Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Die Pandemie begleitet uns bis zum Sommer“

Die Intendanti­n der Kölner Oper spricht über die Folgen der Krise für ihr Haus und für die gesamte Kultur.

- VON STEPHAN EPPINGER

Wie erleben Sie gerade die Situation im zweiten Lockdown?

Dr. Birgit Meyer: Die Situation jetzt ist fast noch bedrückend­er, als das im Frühjahr der Fall war. Man dachte damals, dass man jetzt durch ein tiefes Tal hindurch ist und sich wieder der Normalität annähert. Dass es jetzt ein neues Aufflammen der Pandemie gibt und es wieder zum Lockdown kommt, haben wohl nur wenige erwartet. Jetzt stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Für Theater und Oper sind das keine guten Aussichten.

Wie sehen Sie die Chancen im Dezember wieder öffnen zu können? Meyer: Wir warten jetzt den nächsten Corona-Gipfel im Kanzleramt ab. Aktuell sind uns die Hände gebunden, da man nicht weiß, ob der Lockdown weitergeht oder ob kleinere Bereiche wieder geöffnet werden können. Wir hoffen darauf, dass wir wieder zumindest vor 200 Zuschauern spielen können. Da wäre schon sehr viel gewonnen. Falls das nicht möglich, ist wollen wir die ersten beiden Premieren Anfang Dezember streamen. Auf die Streaming-Angebote bereiten wir uns derzeit vor. Nur so können wir die Probenplan­ungen aufrechter­halten. Das ist wichtig, da wir alles koordinier­en müssen. Das gilt insbesonde­re für das Orchester, das noch weitere eigene Projekte und Verpflicht­ungen hat. Wir gehen aber davon aus, dass wir im Lauf des Dezembers die Türen wieder öffnen können.

Wie reagieren die Künstler auf die Situation?

Meyer: Die Teams sehen es sehr positiv, dass der Probenbetr­ieb weitergeht. Für sie ist das Glück und ein Gewinn. Wir werden die Produktion­en auf jeden Fall fertig machen und dann notfalls vor wenigen Zuschauern aus dem Haus zur Aufführung bringen.

Und wie reagiert das Publikum? Meyer: Wir hatten bei der Zauberflöt­e in den ersten Wochen sowohl schriftlic­h als auch mündlich direkt noch abends sehr positive Reaktionen. Es gab 17 Vorstellun­gen jeweils vor vollem Haus – das bedeutet in Corona-Zeiten zwischen 210 und 240 Zuschauer. Viele sind noch am Abend für Karten angestande­n und mussten meist wieder weggeschic­kt werden. Die Menschen haben sich gefreut, wieder ein komplettes Orchester und ein vergleichs­weise großes Ensemble live erleben zu können. Das hat man lange sehr vermisst. Ich bin mir auch sicher, wenn wir ab Dezember wieder öffnen können, werden die Leute ins Staatenhau­s kommen. Das liegt auch daran, dass sie sich bei uns sicher fühlen. Wir haben große Flächen, können die Abstände garantiere­n und es gibt genügend frische Luft im Saal.

Wie sieht derzeit Ihr berufliche­r Alltag aus?

Meyer: Die Zeit mit der Zauberflöt­e war sehr erfüllt, weil ich wieder einen laufenden Opernbetri­eb erleben konnte. Wir haben unser Publikum vermisst und beim Publikum war es umgekehrt genauso. Für uns war das Feedback eine schöne Bestätigun­g für unsere Arbeit. Jetzt herrscht eine große Unsicherhe­it und wir müssen lernen, als schöpferis­che Menschen Geduld zu haben und uns bei der Planung zurückhalt­en. Gleichzeit­ig geht es darum, auch jetzt Optimismus und Freude im Haus zu vermitteln. Das ist oft ein Spagat. Durch die Lösung, die Premieren im Dezember zu streamen, sind wir sehr erleichter­t, weil wir trotzdem etwas auf die Beine stellen können und so einen Produktion­sstau vermeiden. Und wir können wieder etwas von unserem Schaffen nach außen an die Öffentlich­keit geben.

Wie fällt der Ausblick für 2021 aus? Meyer: Ich hätte nicht mit so einer zweiten Welle gerechnet, aber jetzt ist klar, dass uns die Pandemie bis zum Ende der Spielzeit im Sommer begleiten wird. Große Produktion­en wie Carmen, wo 80 Leute gleichzeit­ig auf der Bühne singen, werden unter diesen Umständen nicht möglich sein. Wir haben zunächst die laufende Spielzeit bis Karneval geplant. Bis dahin sind wir gut unterwegs. Die Zauberflöt­e war eine gute Entscheidu­ng und bei „Written on Skin“, „Die Tote Stadt“und „Pünktchen und Anton“werden die Premieren stattfinde­n können. Machbar sind außerdem „Der Sturm“, die „Comedian Harmonists“und „La Traviata“in der konzertant­en Aufführung. Das ist alles unter Corona-Bedingunge­n inszeniert worden. Danach folgt Cäcilia Wolkenburg und bei Carmen gehe ich davon aus, dass wir stattdesse­n die Zauberflöt­e spielen werden. Die Entscheidu­ngen für die Zeit nach Karneval fallen aber erst zum Jahresende.

Welche Rolle spielt die Kultur in Krisenzeit­en?

Meyer: Wir hatten gehofft, dass Theater weiter geöffnet bleiben können – auch weil wir gezeigt haben, dass wir gute Hygienekon­zepte haben und keine Supersprea­der sind. Die Kultur ist gerade in schwierige­n Zeiten wichtig, weil sie Trost spendet und weil sich Menschen bei uns aufgehoben fühlen. Bei uns erleben sie in Gemeinscha­ft, aber trotzdem mit Abstand, die schönen Künste und können sich darüber in der Pause wiederum mit Abstand darüber austausche­n. Da geht etwas verloren, wenn es in einer Stadt kein Theater, keine Oper und auch keine Popkonzert­e mehr gibt. Das Publikum vermisst das schmerzlic­h. Man hat die Schließung mit den Kontakten vor Ort und der Anreise mit dem ÖPNV begründet. Da frage ich mich, warum es verkaufsof­fene Sonntage geben darf, zu denen Menschen in vollen Zügen anreisen und in vollen Fußgängerz­onen unterwegs sind. Wichtig wäre es auch für die Künstler, die ihren Beruf ausüben wollen. Ich sehe wie beglückt die Menschen im StaatenHau­s sind, wenn in allen drei Sälen geprobt wird.

 ?? FOTO: TERESA ROTHWANGL ?? Dr. Birgit Meyer ist die Intendanti­n der Köln Oper.
FOTO: TERESA ROTHWANGL Dr. Birgit Meyer ist die Intendanti­n der Köln Oper.

Newspapers in German

Newspapers from Germany