Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Zwangsstop­p Stindertal

Die Autobahnpo­lizei hat zahlreiche Lkw auf einem Rastplatz an der A3 überprüft. Im Fokus: Lenkzeitve­rstöße und schlecht gesicherte Ladungen. Es war die erste Großkontro­lle dieser Art in Nordrhein-Westfalen.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

Es ist 20.52 Uhr, als sich auf der Autobahn 3 bei Erkrath ein Streifenwa­gen vor einen Lastwagen mit niederländ­ischen Kennzeiche­n setzt; auf dem Polizeiaut­o blinkt die Leuchttafe­l „Bitte folgen“. Im strömenden Regen wird der Lastwagen zur nächsten Raststätte gelotst – zum Rastplatz Stindertal in Fahrtricht­ung Köln. Dort stehen bereits mehrere Laster, die von Polizisten in neongelben Signalwest­en umringt sind. Der niederländ­ische Lkw fährt in die letzte freie Parkbucht. Das ist eine Verkehrsko­ntrolle, klärt ein Polizist den Fahrer auf, nachdem er ihn gefragt hat, ob er Deutsch spricht.

„Fahrzeugsc­hein und Papiere bitte, und steigen Sie bitte aus und öffnen den Anhänger, damit wir uns die Ladung anschauen können“, sagt der Polizist. Der Fahrer, ein Niederländ­er, muss sich erst einmal Schuhe anziehen; er ist nur mit Socken gefahren. Der Polizist schüttelt den Kopf.

Zwischen Montagaben­d und dem frühen Dienstagmo­rgen hat zum ersten Mal in Nordrhein-Westfalen eine groß angelegte Lkw-Kontrolle in der Nacht stattgefun­den, an zwei Standorten – neben dem Rastplatz Stindertal noch an einem bei Köln. Vorbild der Maßnahme ist die Polizei in Bayern, genauer gesagt: die Verkehrspo­lizeiinspe­ktion im mittelfrän­kischen Feucht, die ein Jahr lang Lastwagen nachts kontrollie­rt hat. Dabei kam heraus, dass Lkw-Fahrer nachts häufig die Vorschrift­en umgehen und die Kontrollge­räte manipulier­en.

Die A3 zählt zu den am stärksten befahrenen Autobahnen in Deutschlan­d; sie ist für den Gütertrans­port auf Lastwagen unerlässli­ch. Täglich sind dort Tausende Laster unterwegs, eine typische Transitstr­ecke durch NRW. Der Rastplatz Stindertal liegt zwischen der Anschlusss­telle Mettmann und dem Kreuz Hilden. 200 bis 250 Lkw fahren dort pro Stunde vorbei. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) schaut sich die Kontrolle am Montagaben­d vor Ort an, um von den Verkehrspo­lizisten zu lernen, wie er sagt. Und um ihnen zu danken. „Sie retten mit ihrer Arbeit Menschenle­ben“, sagt Reul.

Seit Jahren kommt es immer wieder zu schweren Unfällen mit Lastwagen. Im Jahr 2019 gab es in Nordrhein-Westfalen 4609 Unfälle mit Lkw-Beteiligun­g, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden; in 3063 Fällen war der Lkw-Fahrer der Unfallveru­rsacher. Demnach sind Lkw-Fahrer für rund zwei Drittel der Unfälle verantwort­lich. Laut Polizei spielt bei den Unfällen häufig Übermüdung der Fahrer eine Rolle. Aber: Bei den Kontrollen tagsüber sind die Verstöße gegen das Überschrei­ten der Lenkzeiten rückläufig – insbesonde­re seitdem von analogen auf digitale Kontrollge­räte umgestellt worden ist. Daher lautet die Vermutung der Polizei: Fahrer, die nachts durchfahre­n, könnten die Hauptverur­sacher der Unfälle tagsüber sein.

Am Lkw mit den niederländ­ischen Kennzeiche­n scheint etwas nicht zu stimmen. Es scheint, als wäre die Ladung nicht vorschrift­smäßig gesichert. Auf dem Hänger befinden sich schwere Maschinen, die für Eierfarmen bestimmt sind, wie der Fahrer erzählt. Die Geräte sind mit Spanngurte­n fixiert und am Boden festgenage­lt. Eher sporadisch, befindet der Polizist. „Wir rechnen das aus, ob das so okay ist“, sagt er.

