Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Es droht die Verddoppelung des Zusatzbeitrags
Der Chef der Techniker-Krankenkasse Jens Baas spricht im Samstagsinterview über die Schuld der Kliniken am Personalengpass und das Maskentragen im Winter.
Herr Baas, die Zahl der Covid-19Patienten steigt. Geraten die Kliniken ans Limit?
In einzelnen Häusern ist die Lage angespannt, aber das System als gesamtes ist derzeit nicht am Limit. Nehmen Sie NRW, hier sind 80 Prozent der Intensivbetten belegt und nur 14 Prozent mit Covid-Patienten. Nicht Betten oder Geräte sind das Problem, sondern fehlendes Personal. Aus meiner eigenen Zeit als Stationsarzt auf einer Intensivstation weiß ich, wie wichtig es für die Beatmung ist, erfahrene Pflegekräfte zu haben.
Wer trägt die Verantwortung für den Personalmangel?
Das lässt sich pauschal nicht beantworten. In den vergangenen Jahrzehnten ist die Zahl der Ärztinnen und Ärzte gestiegen, während die Zahl der Pflegekräfte konstant geblieben ist. Resultat daraus ist, dass Ärzte als Umsatzbringer, Pflegekräfte jedoch oft eher als Kostenfaktor betrachtet werden. Das ist eine Fehlentwicklung in Richtung eines profitgetriebenen Krankenhausmanagements, die wir seit vielen Jahren kritisieren.
Sollten die Kliniken jetzt auf alle planbaren Operationen verzichten?
Nein, nicht generell. Es ist nicht sinnvoll, in kleinen Krankenhäusern
Betten für Covid-Patienten freizuhalten. Die Versorgung von Corona-Infizierten sollte nach Möglichkeit in Zentren stattfinden, die über entsprechende Erfahrung mit der Behandlung von Intensivpatienten verfügen.
Was bedeutet die Pandemie für die gesetzlichen Krankenkassen?
Die eigentlichen Behandlungskosten von Covid-Patienten sind für die Kassen finanzierbar. Das ist auch Aufgabe der Kassen. Anders sieht es bei den Kosten aus, die beispielsweise durch die Rettungsschirme entstehen. Breit angelegte Corona-Tests, der Aufbau von Intensivbetten und der Kauf von Schutzausrüstung – das darf nicht einseitig bei den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenkassen hängenbleiben. Die Pandemie schwächt zudem die Konjunktur, die Beitragseinnahmen werden sinken.
Was heißt das für den Krankenkassenbeitrag 2021?
Im nächsten Jahr fehlen dem Gesundheitsfonds über 16 Milliarden Euro – nicht nur, aber auch durch die Pandemie. Vom Bund gibt es aber nur fünf Milliarden Zuschuss. Die Lücke müssen die Kassen schließen, die Zusatzbeiträge werden GKV-weit steigen – die Frage ist nur, wann und wie stark. Das Bundesministerium für Gesundheit hat eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags um 0,2 Punkte auf 1,3 Prozent festgelegt.
Wie sieht es bei der TechnikerKrankenkasse aus, wo der Zusatzbeitrag bei 0,7 Prozent liegt?
Das entscheidet die Selbstverwaltung. Ich erwarte, dass auch wir unseren Beitrag erhöhen müssen, aber weiter unter dem Durchschnittssatz aller Krankenkassen bleiben. Ob dies Anfang oder Mitte 2021 erfolgt, ist offen. Das Problem
ist, dass der Gesetzgeber eine Erhöhung erst erlauben will, wenn die Reserven einen bestimmten Schwellenwert unterschreiten. Die Gesetzgebung dazu ist aber noch nicht abgeschlossen. Dies erschwert eine solide Finanzplanung enorm.
Wie geht es 2022 weiter?
2022 wird ein hartes Jahr für Kassen und Mitglieder. Ohne Gegensteuern durch den Staat droht eine Verdoppelung des Zusatzbeitrags. Denn dann wird das Loch weit größer sein als 16 Milliarden Euro, und alle Reserven sind verbraucht.
Wie kann man gegensteuern?
Entweder erhöht der nächste
Gesundheitsminister den Zuschuss an den Gesundheitsfonds gewaltig, oder er wird 2022 deutlich Leistungen kürzen müssen. Möglicherweise erwägt das Ministerium auch, die Pharmaindustrie zu höheren Rabatten zu verpflichten oder höhere Zuzahlungen von Patienten zu nehmen.
Impfstoff-Hersteller haben Studien vorgelegt. Wird bald alles gut?
Die Studienergebnisse sind vielversprechend, Impfungen im neuen Jahr rücken näher. Doch bis rund 60 Prozent der Bevölkerung geimpft sind, was für eine Herdenimmunisierung nötig ist, wird es dauern. Auch im Winter 2021/2022 werden wir wohl Masken tragen und Abstand halten müssen, wenngleich es hoffentlich entspannter sein wird als in diesem Winter.
Wen soll man zuerst impfen?
Eine heikle Frage, die in der Gesellschaft diskutiert werden muss. Impft man die Älteren zuerst, weil sie ein hohes Risiko haben, schwer zu erkranken? Oder impft man die Jüngeren zuerst, die vielleicht wegen ihrer vielen Kontakte Superspreader sind? Das muss man emotionsfrei diskutieren und nur danach entscheiden: Womit rette ich die meisten Menschen?