Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Solidarität ist nur ein billiges Schlagwort
Der Profifußball hatte schon immer eine Sonderrolle. In Pandemie-Zeiten verstärkt sie sich noch einmal. Denn während die Bundesligisten mit Einnahmeeinbußen kämpfen, ringt manch andere Sportart um nicht weniger als ihr Überleben.
Berufsfußball ist wichtig. Wer das noch nicht wusste, der hat es diesem (ersten) Coronajahr gelernt. Berufsfußball ist so wichtig, dass ihm frühzeitig gestattet wurde, unter besonderen Bedingungen seinen Spielbetrieb fortzuführen. Weil die Profis das Geld aus den TV- und Sponsorenverträgen brauchen, dürfen sie in einer kostspieligen Blase aus Dauertests, Hotel-Quarantäne und Sicherheitsabständen außerhalb der Rasenplätze weiter ihre bezahlten Leibesübungen betreiben.
Sie sollten froh darüber sein. Aber natürlich klagen sie über die Umsatzrückgänge. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat schon mal vorgerechnet, dass die TV-Gelder für diese Bundesliga-Saison um 100 bis 150 Millionen Euro zurückgehen werden. Und sie glaubt, dass die Gehälter um rund 20 Prozent sinken werden. Bei den derzeit 1,5 Milliarden Euro, die in der Liga insgesamt für Honorare ausgegeben wird, muss niemand damit rechnen, dass auch nur ein Profi am Hungertuch nagen muss.
Auch in Spanien nicht, wo die Klubs den sehr weiten Gürtel gerade ein bisschen enger schnallen. Der FC Barcelona muss die Personalkosten nach Angaben der Liga von 671,4 Millionen auf 382,7 Millionen Euro reduzieren. Corona lässt die Einnahmen der ganzen Liga auf das bescheidene Sümmchen von 2,33 Milliarden Euro sinken (um 610 Millionen). Und da wird trotzdem noch mehr als in Deutschland gejammert.
Ganz schön ungerecht. Das finden vor allem die Vertreter anderer Sportarten. Sie wissen gar nicht, wie es mit ihnen weitergehen soll. Denn ihre Verträge mit TV-Anstalten und Sponsoren sind im Vergleich zu denen der Fußball-Bundesliga lächerlich, weil der Fußball im öffentlichen Interesse längst allen uneinholbar davongelaufen ist. Der Basketball-Bundesligist Rasta Vechta kann beispielsweise nur durch einen Zuschuss von 740.000 Euro aus Bundesmitteln überhaupt überleben. Das Sümmchen deckt 80 Prozent der kalkulierten Einnahmen aus Ticketverkäufen.
Frank Bohmann, der Geschäftsführer der Handball-Bundesliga, hat über den zweiten Lockdown gesagt, der alle Einnahmen aus Eintrittsgeldern kappt: „Handball, Basketball und Eishockey wird jede Geschäftsgrundlage entzogen.“Und es ist noch lange nicht heraus, ob es der letzte Lockdown sein wird. Es ist sogar eher unwahrscheinlich.
Weil Staatshilfen für notleidende Sportarten jenseits des Fußballs ebenfalls nicht unendlich sind, könnte die Krise auf lange Sicht ganze Profisportarten von der Bühne spülen – nicht nur bei den TV-Übertragungen, sondern vollständig.
Langfristig ist nur der Profifußball aus sich überlebensfähig. Und dass ihm seine überragende Bedeutung im Fall von Schalke 04 und Eintracht Frankfurt von der Politik sogar noch durch Landesbürgschaften bescheinigt wird, ist nicht nur ungerecht, es ist ein Skandal. In einer Gesellschaft, in der Solidarität mehr als ein leeres Wort ist, müssten die Fußball-Klubs nun eigentlich im Sinne der armen Brüder im Handball, Basketball und Eishockey handeln und in ihren Reihen mit der Sammeldose herumgehen.
Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sie so handeln, ist gering. Sie brauchen die anderen Sportarten nämlich nicht. Auch in der Fußball-Bundesliga ist Solidarität schließlich nur ein billiges Schlagwort. Seit das TVGeld allen über Wasser geholfen hat, spielen die ganz Wohlhabenden wieder für sich und wahren vor allem ihren Besitzstand.
Wer kann da tätige Nächstenliebe erwarten? Genau: niemand. Das ist eine tragische, aber im System des kapitalistischen Sports logische Konsequenz aus den Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte. Furchtbar.