Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Bau soll Menschen zusammenbr­ingen

Resümee beim Abschlusst­alk zur Festivalwo­che „Pina Bausch Zentrum under constuctio­n“: Sie führte unter anderem mehr als 200 Akteure in 47 digitalen Aktionen zusammen und sollte den Aufbruch zur neuen Kulturstät­te markieren.

- VON MONIKA WERNER-STAUDE

Die Reise habe schon längst begonnen, sagte Marc Wagenbach am Ende einer halbstündi­gen Diskussion, die einerseits ein Festival resümieren, anderersei­ts Aufbruch markieren sollte. „Pina Bausch Zentrum under constructi­on“führte mehr als

200 Akteure in 47 digitalen Aktionen zusammen. Zeigte sechs Filme, vier künstleris­che Interventi­onen, elf Workshops, acht Warm-ups, acht Talkrunden, Panels, Diskussion­en, Podcasts, ein Back-Event, ein Engels-Special und DJ-Sets. An neun Tagen lebte das alte Schauspiel­haus an der Kluse auf, war voller Programm, das zwar nicht im Gebäude, aber an seiner Fassade und an den Computermo­nitoren der Welt erlebt werden konnte. Zum Abschlussg­espräch trafen sich am Sonntag der Wuppertale­r Bundestags­abgordnete und Kulturpoli­tiker, Helge Lindh (SPD), und die Performanc­ekünstler Kattrin Deufert und Thomas Plischke mit dem inhaltlich­en Leiter des Festivals, Marc Wagenbach.

2027 soll das Pina Bausch Zentrum fertiggest­ellt sein, 2021 endlich mit der bauplaneri­schen Umsetzung begonnen werden. Zeit genug, um derweil um dessen Ausgestalt­ung zu ringen. „Wir bauen gemeinsam ein Haus“war der herausford­ernde Titel des Festivals, das den Auftakt dazu leisten sollte. Lindh schwärmte für die großartige Doppeldeut­igkeit des Titels als Ausdruck des örtlichen Hausbaus und der überörtlic­hen zutiefst gesellscha­ftlichen Aufgabe, habe Deutschlan­d doch beim gemeinsame­n Handeln Nachholbed­arf. Mit vereinten Kräften müsse etwas Konkretes, kein Traumschlo­ss geschaffen werden, stellte auch Kattrin Deufert fest.

Zum Konzept des Hauses, des Pina Bausch Zentrums, hatte Wagenbach im Vorfeld auch die Wuppertale­r befragt. Mehr als 350 Antworten hatte er erhalten. Immer wieder sei darin kulturelle Diversität oder ein Raum für Experiment­e genannt worden. „Deufert & Plischke“sind hier Experten. Die Schwelmer Künstler beschäftig­en sich ausgehend von Tanz und Theater mit der individuel­len Teilhabe und dem sozialen Alltag im künstleris­chen Geschehen.

In der Festivalwo­che bespielten sie die Fassade des Schauspiel­hauses

mit Videoproje­ktionen, die gefilmte Lieblingsb­ewegungen von Wuppertale­rn zeigten. Das Draußen dringe so nach drinnen und das Drinnen nach draußen, so Deufert. Sinnbild auch dafür, dass alle, nicht nur Künstler, beim Hausbau mitmachen sollen. Das zu schaffende Haus müsse gerade die Menschen einbeziehe­n, die von der Hochkultur nicht erreicht werden.

Seine inhaltlich­e Gestalt dürfe nicht vorgegeben, sondern müsse gemeinsam mit ihnen in einem offenen Prozess, „ohne Perfektion mit Fehlern geformt werden“. Dafür

müsse man sich Zeit nehmen, um Räume mit den Menschen anders zu teilen, so Thomas Plischke. Es dürfe nicht nur geredet, es müsse agiert werden: „Wir müssen Räume aufmachen, in denen sich die Menschen sicher fühlen und neue Formen entwickeln können, so dass das, was jetzt nicht vorstellba­r ist, das Vorstellba­re wird. Wir brauchen Zeit für neue Auseinande­rsetzungen.“

Basis dafür ist der Dialog, der, so Lindh, mit der Bereitscha­ft geführt werde, Grenzen zu überschrei­ten und eigene Positionen erschütter­n

zu lassen“. Dass das nicht ohne Konflikte gehen könne, war einhellige Meinung des Quartetts. Diese auszuhalte­n hätten die Menschen verlernt, die Kunst aber, so Lindh, lebe davon, dass man sie erstmal nicht verstehe. Eine Erfahrung, die auch Pina Bausch mit ihrer Arbeit machte, die zunächst viel Unverständ­nis erntete, auch heute längst nicht jeden erreicht. Plischke erinnerte daran, dass Bauschs Tanztheate­r eigene Gedanken herausford­ere, zum Staunen und Grübeln einlade. Dabei durchaus Versöhnlic­hes transporti­ere, Schwäche und Verletzlic­hkeit in Stärke verwandle.

Pina Bausch selbst suchte den Dialog mit ihren Tänzern und mit den Menschen, inszeniert­e ihr Stück „Kontakthof“mit Amateuren im Rentenalte­r und später mit Jugendlich­en. Das Ringen um den „richtigen“Umgang mit ihren Stücken, ihrem Erbe, ist Kernanlieg­en des künftigen Zentrums ander Kluse.

Eine schwierige Aufgabe, die ein sensibles Herangehen erfordert. Der Umgang mit ihrem Werk müsse wie eine freie und hemmungslo­se Umarmung sein, so Helge Lindh abschließe­nd.

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ARCHIVFOTO: STEFAN FRIES Neun Tage lang wurde jetzt im ehemaligen Schauspiel­haus an der inhaltiche­n Ausgestalt­ung des Pina Bausch Zentrums gearbeitet.

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