Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Provokateur der müden Mitte
Michel Houellebecq wünscht sich einen konservativen Katholizismus und hält Islamophobie für legitim. Sein neues Buch hilft trotzdem kaum, ihn politisch zu verorten.
Einer wie Donald Trump kommt Michel Houellebecq gerade recht. Der Literat und Provokateur findet, dass die Politik des inzwischen abgewählten US-Präsidenten „eine wohltuende Frische“mitgebracht habe. Wie er Handelsverträge zerriss, wenn sie ihm keine Vorteile versprachen, sei vorbildlich. Dass die USA aufgegeben hätten, „den Planeten mit Demokratie zu überziehen“, sei eine gute Nachricht. Und dass Trump Europa nicht möge, findet der Franzose einleuchtend. Er mag die EU auch nicht.
„Wir haben in Europa weder eine gemeinsame Sprache noch gemeinsame Werte noch gemeinsame Interessen; kurz: Europa existiert nicht, es wird niemals ein Volk und schon gar nicht die Basis einer potenziellen Demokratie bilden, und das vor allem, weil es gar kein Volk bilden will“, schreibt der Autor in einem Artikel, der jetzt zusammen mit Essays und Interviews erstmals auf Deutsch erschienen ist. „Ein bisschen schlechter“heißt das neue Buch. Der Titel ist Houellebecqs Diagnose: Die Welt werde nach Corona nicht groß anders sein als vorher. Nur ein bisschen schlechter.
So funktioniert die Methode Houellebecq: Die Realität mit Sarkasmus betrachten, Gegenpositionen beziehen, provozieren und dabei auf jene Themen zielen, die der mutlose Mainstream lieber umgeht. Die Angst vor dem Islam zum Beispiel. In einem der jetzt veröffentlichten Interviews sagt Houellebecq auf die Frage, ob er eine feindliche Haltung gegenüber dem Islam einnehme, er sei da im Konkreten ähnlich uneindeutig wie seine Figuren. Doch egal ob er nun islamophob sei oder nicht, müsse auch diese Haltung „Teil der Meinung sein, die man äußern darf... punktum.“Man habe das Recht, eine Religion anzugreifen, darum sehe er sich ungewollt zur Verteidiung der Redefreiheit gezwungen.
Mit „Unterwerfung“hat er bereits einen Roman vorgelegt, den manche Kritiker als Literarisierung rechtspopulistischer Thesen gelesen haben. Als suggestive Horrorfantasie, die Vorbehalte gegen Einwanderung und Muslime wirkmächtig in ein erzählerisches Gewand kleidet. Der Roman erschien 2015 genau an jenem Tag, als Islamisten in Paris die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo überfielen und zwölf Menschen töteten.
Der Schriftsteller zog sich daraufhin für längere Zeit aus der Öffentlichkeit zurück.
Houellebecq erzählt in „Unterwerfung“von der Wahl eines scheinbar gemäßigten Muslims zum französischen Präsidenten und von der schrittweisen Islamisierung seines Landes hernach. Doch das ist nur der Köder. Vor allem erzählt der Roman von einem dekadenten, von Selbsthass und Lebensmüdigkeit angekränkelten Intellektuellen, der zum Mitläufer wird.
Nicht die Religion ist das eigentliche Ziel von Houellebecqs Kritik, sondern die Erschlaffung der westlichen, bürgerlichen Gesellschaft, die ihre Freiheiten für garantiert hält und eine falsche Toleranz vor sich herträgt, die nur Bequemlichkeit kaschiert. Toleranz gegenüber demokratiefeindlichen oder frauenverachtenden Überzeugungen des politischen Islams zum Beispiel.
Es fällt schwer, Houellebecq politisch zu verorten. Auch das neue Buch hilft kaum, weil es eine recht beliebige Versammlung teils älterer Texte ist. Im Vorwort macht sich der Autor Gedanken über Konservatismus. Der könne Quelle des Fortschritts sein, wie Faulheit die Mutter der Effizienz sei. Der Franzose verteidigt ihn gegen den Vorwurf, er sei allein rückwärtsgewand. Der Konservative ist für Houellebecq ein Mensch, der Wandel gutheißt, wenn er reibungslos verläuft und keine Unordnung stiftet. Darum gäbe es auch keine konservativen Revolutionäre, Helden oder Märtyrer. Dem Konservativen sei alles Heroische fremd, er sei ein ungefährliches Individuum. Und natürlich begegnet einem da wieder jener Sarkasmus, der Houellebecqs Werk durchzieht. Das heißt nicht, dass er nicht ernst meint, was er schreibt. Man kann nur nie sicher sein, wie ernst.
Und so sollte man auch seine Einlassungen zum Katholizismus lesen. Etwa wenn Houellebecq sagt, die katholische Kirche habe im Laufe ihrer Geschichte der Vernunf zu viel Bedeutung beigemessen und sollte sich wieder der Orthodoxie eingliedern. Dabei ist es gerade der Mangel an Vernunft und Aufklärung, auf den seine Islamkritik hinausläuft. Doch bezogen auf den Katholizismus meint Houellebecq damit die Abkehr von alten Riten, der lateinischen Sprache, dem hohen Glanz im Gottesdienst. Da spricht der konservative Ästhet. Das Interesse der katholischen Kirche an der Sexualität ihrer Gläubigen erscheint ihm dagegen „deutlich übertrieben“.