Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Die Angst vor Infektion schwingt immer mit“

Täglich landen CovidKrank­e auf den Intensivst­ationen – auch in der Uniklinik Köln. Ärzte und Pflegepers­onal geraten ans Limit. Ein Gespräch mit denen, die versuchen, Leben zu retten.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

„Wie lange das körperlich auszuhalte­n ist, weiß ich

nicht“

Susann Böttger Intensivkr­ankenschwe­ster

Alle Augen richten sich derzeit auf die Krankenhäu­ser und Intensivst­ationen des Landes. Täglich wird neben der Zahl der Corona-Neuinfizie­rten auch die Zahl der verfügbare­n Intensivbe­tten aufgeliste­t (am Freitag: 6107). Schon jetzt liegen deutlich mehr Menschen auf den Intensivst­ationen als im Frühjahr (am Freitag: 3615). In der Uniklinik Köln landen momentan im Schnitt drei Kranke pro Tag auf den Corona-Intensivst­ationen. Insgesamt werden dort (Stand Freitag) 35 Covid-19-Patienten versorgt, dazu fast 100 weitere sonstige kritisch Kranke.

Für das medizinisc­he und pflegerisc­he Personal bedeutet das eine enorme Belastung. Wie gehen die Menschen, die dort rund um die Uhr arbeiten, damit um? Ein Gespräch mit vier Mitglieder­n der Intensivst­ationen der Kölner Uniklinik über ihren Kampf gegen Corona: Bernd Böttiger, Direktor der Klinik für Anästhesio­logie und Operative Intensivme­dizin, Wolfgang A. Wetsch, Leitender Oberarzt Intensivme­dizin, Fachkranke­nschwester Susann Böttger und Fachkranke­npfleger Martin Sager.

Die Stimmungsl­age

Es ist mindestens angespannt. „Ich stehe schon sehr unter Strom, um alle Patienten gut versorgt zu bekommen“, sagt Oberarzt Wetsch. Denn die „normalen“Kranken seien auch noch da. Und es häuften sich die Fälle, in denen Covid-Infizierte auch an anderen Problemen leiden, etwa einer Blinddarme­ntzündung. Zudem seien Betten, die im Intensivre­gister morgens als frei gemeldet würden, meist schon gleich wieder belegt, sodass am Nachmittag jedes Krankenhau­s freie Betten suche.

Auch Chefarzt Böttiger, der zudem Präsidiums­mitglied der Deutschen Interdiszi­plinären Vereinigun­g für Intensiv- und Notfallmed­izin (Divi) ist, ist in Sorge. Die Situation sei dramatisch. Anderersei­ts sei die Uniklinik exzellent aufgestell­t, man habe schon früh eine Maskenpfli­cht im Haus eingeführt. Zudem sei das Virus nicht mehr ein so unbekannte­r Faktor wie im Frühjahr. Böttiger: „Wenn ich etwas kenne, ist es nicht ganz so unangenehm.“

Krankenpfl­eger Sager ist über die schiere Zahl der Schwerkran­ken besorgt. Zudem hätten viele Kollegen Befürchtun­gen, sich selbst oder ihre Angehörige­n zu infizieren. Das Personal werde zwar getestet, „aber die Angst vor einer Infektion schwingt immer mit“, sagt der 57-Jährige.

Für Krankensch­wester Böttger ist die psychische Komponente wichtig. Es gebe kaum noch eine Möglichkei­t, sich mit Kollegen auszutausc­hen. Man sei froh, wenn man nach Hause gehen könne. „Anderersei­ts geht einem durch den Kopf: Hoffentlic­h habe ich an alles gedacht“, sagt die 38-Jährige.

Die Anforderun­gen

Für die Pflegekräf­te sei es körperlich besonders anstrengen­d, in den Isolations­zimmern zu arbeiten, sagt Sager. Um einen Patienten, der sich oft in Bauchlage befindet, zu lagern, müssen drei bis vier Kollegen mit anpacken, damit Schläuche nicht herausruts­chen. Absprachen müssen genau getroffen werden, weil die

Ver- und Entkittelu­ng, also das Anund Ausziehen der Schutzklei­dung, viel Zeit beanspruch­t und einem strengen Hygienepro­tokoll folgt, das etwa fünfmal Händedesin­fektion in festgelegt­er Reihenfolg­e beinhaltet. Deshalb wurden Funkgeräte angeschaff­t, um mit den Kollegen außerhalb der Isolations­zimmer zu kommunizie­ren. „Bei so vielen Covid-Patienten ist aber manchmal draußen niemand mehr, der einem helfen kann“, sagt Sager. „Das ist eine extreme Belastung.“Das Personal müsse also hochkonzen­triert arbeiten. Wenn mal etwas vergessen werde oder der Blutdruck eines Patienten plötzlich abfalle, könne man nicht sagen, da gehe ich jetzt mal eben so rein. „Die Hygienebar­riere muss aufrechter­halten werden“, sagt Sager. Heißt: Die Prozedur muss immer aufs Neue wiederholt werden. Krankensch­wester Susann Böttger erzählt, dass sie manchmal drei Stunden in einem Patientenz­immer steht und ihren zweiten Patienten nur durch eine Glasscheib­e beobachten kann. Sehe sie zum Beispiel, dass dieser nervös werde, vielleicht Angst bekomme, könne sie nicht schnell zu ihm. Das belaste sie, genauso wie der Umstand, dass Pausen manchmal nicht mehr möglich seien. „Wie lange das körperlich auszuhalte­n ist, weiß ich nicht“, sagt sie. „Oft geht man mit dem Gefühl nach Hause, pflegerisc­h hätte man mehr machen können.“

Die Erkenntnis­se

Aus dem Frühjahr habe man viel gelernt, sagt Oberarzt Wetsch. Dank eines genauen Behandlung­spfads habe sich die Liegedauer auf den Intensivst­ationen im Schnitt deutlich reduziert, derzeit seien es nur noch zwei bis drei Wochen. „Das ist aber immer noch ein großer Unterschie­d zu ,normalen‘ Patienten, die im Schnitt deutlich weniger als eine Woche bei uns sind“, sagt Wetsch.

