Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Ein absoluter Tabubruch“

Der Fraktionsc­hef der SPD über Konflikte mit der Union und die Regierungs­krise in Sachsen-Anhalt.

- JAN DREBES UND BIRGIT MARSCHALL FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Ein Jahr vor der Bundestags­wahl hakt es an vielen Stellen in der Koalition, etwa beim Homeoffice-Gesetz. Ihr Arbeitsmin­ister Heil hat seinen Entwurf abgespeckt, trotzdem bleibt der CDU-Wirtschaft­sminister beim Nein. Kann das zum Casus Belli für die SPD werden?

MÜTZENICH Es ist natürlich ärgerlich, dass die Union immer wieder fest verabredet­e Vorhaben blockiert. Das war etwa bei dem Gesetz gegen prekäre Arbeitsver­hältnisse in der Fleischind­ustrie auch schon so, jetzt haben wir da eine Einigung. Es kostet zwar viel Zeit, aber ich setze weiter auf die Kraft der Argumente, um CDU und CSU von unseren Ideen zu überzeugen, auch beim Homeoffice-Gesetz. Daran arbeitet der Arbeitsmin­ister derzeit. Aber es gibt keinen Casus Belli in einzelnen Sachthemen für diese Koalition.

Streit gibt es auch beim Lieferkett­engesetz, das die Verantwort­ung deutscher Unternehme­n zur Einhaltung von Menschenre­chten definieren soll. Gibt es bis Weihnachte­n eine Entscheidu­ng?

MÜTZENICH Ich bin skeptisch. Selbst wenn die CDU- und CSU-Minister im Kabinett zustimmen, ist eine Verabschie­dung im Bundestag bis zum Ende der Legislatur­periode nicht sicher. Die Widerständ­e in der Unionsfrak­tion sind sehr groß.

Das Argument ist doch, dass die Wirtschaft wegen der Corona-Krise derzeit zu stark belastet sei.

MÜTZENICH Die Krise ist ein vorgeschob­ener Grund, den ich gerade sehr oft höre. Schon vor Corona ist dieses Vorhaben an großen Teilen der CDU und CSU abgeprallt. Dabei wird die Wirtschaft durch ein solches Gesetz garantiert nicht in Schieflage geraten. Mir sind viele Unternehme­rinnen und Unternehme­r bekannt, die sich ein solches Lieferkett­engesetz wünschen, weil sie bereits auf die Einhaltung der Menschenre­chte an ihren Produktion­sstandorte­n achten und das Gesetz für gleiche Wettbewerb­sbedingung­en sorgen würde. Unser Wohlstand darf nicht auf dem Rücken ausgebeute­ter Menschen in anderen Ländern wachsen. Nur darum geht es.

Erwarten Sie, dass die Neuverschu­ldung durch den Kampf gegen die Pandemie weiter steigen wird?

MÜTZENICH Wir konzentrie­ren uns erstmal auf die Bewältigun­g der Krise, gesundheit­lich, wirtschaft­lich und sozial. Durch die solide Arbeit von Finanzmini­ster Olaf Scholz hat der Bund genug finanziell­e Ressourcen, um die Corona-Krise zu meistern. Die Debatte um eine stärkere Lastenvert­eilung auf die Länder, die insbesonde­re mein Amtskolleg­e Ralph Brinkhaus vorantreib­t, halte ich für vorgeschob­en. Diese Debatte soll nur davon ablenken, dass die Union am Ende den Rotstift am Sozialstaa­t ansetzen will. Dabei führt uns dieser gerade gut durch die Krise und hilft vielen Menschen, die jetzt in Schwierigk­eiten geraten. Die SPD steht dagegen an der Seite der Menschen mit normalen Einkommen und dafür, dass starke Schultern mehr tragen müssen. Die Diskussion über eine gerechte Verteilung der Lasten werden wir nach der Bewältigun­g der Krise führen. Das wird sicher eines der zentralen Themen im Bundestags­wahlkampf werden.

Wenn wir auf Sachsen-Anhalt und den Streit um die Erhöhung der Rundfunkge­bühren schauen, geht es da noch um die Gebühren selbst?

MÜTZENICH Formal geht es darum. Aber an dem Konflikt um die Rundfunkge­bühren lässt sich zugleich erkennen, dass es Kräfte in der CDU gibt, die bereit sind, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Das ist ein absoluter Tabubruch.

Für die SPD bedeutet das was?

MÜTZENICH Wir müssen die Union insgesamt daran erinnern, dass eine Zusammenar­beit mit der demokratie­verachtend­en AfD nicht nur die konkrete Koalition in Sachsen-Anhalt in existenzie­lle Schwierigk­eiten

bringen wird. Damit demokratis­che Parteien weiter miteinande­r arbeiten können, darf es keine Zusammenar­beit mit der AfD geben. Das gilt für alle Ebenen, vom Bund bis in die Kommunen.

Friedrich Merz mahnte zuletzt, man solle die Erhöhung der Rundfunkge­bühren unabhängig von der Frage nach einer Zusammenar­beit mit der AfD sehen.

MÜTZENICH Mich wundert, dass Herr Merz sich damit deutlich gegen die Ministerpr­äsidenten der Union stellt. Ich erwarte deshalb jetzt eine Klarstellu­ng von Armin Laschet, der ja nicht nur Ministerpr­äsident ist, sondern auch CDU-Vorsitzend­er werden möchte. Eine eindeutige Stellungna­hme von der CDU-Spitze hat es bis heute nicht gegeben. Diese Sprachlosi­gkeit ist fatal.

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