Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Trost im Advent per Radio und online
Die Friedenskirche ist aktuell geschlossen. Die Baptisten-Gemeinde hofft auf Freiluftgottesdienst zu Weihnachten
Vor der Friedenskirche an der Schützenstraße stehen am Samstagnachmittag zwei große Übertragungswagen. Am Sonntag, soll der Gottesdienst der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde im Programm von WDR 5 übertragen werden. Für den frühen Samstagabend ist die Generalprobe inklusive einer Aufzeichnung mit den Baptisten geplant. Pastor André Carouge sieht der Liveübertragung gelassen entgegen. „Ich habe das schon mehrere Male erlebt“, berichtet er. „Auch für das Fernsehen. Aber wenn man nicht dauernd in die Kameras schauen muss, ist das schon viel entspannter.“
Die Tonprobe wird routiniert und ruhig absolviert. Die fünfköpfige Band spielt sich warm, von der Empore erklingen Orgel und Klarinette, Tontechniker haben sich in verschiedenen Ecken der Kirche platziert und hören aufmerksam zu. Nach oben gerichtete Daumen sind das Ergebnis. Die Generalprobe, für 17.30 Uhr angesetzt, wird um eine Viertelstunde vorgezogen. Um 17.14 Uhr wird es still im Kirchenraum, die Musiker stehen bereit, Pastor Carouge blättert noch einmal im Manuskript, das seine Predigt enthält. Und dann geht es los.
„Herzlich willkommen im Advent“, sind die ersten Worte des Pastors. Die Zeit des Advents, das Warten auf das Weihnachtsfest, wird sich immer wieder durch die anschließenden 57 Minuten des Gottesdienstes ziehen. André Carouge, an den großen Kirchenraum ohne Besucher gewöhnt, spricht so, als sei die Kirche voller Gäste, schaut hin und wieder in nicht vorhandene Kameras und liest akzentuiert und fehlerlos. Ab dem Tag, an dem die Inzidenzzahlen in Remscheid über 200 gestiegen waren, hatte die Gemeindeleitung der Baptisten beschlossen, die Gottesdienste nur noch online anzubieten und Präsenzgottesdienste so lange auszusetzen, bis sich die Zahlen wieder „auf einem normalen Level bewegen“.
Davon ist Remscheid derzeit weit entfernt. Der Anblick der leeren Kirche ist André Carouge vertraut, er mag ihn trotzdem nicht. Denn die mehr als 350 Gemeindeglieder der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde erleben eine schwierige Zeit. Alle Hoffnungen liegen auf der großen Weihnachtsfeier, die für alle evangelischen Christen der Stadt auf dem Schützenplatz stattfinden soll.
Das erste Lied erklingt: „Macht hoch die Tür“, von Orgel und Klarinette intoniert, von Sopran und Bariton auf der Empore gesungen. Später spielt die Gemeindeband modernes, christliches Liedgut. Drei Gemeindemitglieder berichten über das Warten, das Willkommensein
und das Ankommen. Matthias Weskott, der in der Band das elektronische Schlagzeug bedient, gibt zum Beispiel zu, dass Warten noch nie sein Ding gewesen ist. Sara Tahvildaran, eine junge Frau aus dem Iran, berichtet, wie herzlich sie in Remscheid begrüßt wurde.
André Carouges Predigt dauert zwölf Minuten. Er berichtet über die momentan finsteren Zeiten und über Herrscher, die keine guten Herrscher sind. „Aber Gott kommt ohne Ellenbogen, die die Despoten der heutigen Zeit ja brauchen.“Die Klarinette unterbricht den Pastor in der Mitte seiner Predigt und spielt eine bewegende Soloversion von „Maria durch ein Dornwald ging“. Ein Psalm von Hanns-Dieter Hüsch wird gelesen, die Fürbitten werden gesprochen, noch einmal erklingt „Macht hoch die Tür“, Orgelnachspiel. Der Gottesdienst ist zu Ende. „Es ist so schön, dass Sie den Menschen, die nicht in die Kirche gehen können, die Zeit mit so einem besonderen Gottesdienst erleichtern“, sagt Julia Rebecca Riedel von der kirchlichen Aufnahmeleitung des Radiosenders.