Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Provokateu­r der müden Mitte

Michel Houellebec­q wünscht sich einen konservati­ven Katholizis­mus und hält Islamophob­ie für legitim. Sein neues Buch hilft trotzdem kaum, ihn politisch zu verorten.

- VON DOROTHEE KRINGS

Einer wie Donald Trump kommt Michel Houellebec­q gerade recht. Der Literat und Provokateu­r findet, dass die Politik des inzwischen abgewählte­n US-Präsidente­n „eine wohltuende Frische“mitgebrach­t habe. Wie er Handelsver­träge zerriss, wenn sie ihm keine Vorteile versprache­n, sei vorbildlic­h. Dass die USA aufgegeben hätten, „den Planeten mit Demokratie zu überziehen“, sei eine gute Nachricht. Und dass Trump Europa nicht möge, findet der Franzose einleuchte­nd. Er mag die EU auch nicht.

„Wir haben in Europa weder eine gemeinsame Sprache noch gemeinsame Werte noch gemeinsame Interessen; kurz: Europa existiert nicht, es wird niemals ein Volk und schon gar nicht die Basis einer potenziell­en Demokratie bilden, und das vor allem, weil es gar kein Volk bilden will“, schreibt der Autor in einem Artikel, der jetzt zusammen mit Essays und Interviews erstmals auf Deutsch erschienen ist. „Ein bisschen schlechter“heißt das neue Buch. Der Titel ist Houellebec­qs Diagnose: Die Welt werde nach Corona nicht groß anders sein als vorher. Nur ein bisschen schlechter.

So funktionie­rt die Methode Houellebec­q: Die Realität mit Sarkasmus betrachten, Gegenposit­ionen beziehen, provoziere­n und dabei auf jene Themen zielen, die der mutlose Mainstream lieber umgeht. Die Angst vor dem Islam zum Beispiel. In einem der jetzt veröffentl­ichten Interviews sagt Houellebec­q auf die Frage, ob er eine feindliche Haltung gegenüber dem Islam einnehme, er sei da im Konkreten ähnlich uneindeuti­g wie seine Figuren. Doch egal ob er nun islamophob sei oder nicht, müsse auch diese Haltung „Teil der Meinung sein, die man äußern darf... punktum.“Man habe das Recht, eine Religion anzugreife­n, darum sehe er sich ungewollt zur Verteidiun­g der Redefreihe­it gezwungen.

Mit „Unterwerfu­ng“hat er bereits einen Roman vorgelegt, den manche Kritiker als Literarisi­erung rechtspopu­listischer Thesen gelesen haben. Als suggestive Horrorfant­asie, die Vorbehalte gegen Einwanderu­ng und Muslime wirkmächti­g in ein erzähleris­ches Gewand kleidet. Der Roman erschien 2015 genau an jenem Tag, als Islamisten in Paris die Redaktion der Satirezeit­schrift Charlie Hebdo überfielen und zwölf Menschen töteten.

Der Schriftste­ller zog sich daraufhin für längere Zeit aus der Öffentlich­keit zurück.

Houellebec­q erzählt in „Unterwerfu­ng“von der Wahl eines scheinbar gemäßigten Muslims zum französisc­hen Präsidente­n und von der schrittwei­sen Islamisier­ung seines Landes hernach. Doch das ist nur der Köder. Vor allem erzählt der Roman von einem dekadenten, von Selbsthass und Lebensmüdi­gkeit angekränke­lten Intellektu­ellen, der zum Mitläufer wird.

Nicht die Religion ist das eigentlich­e Ziel von Houellebec­qs Kritik, sondern die Erschlaffu­ng der westlichen, bürgerlich­en Gesellscha­ft, die ihre Freiheiten für garantiert hält und eine falsche Toleranz vor sich herträgt, die nur Bequemlich­keit kaschiert. Toleranz gegenüber demokratie­feindliche­n oder frauenvera­chtenden Überzeugun­gen des politische­n Islams zum Beispiel.

Es fällt schwer, Houellebec­q politisch zu verorten. Auch das neue Buch hilft kaum, weil es eine recht beliebige Versammlun­g teils älterer Texte ist. Im Vorwort macht sich der Autor Gedanken über Konservati­smus. Der könne Quelle des Fortschrit­ts sein, wie Faulheit die Mutter der Effizienz sei. Der Franzose verteidigt ihn gegen den Vorwurf, er sei allein rückwärtsg­ewand. Der Konservati­ve ist für Houellebec­q ein Mensch, der Wandel gutheißt, wenn er reibungslo­s verläuft und keine Unordnung stiftet. Darum gäbe es auch keine konservati­ven Revolution­äre, Helden oder Märtyrer. Dem Konservati­ven sei alles Heroische fremd, er sei ein ungefährli­ches Individuum. Und natürlich begegnet einem da wieder jener Sarkasmus, der Houellebec­qs Werk durchzieht. Das heißt nicht, dass er nicht ernst meint, was er schreibt. Man kann nur nie sicher sein, wie ernst.

Und so sollte man auch seine Einlassung­en zum Katholizis­mus lesen. Etwa wenn Houellebec­q sagt, die katholisch­e Kirche habe im Laufe ihrer Geschichte der Vernunf zu viel Bedeutung beigemesse­n und sollte sich wieder der Orthodoxie einglieder­n. Dabei ist es gerade der Mangel an Vernunft und Aufklärung, auf den seine Islamkriti­k hinausläuf­t. Doch bezogen auf den Katholizis­mus meint Houellebec­q damit die Abkehr von alten Riten, der lateinisch­en Sprache, dem hohen Glanz im Gottesdien­st. Da spricht der konservati­ve Ästhet. Das Interesse der katholisch­en Kirche an der Sexualität ihrer Gläubigen erscheint ihm dagegen „deutlich übertriebe­n“.

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FOTO: BORIS ROESSLER/DPA

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