Gelassenheit, die die Menschen am Ufer ausstrahlen, schippern in der Saison von Mai bis September Kanalschiffe auf dem Göta Kanal. Unter anderem die drei historischen und bekanntesten Dampfschiffe MS Juno, Wilhelm Tham und Diana. Quer durch Schweden mit gerade mal fünf Knoten können Urlauber zwischen zwei und sechs Tagen in Schwedens Geschichte eintauchen. Die MS Juno ist eine wahre Wasser-veteranin und feiert in diesem Jahr 150-jähriges Jubiläum. Somit ist sie das älteste registrierte Passagierschiff der Welt. Eine Zeitreise erleben Passagiere auch auf der Wilhelm Tham
Wmit dem Kosenamen Thammen. Das Schiff wurde im selben Jahr (1912) vom Stapel gelassen, als die Titanic unterging. „Wer die Kanalschiffe bucht, bucht Nostalgie. Eine Luxuskreuzfahrt ist das nicht – dafür naturnah, nostalgisch und nordisch“, beschreibt Hessle. Zwischen den Meeren bekommen Passagiere fünf große und ungezählte kleine Seen, etliche Brücken und Aquädukte zu sehen. Herrliche Landschaften und Schäreninseln inklusive.
Ein besonderes Spektakel bieten die 58 Schleusen, die hauptsächlich im westlichen Teil des Kanals zu finden sind. „Die Schleusen funktionieren prinzipiell immer noch wie im 19. Jahrhundert. Es gibt sogar noch zwei, die noch immer von Hand betätigt werden“, erklärt Hessle. An bestimmten Abschnitten, vor allem bei Berg Slussen, gibt es lange Schleusentreppen von bis zu einem Kilometer. Wie in einem Fahrstuhl gleiten die Schiffe wie in Zeitlupe nach oben oder unten. Ungefähr 100 Schleusenwärter, meist Studenten, sind verantwortlich für das Öffnen und Schließen der Schleusen und Brücken und rufen auch Radfahrern Tipps vom Kanalrand zu: „Fahrräder nicht zu nah am Wasser abstellen. Böen könnten die Räder direkt in eine Schleuse wehen.“
Seit dem Frühjahr 2023 ist ein 220 Kilometer langer Abschnitt entlang des Kanals ein nationaler Fernradweg. Der sogenannte Götakanalleden ist in sieben Etappen aufgeteilt, die zwischen 15 und 56 Kilometer lang sind. Die Hälfte der Strecke führt entlang des einstigen Treidelpfads, der früher zum Ziehen der Boote genutzt
wurde. Die auto- jedoch nicht schaffreien Radwege sind umrahmt von goldgelb leuchtenden Rapsfeldern, saftigen Wiesen, weiten Wäldern und falunroten Holzhäusern. Auf ebenem Gelände radelt jeder in seinem Tempo, umgeben vom Gesang der Vögel, vorbei an imposanten Schleusen, gemütlichen Cafés und durch friedliche Dörfer.
Egal ob radelnd, segelnd oder auf dem Kanalboot, das schwedische Ritual „Fika“wird auch am
und um den Kanal überall in den Tag integriert und zelebriert. Mindestens zweimal täglich wird eine Kaffeepause mit leckerem Gebäck, meist Zimtschnecken, eingelegt. Besonders heimelig ist es im Hajstorp Slusscafé. Am höchstgelegenen Punkt des Kanals nimmt sich Betreiberin Marianne Ljungström gerne Zeit für einen Plausch, um den Touristen bereitwillig zu erklären, was es mit einer schwedischen Fika auf sich hat – ein Wort, das mit Kaffeepause nur unzureichend übersetzt ist „es ist vielmehr ein Lebensgefühl“, so Ljungström. Auch der benachbarte Farmer Per Gustavsson, ein pensionierter Landwirt, kommt gerne auf eine Fika vorbei. Er hat die Entwicklung des Ortes und des Kanals über 50 Jahre lang miterlebt. „Wie viele Kanäle dieser Zeit wurde auch der Göta Kanal schnell von der Eisenbahn und dem Lkwtransport herausgefordert und schließlich in den 1950er-jahren als Transportweg für Holz, Eisen, Papier oder Nahrung abgelöst“, berichtet Gustavsson, „ohne die Touristen wäre der Kanal tot. Sie sind es, die dem Kanal wieder Leben eingehaucht haben.“ und