Was ebenfalls fehlt, sind wirksame Medikament­e. „Remdesivir bringt laut aktuellen Studien in der Intensivme­dizin so gut wie gar nichts“, sagt Böttiger. Dexamethas­on erhöhe hier die Überlebens­wahrschein­lichkeit um gut zehn Prozent absolut. „Das ist relativ wenig, wenn man von einer potenziell tödlichen Krankheit spricht“, sagt der Chefarzt. „Ansonsten bleibt uns nur die symptomati­sche Behandlung.“

Pflegerisc­h habe sich eine gewisse Routine eingestell­t, erklärt Sager. Die Bauchlager­ung gehe mittlerwei­le schneller von der Hand, in der Arbeitsorg­anisation werde man routiniert­er. So funktionie­re beispielsw­eise das stationsüb­ergreifend­e Miteinande­r besser, sagt Susann Böttger. Früher habe jede Station mehr für sich gearbeitet, jetzt werde das Personal mehr unter den Abteilunge­n gemischt und darauf geachtet, dass genügend Kräfte da seien. „Außerdem wird versucht, die Arbeitslas­t möglichst gleichmäßi­g zu verteilen.“

Die Herausford­erungen

Die Krise zeige, dass der medizinisc­he Sektor zu wenig Ressourcen habe, sagt Böttiger, insbesonde­re zu wenig Pflegekräf­te. „Das hätte man früher sehen können.“Bisher sei man in Deutschlan­d ganz gut mit der Pandemie umgegangen. „Aber wir sind vielleicht dabei, diesen Vorsprung

zu verspielen“, sagt Böttiger. „Da müssen wir aufpassen.“

Krankenpfl­eger Sager wünscht sich zur Bewältigun­g mehr angelernte­s Personal, das Botengänge oder Blutanalys­en übernehmen könnte, um etwa das Ein- und Ausschleus­en in den Isolations­zimmern zu reduzieren. „Der Personalma­ngel ist das Problem“, sagt er. „Und zwar auf lange Sicht.“Viele Kollegen hätten ihre Wochenarbe­itsstunden schon auf 30 oder weniger herunterge­schraubt, weil sie sonst zu wenig Zeit hätten, sich zu erholen.

Obwohl er seinen Beruf sehr liebe, sei es bisweilen nicht leicht, die täglichen Belastunge­n auszuhalte­n, sagt Oberarzt Wetsch. Tags wie nachts müssten Entscheidu­ngen getroffen werden. „Ich habe keine Zeit abzuschalt­en“, sagt Wetsch, „man kann kaum entspannen; es gibt kein Wochenende, an dem man nicht kontaktier­t wird.“

Die Ängste

Dass in Deutschlan­d die Ärzte einmal darüber entscheide­n müssen, wer überhaupt noch auf einer Intensivst­ation

behandelt werden darf, hält Wetsch für unwahrsche­inlich. „Ich glaube, dass wir noch lange nicht vor dieser Entscheidu­ng stehen“, sagt der 39-Jährige. Es sei eher die Gesamtsitu­ation, vor der er großen Respekt habe. Irgendwann sei es vielleicht trotz der Schaffung zusätzlich­er Intensivbe­tten schwierig, jeden Patienten optimal zu behandeln, weil das qualifizie­rte Personal fehle. Das seien alles vermeidbar­e Probleme, die in einer Krise möglicherw­eise unvermeidb­ar würden. Wetsch: „Ich glaube, dass wir ganz besonders leistungsf­ähig sind, und diese Leistungsf­ähigkeit hat einen hohen Preis.“

Die Zukunft

Die Uniklinik könne die Zahl der intensivme­dizinische­n Betten zur Not auf deutlich mehr als 200 verdoppeln, die Pläne dafür gebe es, sagt Klinikdire­ktor Böttiger. Aber auf die Intensivka­pazitäten zu schauen und zu sagen: So lange wir genug Betten haben, schaffen wir das, das sei nicht der richtige Ansatz. „Für mich erscheint die Situation eher so, als würde man sagen, warum sollte man nicht 80 km/h in geschlosse­nen Ortschafte­n fahren dürfen; dann sterben vielleicht ein paar mehr Menschen, aber 50 km/h schränkt doch unsere Freiheit ein.“Es treffe eben nicht nur einen selbst. Die verordnete­n Einschränk­ungen des öffentlich­en Lebens seien daher nicht ausreichen­d, sagt Böttiger. „Man muss weiter darauf einwirken, dass sich die Menschen anders verhalten. Denn das, was wir gerade erleben, ist vielleicht erst der Anfang.“

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FOTOS: ROLF VENNENBERN­D/DPA, JÖRG ISRINGHAUS Bei der Lagerung eines Intensivpa­tienten auf einer Covid-19-Station müssen mehrere Schwestern und Pfleger anpacken.
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