Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Ein absoluter Tabubruch“
Der Fraktionschef der SPD über Konflikte mit der Union und die Regierungskrise in Sachsen-Anhalt.
Ein Jahr vor der Bundestagswahl hakt es an vielen Stellen in der Koalition, etwa beim Homeoffice-Gesetz. Ihr Arbeitsminister Heil hat seinen Entwurf abgespeckt, trotzdem bleibt der CDU-Wirtschaftsminister beim Nein. Kann das zum Casus Belli für die SPD werden?
MÜTZENICH Es ist natürlich ärgerlich, dass die Union immer wieder fest verabredete Vorhaben blockiert. Das war etwa bei dem Gesetz gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie auch schon so, jetzt haben wir da eine Einigung. Es kostet zwar viel Zeit, aber ich setze weiter auf die Kraft der Argumente, um CDU und CSU von unseren Ideen zu überzeugen, auch beim Homeoffice-Gesetz. Daran arbeitet der Arbeitsminister derzeit. Aber es gibt keinen Casus Belli in einzelnen Sachthemen für diese Koalition.
Streit gibt es auch beim Lieferkettengesetz, das die Verantwortung deutscher Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten definieren soll. Gibt es bis Weihnachten eine Entscheidung?
MÜTZENICH Ich bin skeptisch. Selbst wenn die CDU- und CSU-Minister im Kabinett zustimmen, ist eine Verabschiedung im Bundestag bis zum Ende der Legislaturperiode nicht sicher. Die Widerstände in der Unionsfraktion sind sehr groß.
Das Argument ist doch, dass die Wirtschaft wegen der Corona-Krise derzeit zu stark belastet sei.
MÜTZENICH Die Krise ist ein vorgeschobener Grund, den ich gerade sehr oft höre. Schon vor Corona ist dieses Vorhaben an großen Teilen der CDU und CSU abgeprallt. Dabei wird die Wirtschaft durch ein solches Gesetz garantiert nicht in Schieflage geraten. Mir sind viele Unternehmerinnen und Unternehmer bekannt, die sich ein solches Lieferkettengesetz wünschen, weil sie bereits auf die Einhaltung der Menschenrechte an ihren Produktionsstandorten achten und das Gesetz für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen würde. Unser Wohlstand darf nicht auf dem Rücken ausgebeuteter Menschen in anderen Ländern wachsen. Nur darum geht es.
Erwarten Sie, dass die Neuverschuldung durch den Kampf gegen die Pandemie weiter steigen wird?
MÜTZENICH Wir konzentrieren uns erstmal auf die Bewältigung der Krise, gesundheitlich, wirtschaftlich und sozial. Durch die solide Arbeit von Finanzminister Olaf Scholz hat der Bund genug finanzielle Ressourcen, um die Corona-Krise zu meistern. Die Debatte um eine stärkere Lastenverteilung auf die Länder, die insbesondere mein Amtskollege Ralph Brinkhaus vorantreibt, halte ich für vorgeschoben. Diese Debatte soll nur davon ablenken, dass die Union am Ende den Rotstift am Sozialstaat ansetzen will. Dabei führt uns dieser gerade gut durch die Krise und hilft vielen Menschen, die jetzt in Schwierigkeiten geraten. Die SPD steht dagegen an der Seite der Menschen mit normalen Einkommen und dafür, dass starke Schultern mehr tragen müssen. Die Diskussion über eine gerechte Verteilung der Lasten werden wir nach der Bewältigung der Krise führen. Das wird sicher eines der zentralen Themen im Bundestagswahlkampf werden.
Wenn wir auf Sachsen-Anhalt und den Streit um die Erhöhung der Rundfunkgebühren schauen, geht es da noch um die Gebühren selbst?
MÜTZENICH Formal geht es darum. Aber an dem Konflikt um die Rundfunkgebühren lässt sich zugleich erkennen, dass es Kräfte in der CDU gibt, die bereit sind, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Das ist ein absoluter Tabubruch.
Für die SPD bedeutet das was?
MÜTZENICH Wir müssen die Union insgesamt daran erinnern, dass eine Zusammenarbeit mit der demokratieverachtenden AfD nicht nur die konkrete Koalition in Sachsen-Anhalt in existenzielle Schwierigkeiten
bringen wird. Damit demokratische Parteien weiter miteinander arbeiten können, darf es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Das gilt für alle Ebenen, vom Bund bis in die Kommunen.
Friedrich Merz mahnte zuletzt, man solle die Erhöhung der Rundfunkgebühren unabhängig von der Frage nach einer Zusammenarbeit mit der AfD sehen.
MÜTZENICH Mich wundert, dass Herr Merz sich damit deutlich gegen die Ministerpräsidenten der Union stellt. Ich erwarte deshalb jetzt eine Klarstellung von Armin Laschet, der ja nicht nur Ministerpräsident ist, sondern auch CDU-Vorsitzender werden möchte. Eine eindeutige Stellungnahme von der CDU-Spitze hat es bis heute nicht gegeben. Diese Sprachlosigkeit ist fatal.