Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Kalkar liefert Wasserstan­d der Radikalitä­t

Im Konflikt zwischen Gemäßigten und Radikalen droht der AfD die Spaltung.

- VON GREGOR MAYNTZ

Wenige Tage vor ihrem in Kalkar geplanten Bundespart­eitag hat die AfD mit ihrer Klage gegen die Maskenpfli­cht für die 600 Delegierte­n ein Thema gefunden, hinter dem sie sich mehrheitli­ch versammeln kann. Kreuz und quer durch die Republik suchen die AfD-Funktionär­e den örtlichen Schultersc­hluss mit Leugnern der Corona-Gefahren. Nachdem der Parteispit­ze zu Pandemiebe­ginn die Einschränk­ungen nicht schnell genug gehen konnten, hat sie sehr bald ihre Meinung geändert und sich als Heimstatt für Corona-Rebellen empfohlen. Doch das täuscht nicht darüber hinweg, dass ihr nach wie vor die Spaltung droht.

Denn für Kalkar sind die Messer längst gewetzt. Es geht um die Nachbesetz­ung des Vorstandsp­ostens, der nach dem Rauswurf von Andreas Kalbitz neu zu besetzen ist. Er war neben Rechtsauße­n Björn Höcke einer der Frontleute des „Flügels“, der wegen der Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz seine formale Auflösung beschloss, auch wenn es ihn streng genommen als klar definierte Gliederung der Partei nie gegeben hat. Höcke warf der Mehrheit des Bundesvors­tands seinerzeit „Verrat“vor – und kommt mit frischer Wiederwahl als Thüringen-Chef zum Delegierte­ntreffen. Auch die Brandenbur­ger AfD hielt bei der Nachwahl für Kalbitz am radikalen Kurs fest.

Für den einstigen AfD-Mitgründer Hans-Olaf Henkel steht inzwischen fest: „Die Vernünftig­en und Anständige­n haben die AfD verlassen.“Und doch hält sich der Konflikt zwischen nationalra­dikalen und gemäßigten Kräften. Dem Einzug der AfD in sämtliche Landesparl­amente folgte das permanente Schrumpfen vieler Fraktionen. Nach dem Muster Ausschluss oder Austritt sind etwa in Baden-Württember­g aus 23 AfD-Abgeordnet­en 15 geworden, und die

Fraktionen in Schleswig-Holstein und Niedersach­sen hat es gleich ganz zerlegt. Es gibt sie nicht mehr.

Die Stimmungsm­ache gegen Flüchtling­e und andere Ausländer hatte die AfD getragen. Dahinter konnte sie zukleister­n, dass sie ausgerechn­et für die größte Gruppe ihrer Anhänger, Männer im oder vor dem Rentenalte­r, kein Konzept anzubieten hatte. Bei der Sozialpoli­tik ist sie auch sieben Jahre nach der Gründung immer noch „blank“. Im Herbst 2018 nahm sie sich vor, diesen Zustand bei einem Sozialpart­eitag ein Jahr später endlich zu beenden. Doch wenige Wochen vorher sagte sie das Treffen wieder ab, weil sie mitten im Landtagswa­hlkampf das Bild völliger Zerstritte­nheit vermeiden wollte und nicht sah, wie sie sich hier zusammenra­ufen soll. Nun soll es in Kalkar gelingen.

Doch der wirtschaft­sliberale Ansatz von Parteichef Jörg Meuthen ist kaum vereinbar mit dem sozialpatr­iotischen von Höcke. Der eine will eine steuerfina­nzierte Mindestren­te, die durch private Vorsorge aufgestock­t werden kann, der andere setzt auf umlagefina­nzierte Zuschüsse nur für Deutsche. Es ist sein Versuch, national und sozial zusammen zu bringen, und sich dabei auch Wählern

der Linken anzuempfeh­len. Der Parteitag kann damit sowohl personell als auch inhaltlich den aktuellen Wasserstan­d der Radikalitä­t in der AfD anzeigen. Möglicherw­eise hat der Verfassung­sschutz auch aus diesem Grund entschiede­n, erst im Dezember mitzuteile­n, ob er die Partei als Ganzes zum extremisti­schen Beobachtun­gsobjekt erheben will.

Das Alleinstel­lungsmerkm­al der Corona-Leugnung ist bislang nicht geeignet, die Umfragewer­te zu beflügeln. Nach einer aktuellen Erhebung im Auftrag der Deutschen Bank beläuft sich der Anteil derjenigen, die die Corona-Krise leugnen und alles für „überzogen“halten, auf sechs Prozent. Die Spanne reicht von drei Prozent in NRW bis 14 Prozent in Sachsen. Nichts also, was der AfD Zulauf bringen könnte. Sie hat zudem gelernt, dass ihre Werte immer dann absacken, wenn niemand über sie spricht und die anderen Parteien die Probleme lösen.

Insofern hat ihr die Provokatio­n im Zusammenha­ng mit dem Infektions­schutzgese­tz im Bundestag enorm genutzt. Die anderen Fraktionen taten ihr sogar den Gefallen, eine Stunde lang nur über sie zu debattiere­n. Die Debatte über ein AfD-Verbot hilft ihr ebenfalls.

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FOTO: DPA Björn Höcke beim Thüringer Landespart­eitag.

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