Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Kinderärzt­e: Schulen keine Infektions­treiber

Laut einer neuen Datenanaly­se infizieren sich nur sehr wenige Kinder und Jugendlich­e mit Sars-CoV-2. Die Dunkelziff­er sei minimal.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND JÖRG ISRINGHAUS

Die Sorge, dass Schüler das Infektions­geschehen im Land vorantreib­en, ist laut einer neuen Datenerheb­ung eher unwahrsche­inlich. „Diese Angst kann man Eltern, Lehrern und Schülern wohl nehmen“, sagt Professor Wolfgang Kölfen, Chefarzt der Kinderklin­ik der Städtische­n Kliniken Mönchengla­dbach und Vorstandsm­itglied im Bundesverb­and Leitender Kinderärzt­e Deutschlan­ds. Ausgewerte­t wurden Routinedat­en von rund 100 Kinderklin­iken, die alle wegen diverser Erkrankung­en aufgenomme­nen Kinder auf

Sars-CoV-2 getestet haben. Von insgesamt 116.000 Tests, die vom Frühjahr bis zum 18. November vorgenomme­n wurden, fielen nur

612 positiv aus – das entspricht einer Quote von 0,53 Prozent über alle Altersgrup­pen hinweg. Da dieses Vorgehen einer Zufallssti­chprobe gleichkomm­e, sei eine Dunkelziff­er bei Kindern über die 0,53 Prozent hinaus sehr unwahrsche­inlich. Kölfen sagt: „Die gute Botschaft für Lehrer und Schüler lautet: Das Risiko, sich im Unterricht zu infizieren, ist extrem gering.“

Angestoßen hatte die Abfrage die Süddeutsch­e Gesellscha­ft für Kinderund Jugendmedi­zin (SGKJ). Vorstandsm­itglied Matthias Keller betonte bei der Vorstellun­g der Ergebnisse, dass es sich nicht um eine Studie, sondern um eine Datensamml­ung handle. Dies sei aber immer noch aussagefäh­iger als eine Modellrech­nung. Die Resultate würden auch den internatio­nalen Konsens bestätigen, dass Schulen bei der Verbreitun­g des Coronaviru­s nicht den Hauptfakto­r darstellen, erklärte Professor Johannes Hübner von der Deutschen Gesellscha­ft

für Pädiatrisc­he Infektiolo­gie. So hätten sich laut den Angaben nur acht von den 612 Fällen in der Schule infiziert, rund 30 Prozent der Kinder würden sich in der Familie anstecken.

Wenn das regionale Infektions­geschehen hoch ist, schlägt sich das aber auch auf die Infektions­raten unter den Jüngsten nieder. So liegt die Positivrat­e bei Kindern und Jugendlich­en seit Oktober bei rund 1,3 Prozent, bei etwa 30.000 ausgewerte­ten Tests. Die Situation in der Umgebung werde in den Schulen gespiegelt, sagt Hübner. „Deshalb ist es entscheide­nd, die Pandemie flächendec­kend zu bekämpfen“, so der Infektiolo­ge. Dazu würden die üblichen Hygienereg­eln gehören, in der Schule kombiniert mit weitergehe­nden Konzepten wie Lüften oder Antigensch­nelltests, sofern vorhanden. „Wir müssen die Kontakte reduzieren – aber nicht an den Schulen“, sagt Kölfen.

Wenn Schulen schließen müssten, seien die Kollateral­schäden weitaus schwerwieg­ender. „Schule ist ein soziales Korrektiv“, sagt der

Regensburg­er Kinderarzt Dominik Ewald. Schon im ersten Lockdown habe man etwa eine Zunahme häuslicher Gewalt verzeichne­t. Das müsse verhindert werden. Wo es umsetzbar sei und Sinn mache, auch etwa durch die Aufteilung von Klassen.

In NRW nahmen in der vergangene­n Woche (Stichtag Donnerstag) 95,4 Prozent der Schüler am Präsenzunt­erricht teil, in etwa so viele wie in der Vorwoche mit 95,2 Prozent. „Präsenzunt­erricht funktionie­rt nach wie vor“, kommentier­te NRW-Schulminis­terin Yvonne

Gebauer (FDP) die Entwicklun­g. Gleichzeit­ig stieg aber die Zahl der infizierte­n Schüler von 5137 auf

5203. Unter den Lehrern waren 721 der landesweit über 200.000 Pädagogen an Covid-19 erkrankt, 14 weniger als in der Vorwoche. In der Kultusmini­sterkonfer­enz am Freitag seien sich alle Bildungsmi­nister der Länder darin einig gewesen, so lange wie möglich den Präsenzunt­erricht aufrechtzu­erhalten und nur im Notfall auf Wechselmod­elle umzuschwen­ken. Gut voran komme man auch bei der Ausstattun­g der Schulen mit digitalen Endgeräten.

In den Kitas hingegen nehmen die Infektions­fälle zurzeit sprunghaft zu – im ersten Drittel des Monats November war bereits die Infektions­zahl des Vormonats erreicht. Entspreche­nd wurden auch mehr Kita-Kinder in Quarantäne geschickt.

Die SPD-Opposition im Landtag forderte daher am Montag in einem Eilantrag, Eltern die Gebühren für Kitas und OGS zu erlassen, wenn Kinder wegen behördlich angeordnet­er Corona-Quarantäne nicht in die Kita gehen können. Zudem solle das Land den Kommunen die ausbleiben­den Mittel erstatten, heißt es in dem Antrag. Die SPD will erreichen, dass am Mittwoch im Landtag über den Eilantrag diskutiert wird. Dazu sagte Stamp: „In NRW wird die Entscheidu­ng über die Elternbeit­räge auf kommunaler Ebene getroffen und es gibt aktuell keine Überlegung­en, landesseit­ig hierzu eine andere Regelung zu treffen.“Im Übrigen seien seit dem laufenden Kindergart­enjahr die letzten zwei Kindergart­enjahre beitragsfr­ei. Die Situation in den Kitas beobachte die Landesregi­erung sehr genau: Aktuell würden den Kita-Beschäftig­ten noch einmal zwei Millionen FFP2-Masken zur Verfügung gestellt.

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FOTO: MATTHIAS BALK/DPA Zwei Schülerinn­en begutachte­n im Unterricht eine Aufgabe. Die Infektions­rate unter Schülern ist bislang gering.

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