Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Das Land der Pandabären

In der chinesisch­en Provinz Sichuan, an der Grenze zu Tibet, leben noch immer zahlreiche der seltenen Pandabären. Besonders nah können Menschen ihnen in der Hauptstadt Chengdu kommen.

- VON MARTINA KATZ

Wen Wen sitzt breitbeini­g auf einem Bambuspode­st und schmatzt. Auf seinem flauschige­n Bauch liegt ein Haufen Bambusschö­sslinge. Der junge Pandabär wühlt mit seinen Pfoten durch die Sprossen. Er greift sich eine heraus, zieht deren Schale mit den Zähnen ab und lässt diese gelangweil­t zurück auf den Haufen fallen. Dann lehnt er sich zurück, streckt die Beine von sich und beißt genüsslich in den Trieb. Die Szene in Chengdus Research Base of Giant Panda Breeding lässt menschlich­e Beobachter angesichts der Gelassenhe­it des Bären schmunzeln.

Chengdu ist die Hauptstadt der chinesisch­en Provinz Sichuan. Mit 82 Millionen Einwohnern leben in der Provinz im Westen Chinas fast genauso viele Menschen wie in der Bundesrepu­blik. Atemberaub­ende Landschaft­en und eine fantastisc­he Tierwelt sind hier genauso zu finden wie spannende Traditione­n und moderne Städte. Allen voran die 14-Millionen-Metropole Chengdu. Die Stadt ist berühmt für zwei Superlativ­e: den Konsumkomp­lex New Century Global, der als größtes Gebäude der Erde gilt, und die Forschungs­station zur Aufzucht des Großen Pandas, dem weltweit größten Öko-Park für Pandabären. Gut

180 Riesenpand­as, davon mehr als elf Neugeboren­e in den vergangene­n Jahren, wilde Bambuswäld­er und Höhlen, die den Tieren ein Leben wie in freier Natur ermögliche­n, sowie Bruträume, in denen man den nackten Nachwuchs beobachten kann, lockten vor der Corona-Pandemie die Besucher an.

In China ist der Panda ein Nationalsy­mbol, die Volksrepub­lik das einzige Land auf der Welt, in dem das Tier noch in freier Wildbahn existiert. Als die Regierung vor 25 Jahren ein Schutzprog­ramm für den gefährdete­n Großen Panda auflegte, entstanden rund 40 Reservate auf mehr als 10.000 Quadratkil­ometern. Im Norden der Provinz Sichuan liegt eine der Regionen, in der Pandas geschützt in Freiheit leben. In den Min Bergen der Aba Tibetische­n Autonomier­egion erstreckt sich der Jiuzhaigou-Nationalpa­rk auf 720 Quadratkil­ometern. Die Natur hat hier im Laufe von Jahrtausen­den eine Märchenlan­dschaft erschaffen. Spektakulä­re alpine Berge ragen aus schattigem Bergnadelw­ald, Wasserfäll­e und Kalkterras­sen schmiegen sich in den Urwald. Verwunsche­ne Seenlandsc­haften prahlen mit klarem Wasser, das so türkisfarb­en leuchtet, als hätte jemand Tuschefarb­e hineingeki­ppt. Kalk und Algen sorgen für die außergewöh­nlichen Farbnuance­n in den zwei Dutzend Seen, die über hölzerne Wanderwege miteinande­r verbunden sind.

Schon vor 35 Jahren erkannte die chinesisch­e Regierung die Bedeutung dieses Naturwunde­rs und stellte das Gebiet unter Schutz, auch um eine weitere Abholzung zu vermeiden. Das Unesco-Weltnature­rbe Jiuzhaigou, das übersetzt Neun-Dörfer-Tal heißt, ist eines der Highlights der Provinz Sichuan, das stets den Launen der Natur unterworfe­n ist. 2018 flutete starker Regen den Park, 2017 erschütter­te ein Erdbeben das Zentrum des Nationalpa­rks und riss eine Erdspalte in den Sparkling Lake, sodass sein türkisfarb­enes Wasser auslief. Doch die chinesisch­en Verantwort­lichen und die rund 1000 Tibeter in den sieben verblieben­en Parkdörfer­n sind regenund erdbebener­probt. Bereits zehn Jahre zuvor hatten sie umfangreic­he Reparatura­rbeiten geleistet.

Der Westen Sichuans war schon immer das Tor nach Tibet, die Bezirkssta­dt Kangding eine historisch­e Grenze. Hier, wo eine Seilbahn auf den 5000 Meter hohen spirituell­en Paoma Berg gondelt, handelten die Chinesen jahrhunder­telang mit gepressten Teeziegeln und tauschten sie gegen tibetische Wolle. Heutzutage treffen sich die Einwohner auf dem Peoples Square zu Tai Chi, drehen goldfarben­e Gebetsmühl­en, die so groß sind wie Litfaßsäul­en, und beten gemeinsam mit rot gewandeten Mönchen in dem buddhistis­chen Kloster aus dem 17. Jahrhunder­t.

Nur ein paar Kilometer weiter führen die schneebede­ckten Berge durch das weiße Wunderland von Tagong immer tiefer ins einstige Tibet, während im Danba-Tal Hunderte bunter Häuser zwischen Apfel- und Walnussbäu­men die terrassena­rtigen Berghänge sprenkeln. Vor 15 Jahren waren die isolierten Dörfer noch vom Tourismus unberührt, die meisten Tibeter Kleinbauer­n. Heute vermieten sie Zimmer an Touristen und nehmen Eintritt für den Dorfbesuch. Der Atmosphäre tut das keinen Abbruch, entführen die zweistöcki­gen rot-weißen Steinhäuse­r mit ihren bunt verzierten Fenstern und Türen doch in eine andere Welt. Kein Auto weit und breit. Stille. Nur der Fluss im Tal rauscht vor sich hin. Im 150-Seelen-Dorf Jiaju hocken alte Frauen auf den Flachdäche­rn und ziehen Chilis auf Schnüre. In Suopo ragen schmale Türme aus fast allen Häusern 30 Meter in den Himmel. „Ob es sich bei den tausendjäh­rigen Relikten um ehemalige Wachtürme handelt oder um Schlote zur Dämonenver­treibung erinnert niemand mehr so genau“, sagt Dorfbewohn­erin Tsering und blickt auf das Foto eines Pandabären auf der bunten Kommode in ihrem Hauptraum. Der ist in tibetische­n Häusern Wohn-, Schlaf- und Esszimmer in einem, während im Erdgeschos­s darunter die Yaks um die Wette schnaufen.

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FOTOS: MARTINA KATZ Der Pandabär wird in China als Nationalsy­mbol verehrt.
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Der Bambuspfei­l-See ist ein beliebtes Fotomotiv im Jiuzhaigou-Nationalpa­rk.

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