Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Es ist ein Spiel auf Leben und Tod“

Instana-Gründer Mirko Novakovic referierte bei der Bergischen Industrie- und Handelskam­mer über das Silicon Valley, das Tal der Hamsterräd­er und des unbegrenzt­en Kapitals.

- VON FRED LOTHAR MELCHIOR

Weshalb braucht ein Mann, der mit 44 Jahren mitten im Leben steht, „ein, zwei Jahre Ruhe“? Weil er bisher im Hamsterrad gesteckt hat: Mirko Novakovic, (Mit-) Gründer von codecentri­c und Instana, sprach beim jüngsten „Meet IT“-Treffen der Bergischen Industrieu­nd Handelskam­mer (IHK) offen über die „absolut brutale Mentalität“im Silicon Valley. Dort, wo man sich „massiv große Ziele setze“und es „knallhart“zugehe, feierte er den bisher größten Erfolg: Der Solinger, der seine berufliche Karriere bei IBM begann, verkaufte Instana gerade an seinen ehemaligen Arbeitgebe­r. „Es war ein unschlagba­res Angebot, das wir nicht ablehnen konnten.“

Was macht das Tal südöstlich von San Francisco aus? Im Silicon Valley finde man neben einem starken Netzwerk „wirklich Talent, und nur die besten Firmen kommen durch“, erläuterte Mirko Novakovic den Teilnehmer­n der Videokonfe­renz – Mitglieder des Ausschusse­s für digitale Wirtschaft und des Industriea­usschusses der IHK. Deshalb gebe jeder „absolut Vollgas“, seien 80- bis 100-Stunden-Wochen die Regel. „Man arbeitet immer; es gibt keinen Urlaub, keinen Samstag, keinen Sonntag – vielleicht mit Ausnahme von Thanksgivi­ng.“

Dafür liegen die Gehälter der Software-Entwickler aber auch weit über denen in Europa. Erhielten sie in Portugal 30.000 und in Deutschlan­d 100.000 Dollar pro Jahr, bekomme ein Junior Developer im Silicon Valley bereits 300.000, führte der IT-Experte aus. Das führe zur Abwanderun­g der Fachkräfte aus anderen Ländern. Novakovic: „Man kann auch eine Million verdienen.“

Wie Geld – im Gegensatz zur Start-up-Finanzieru­ng hier – generell keine Rolle zu spielen scheint. Es gebe „unheimlich viel Kapital, und das fast ausschließ­lich im Silicon Valley“, unterstric­h der Instana-Gründer. Mit dem Unternehme­n,

dessen Software andere Programme überwacht und optimiert, sei man „meilenweit“davon entfernt gewesen, jemals eine schwarze Null zu schreiben: „Wir haben Geld verbrannt.“Und trotzdem griff IBM zu – weil Instana das Potenzial hat, einmal zum seltenen Einhorn („Unicorn“) zu werden. Also zu einem Start-up, dessen Wert eine Milliarde übertrifft.

Der Weg dahin ist hart. Die meisten Unternehme­n scheitern, einige machen auf kleinerer Basis weiter. Die Erfolgreic­hen müssen im Silicon Valley dem T2D3-Pfad folgen: triple, triple, double, double, double. Das sind keine Trippelsch­ritte, sondern der Sprung von „null auf 100 Millionen Euro Umsatz in fünf Jahren“, wie Novakovic erklärte. Wer die erste Million erreicht hat, muss das Ergebnis zweimal verdreifac­hen und dann dreimal verdoppeln. „Fehler sind okay, wenn man schnell daraus lernt. Kosten spielen keine Rolle. Da muss man sich als Deutscher manchmal zurücknehm­en.“

„Nur drei Prozent der Firmen werden zum Unicorn“, weiß der Unternehme­r. Geld gebe es nur für diejenigen, die T2D3 erreichen. Es sei ein Spiel auf Leben und Tod – „ein Spiel, das ich mitmachen muss, bei dem Geschwindi­gkeit alles ist“. Hier rede man immer über Gewinne und Verluste, nicht über Wachstum. Novakovic: „In Deutschlan­d wächst man viel vorsichtig­er. 50 Prozent Wachstum sind hier schon viel.“

Im Silicon Valley vergrößere sich die Belegschaf­t dagegen in fünf Jahren von fünf auf 1000 Köpfe. Jeder neue Umsatzschr­itt erfordere neue Spezialist­en etwa im Marketing: „In jeder Phase wird ein Drittel der Mitarbeite­r ausgetausc­ht.“Wo im Handumdreh­en eingestell­t wird, wird im Handumdreh­en entlassen: Die amerikanis­chen Messespezi­alisten von Instana standen wegen der Corona-Pandemie sofort auf der Straße – qualifizie­rten sich aber zum Teil weiter und konzipiere­n jetzt virtuelle Veranstalt­ungen

für Instana.

Flexibilit­ät, Einfachhei­t und Schnelligk­eit: Daran krankt es laut Mirko Novakovic in Deutschlan­d. „Warum sind wir eigentlich so, dass wir immer ein Haar in der Suppe finden?“Und warum gebe es so starke und starre Strukturen? In den USA werde ein 50-Millionen-Deal auf eine Seite Papier gebracht und virtuell unterschri­eben. In der Bundesrepu­blik Deutschlan­d sitze man sechs Stunden beim Notar, bis alle 200 Seiten über ein 100.000-Euro-Geschäft vorgelesen seien.

Auch bei der Bildung gebe es krasse Unterschie­de. „Wir geben allen gerne das Gleiche – auf einem möglichst niedrigen Niveau“, moniert der Informatik­er. In den USA denke man „in Exklusivit­ät“und versuche, „die Besten auch bestens zu fördern“. Das will er, von der Prinzenstr­aße aus, auch in Deutschlan­d etablieren. Bisher hat die „Neue Schmiede“(New Forge), die 2021 in das Gebäude der früheren Konsumgeno­ssenschaft einziehen wird, 13 Start-ups finanziell unterstütz­tunter anderem die Hildener Linearity GmbH mit ihrer Grafikdesi­gn-Software Vectorinat­or Pro.

Das Unternehme­n, hinter dem gerade volljährig gewordene junge Männer stehen, könne schnell 100 Millionen Euro oder mehr wert sein. „Ob ich noch einmal etwas Eigenes mache, das muss sich ergeben“, sagt der mehr als doppelt so alte Mirko Novakovic.

 ?? FOTOS (2): PETER MEUTER ?? Im Gebäude der ehemaligen Konsumgeno­ssenschaft an der Prinzenstr­aße entsteht ab Mitte 2021 die „Neue Schmiede“.
FOTOS (2): PETER MEUTER Im Gebäude der ehemaligen Konsumgeno­ssenschaft an der Prinzenstr­aße entsteht ab Mitte 2021 die „Neue Schmiede“.
 ??  ?? Rund acht Millionen Euro investiert Mirko Novakovic an der Prinzenstr­aße.
Rund acht Millionen Euro investiert Mirko Novakovic an der Prinzenstr­aße.

Newspapers in German

Newspapers from Germany