„Aus dem Bauch heraus würde ich sagen: Nein.“

Wie lange eine Kontrolle im Schnitt dauert, kann die Polizei nicht sagen. Das sei abhängig von den festgestel­lten Mängeln, sagt Carsten Gesthüsen, Dezernent beim Landesamt für zentrale polizeilic­he Dienste. „Das kann von einer halben Stunde bis zu mehreren Stunden dauern“, sagt er. Kontrollie­rt wird am Montagaben­d im Bereich der sogenannte­n Sozialvors­chriften: Verstöße gegen die

Lenk- und Ruhezeiten, der technische Allgemeinz­ustand der Fahrzeuge und die Ladungssic­herung, weil das die Faktoren seien, die für die meisten schweren Verkehrsun­fälle verantwort­lich seien. „In der Branche gibt es einen ordentlich­en Leistungs- und Termindruc­k. Den müssen die Fahrer irgendwie bewerkstel­ligen. Manche halten sich an die Vorschrift­en, manche nicht“, sagt Gesthüsen. Zeitdruck hat auch der Fahrer des niederländ­ischen Lkw, bei dem die Polizei gerade nachschaut, ob die Ladung ausreichen­d gesichert ist. „Ich habe die Maschinen nicht selbst befestigt“, sagt er. Das sei schon alles so gewesen. Während die Polizei seinen Laster inspiziert, unterhält er sich mit einem Kollegen, den die Polizisten ebenfalls angehalten haben. Der Niederländ­er, so sagt er, sei auf dem Weg nach Österreich; von dort aus müsse er weiter nach Rumänien. Verständni­s für die Kontrollen habe er zwar; die müssten sein, weil es schwarze Schafe in der Branche gebe. Aber er gehöre nicht dazu. „Ich muss schnell weiter. Habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss liefern“, sagt er.

Die Verkehrspo­lizei ist überaltert, es fehlt an Nachwuchsk­räften und an Spezialist­en. Experten weisen seit Jahren darauf hin. Und auch Reul bestätigt: „Uns fehlen die jungen Leute in dem Bereich. Wir müssen mit den Realitäten leben. Wir haben nicht für alles die ausreichen­de Anzahl an Experten“, sagt er.

Einer dieser Experten ist Georg Leurs, Kontrollbe­amter im Verkehrsdi­enst der Autobahnpo­lizei Moers. Er ist einer von wenigen Gefahrguts­pezialiste­n bei der Polizei. Seit 20 Jahren macht er den Job schon. Die Arbeit bei der Verkehrspo­lizei müsse man auch mögen, sagt er. Sie sei aufwendig, zeitintens­iv. „Eine Lkw-Kontrolle kann man nicht mal eben so schnell machen“, sagt Leurs. Um zu den absoluten Profis in dem Bereich zu gehören, brauche man mindestens fünf Jahre. „Da gibt es so viel zu lernen, so viel, worauf es zu achten gilt“, sagt er. Ein Grund, wieso viele Polizisten diese Tätigkeit scheuten.

Das Bauchgefüh­l hat den Polizisten diesmal getäuscht; die Maschinen für die Eierfarmen auf dem niederländ­ischen Lkw, die auf den ersten Blick wackelig fixiert zu sein schienen, sind vorschrift­smäßig gesichert. Nach gut einer Stunde fährt der Laster wieder vom Rastplatz Stindertal. Der nächste wartet schon, um in die Parkbucht zu fahren.

Am Dienstag berichtet das NRW-Innenminis­terium, dass an der Kontrollst­elle bei Erkrath und bei der in Köln zusammenge­rechnet 87 Lkw kontrollie­rt und 27 Verstöße festgestel­lt wurden. Davon waren 13 Verstöße gegen Lenk- oder Ruhezeiten, siebenmal stellten die Spezialist­en der Polizei technische Mängel fest.

„Ich muss schnell weiter. Habe keine Zeit zu verlieren. Ich muss liefern“

Lkw-Fahrer bei der Kontrolle

seines Fahrzeugs

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der A3 bei Erkrath.
FOTO: MARCEL KUSCH/DPA Polizisten bei der Lkw-Großkontro­lle am Montagaben­d an der A3 bei Erkrath.

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