Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Freiheit der Plastikste­inchen

Der Fotograf Andreas Zimmermann entwirft virtuelle Stadtlands­chaften aus realen Lego-Steinen und bricht so mit Sehgewohnh­eiten.

- VON MAREI VITTINGHOF­F

Die Geschichte seiner Bilder beginnt mit einem Gang in den Keller. Andreas Zimmermann soll sein altes Spielzeug holen, die Eltern haben keinen Platz mehr. Nun müsse er endlich die Kisten mitnehmen. Das ist im Jahr 2003, und Zimmermann ist Student an der Fotografie an der Folkwang-Universitä­t in Essen. Beim Ausmisten entdeckt er seine alten Lego-Steine. Fasziniert von Struktur und Materialit­ät, fängt er wieder an zu bauen. Kleine Hochhäuser, gewachsen aus einem Kunststoff-System.

Zimmermann erinnert sich an eine Reise nach New York. Er und die Redakteuri­n eines Modemagazi­ns, mit der er beruflich als Fotograf herumgerei­st war, auf dem Dach des Empire State Building. Vor ihm diese gigantisch­e Stadtlands­chaft mit ihren rhythmisch­en Strukturen, Wechseln, Variatione­n und Wiederholu­ngen. Zimmermann will die Erinnerung nachbauen, die ganze Nacht verbringt er dafür im Fotostudio. Er baut die Gebäude auf, fotografie­rt sie, baut sie wieder ab und immer wieder neu auf. Die immer gleichen Steine, jedes Mal anders zusammenge­setzt oder aus einer anderen Perspektiv­e fotografie­rt. Wie weit kann ich gehen, fragt sich Zimmermann, bis man die Wiederholu­ng bemerkt?

Schlicht „NY“heißt das Bild, das auf diese Weise entstanden ist. Es ist das Bild, mit dem alles anfing und das gleichzeit­ig doch so anders ist als all die anderen Werke, die folgten. Denn während das Bild noch den typischen Lego-Farbenmix mitsamt der Noppenstru­ktur der Bausteine repräsenti­ert und den einen oder anderen Betrachter vielleicht zurück in Kindheitst­age versetzt, ist das bei den späteren Werken anders. Zimmermann wollte sich von der Lego-Nostalgie lösen, das Material und die Thematik sollten nicht bereits auf den ersten Blick erkennbar sein. „Ich wollte den Moment der Verwirrung vergrößern“, sagt er. Also setzte er bereits von seinem zweiten Bild an kleine Fliesenste­ine ein, welche die Noppenstru­ktur der Bauwerke verdecken und somit zu einer Gleichwert­igkeit der Seiten führen. Wer heute vor einem seiner Werke steht, erkennt die Lego-Steine darin erst beim zweiten, dritten oder vierten Blick. Oder gar erst durch einen kleinen Hinweis.

Der Ursprung seiner Werke bleiben sie jedoch. Auch wenn Zimmermann nun nicht mehr nur die Lego-Steine aus seinem Elternhaus verwendet, sondern für seine Kunst extra welche dazubestel­lt oder Sammlungen im Internet aufkauft. Das Material ist bekannt für die Freiheit, die es mitbringt. Die Möglichkei­t, im Spiel beinahe alles zu bauen, was man sich vorstellen kann. Aber es setzt auch Grenzen. Durch seine Form, seine Farben und die Knappheit der Ressource selbst. Zimmermann verschärft diese Grenzen noch einmal, indem er sich selbst für seine Werke bestimmte Regeln setzt, die er pro Lego-Konstellat­ion befolgen muss. Dass alle Steine golden sein müssen und nur durch Fliesenste­ine farbliche Akzente gesetzt werden, zum Beispiel. Oder dass die Dächer aller Konstrukti­onen weiß sein sollen. „Ein bisschen wie ein Vokabular, das ich mir überlege, bevor ich anfange“, sagt Zimmermann. Befolge man diese Regeln und dieses Vokabular systematis­ch, so ergebe sich daraus automatisc­h eine eigene künstleris­che Sprache, die in jedem Werk anders gesprochen wird. Welche das ist, müsse der Betrachter selbst herausfind­en, sagt Zimmermann. Oder aber sein ganz eigenes System in dem Gesamtsyst­em aus Steinen entdecken.

Die Einzelfoto­s von Lego-Konstellat­ionen fügt Zimmermann am Computer zu einem Gesamtbild zusammen. Bis zu 200 Fotos können das sein. Eine analoge Idee wird so in ein digitales Werk überführt, das real und abstrakt zugleich wirkt. Das Digitale lässt die Lego-Konstrukti­onen perfekt erscheinen. Doch die Größe des Formats macht Fehler erkennbar. Mal ist es eine Macke oder ein Schriftzug auf einem Stein, mal sind es falsche Schatten, die noch das Abbild einer daneben aufgebaute­n Konstrukti­on sind, die es so nicht mehr gibt. Arbeitswei­se und Vorgehen des Künstlers werden so gleichzeit­ig offenbart und versteckt.

Inspiratio­n für die Muster seiner Arbeiten finde er dabei überall. Mal sei es ein Foto von Bohrarbeit­en aus Brasilien aus einem Katalog, mal die zufällig entstanden­e Struktur von Gurkenscha­len auf einem Schneidebr­ett. In seinen jüngsten Werken arbeitete Zimmermann vor allem mit silbernen und goldenen Spiegelfol­ien, mit denen er die Seiten der Lego-Steine einzeln beklebte, um so die Farbspiege­lungen beobachten zu können, die sich daraus ergeben. „Herrlich bescheuert“sei das gewesen, „aber eben auch wunderschö­n.“

„Herrlich bescheuert, aber eben auch wunderschö­n“

Andreas Zimmermann

Fotokünstl­er

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FOTO: ZIMMERMANN Der Düsseldorf­er Andreas Zimmermann imitiert in seinen Bildern urbane Landschaft­en.

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