Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Sportler müssen bei Sicherheit mitreden

Oft wirkt es, als seien die Athleten bei Wettkämpfe­n den Risiken und Bedingunge­n ausgeliefe­rt. Doch sie sind mächtiger, als sie glauben. Die Formel 1 verdankt zum Beispiele viele der heutigen Vorkehrung­en den Protesten der Fahrer.

- VON CHRISTINA RENTMEISTE­R

Sportliche Wettkämpfe leben davon, dass Athleten an ihre Grenzen gehen, dass es Spektakel und Spannung gibt. Und Sportler leben davon, dass Menschen dafür Geld bezahlen. Das führt seit Jahrzehnte­n dazu, dass es Aktiven wie Verbänden und Wettkampf-Veranstalt­ern vor allem auch um das Höher, Schneller, Weiter, Spektakulä­rer geht. Gefahren gehören in den meisten Sportarten dazu, in einigen Sportarten auch Lebensgefa­hr. Der Feuer-Unfall von Formel-1-Fahrer Romain Grosjean hat dies am Sonntag erschrecke­nd vor Augen geführt. Das Risiko kalkuliere­n die Sportler ein und versuchen es mit Können, Training und gutem Material so gering wie möglich zu halten.

Für die große Show werden die Grenzen des Vertretbar­en aber immer wieder nicht nur ausgereizt, sondern überschrit­ten. Die Sportler selbst, ihre Trainer, Vereine und Verbände sehen über das hohe Risiko oftmals hinweg, bis ein schwerer Sturz oder ein Unfall die Kritiker auf den Plan ruft. Das war zuletzt zum Beispiel bei den Radrennfah­rern zu beobachten, die sich nach mehreren schweren Stürzen über zu gefährlich­e Streckenve­rläufe beschwerte­n. Die Kritik, dass die abschüssig­e Zieleinfah­rt bei der Polen-Rundfahrt lebensgefä­hrlich sei, gab es schon vor dem Start. Angetreten sind die Profis dennoch. Dann stürzte der Niederländ­er Fabio Jakobsen schwer und die Diskussion entbrannte.

Oftmals wirken die Sportler wie Marionette­n, die keine andere Wahl haben als zu starten. Das stimmt in gewisser Weise. Sie starten für ein Team, müssen ihren Vertrag erfüllen, oder wollen im nationalen Sportverba­nd nicht als Leistungsv­erweigerer dastehen und die Teilnahme an großen Wettbewerb­en aufs Spiel setzen. Außerdem sind viele auf die Sponsoreng­elder angewiesen. Erst recht nach der Corona-Unterbrech­ung. Deswegen setzen sich viele der Infektions­gefahr aus, obwohl sie Bedenken haben.

Und doch sind Sportler gegenüber den Veranstalt­ern nicht machtlos. Ein Wettkampf-Format kann noch so spektakulä­r sein – wenn niemand antritt, bringt das den Organisato­ren gar nichts. Ohne Athleten kein Wettkampf, keine TV-Übertragun­g und keine Zuschauer, also auch keine Einnahmen. Streik oder Boykott der Athleten haben in der Vergangenh­eit daher auch im Sport Wirkung gezeigt.

In der Formel 1 wurden wichtige Sicherheit­svorkehrun­gen, die Grosjean nun das Leben retteten, nur erreicht, weil sich die Fahrer in der Vergangenh­eit zusammenta­ten und den Rennorgani­satoren mit Boykott drohten, wenn sie ihre Forderunge­n nach Leitplanke­n oder abgeschwäc­hten Kurven nicht erfüllen. Die Autos waren immer schneller geworden, die Veranstalt­er wollten aber nicht in die Anpassung und Modernisie­rung der Strecken investiere­n – die Zahl der tödlichen Unfälle stieg, bis die Fahrer das Thema Sicherheit selbst in die Hand nahmen. So fand 1969 der Grand Prix in Spa wegen des Boykotts der Fahrer nicht statt und 1970 musste das Rennen in Deutschlan­d von der Nordschlei­fe am Nürburgrin­g auf den Hockenheim­ring umziehen. Auch nach Unfällen in der jüngeren Vergangenh­eit setzte sich die Fahrergewe­rkschaft für Verbesseru­ngen ein. Die Fia hat daraus gelernt und verbessert das System immer wieder. Auch jetzt werden bereits erste Stimmen laut, dass geprüft werden muss, warum die Leitplanke in Bahrain dem Einschlag des Haas-Autos nicht standhielt und das Auto zerteilte.

Im Radsport bewirkten die Athleten im September beim Giro d’Italia eine Verkürzung der 19. Etappe. Die mit 253 Kilometern längste Etappe des Rennens sollte trotz Winde und Schnee wie geplant stattfinde­n.

Die Beispiele zeigen, dass Proteste gegen zu riskante Wettkämpfe oder Bedingunge­n dann erfolgreic­h sind, wenn sich die Athleten team- und nationenüb­ergreifend zusammentu­n. Genau darin besteht aber oftmals das Problem. Es liegt in der Natur des Sports, dass die Athleten und Teams Konkurrent­en sind. Auch wenn es in vielen Sportarten Athletensp­recher gibt – eine gemeinsame Entscheidu­ng zu treffen, gelingt oft nicht. Mal liegt das an der unterschie­dlichen Gefahrenbe­wertung, mal daran, dass sich einige Sportler den Boykott finanziell nicht leisten können. Immer wieder liegt es aber auch daran, dass Einzelne ihren Vorteil suchen und das Risiko lieber in Kauf nehmen.

Beim Rennrodel-Weltcup im Januar 2020 in Winterberg hat sich dieses Phänomen eindrückli­ch gezeigt. TV-Experten und auch einige Teams bewerteten den Zustand der Eisbahn im Sauerland als nicht wettbewerb­stauglich. Durch zu viele Unebenheit­en werde sie unbeherrsc­hbar, befanden die den Weltcup dominieren­den deutschen Doppelsitz­er. Sie zogen ihren Start zurück, genauso wie das Team aus Österreich. Sie riskierten statt ihres Lebens lieber den Verlust von wichtigen Weltcup-Punkten. Denn zahlreiche andere Doppelsitz­er starteten trotz allem. Es ist dennoch wichtig, dass die Stars der Szene selbstbewu­sst vorangehen und sich das Mitsprache­recht der Athleten erkämpfen. Sie sind es, mit denen die Veranstalt­er Profit machen, sie müssen mitreden dürfen, wenn es um ihr Leben geht.

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FOTO: TOLGA BOZOGLU/AP Teile des Haas-Autos von Romain Grosjean werden von der Strecke geschafft. Dass er den Unfall überlebt hat, hat er auch dem Einsatz ehemaliger Kollegen gegen fehlende Sicherheit­vorkehrung­en zu verdanken.

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