Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Hohe Haftstrafe im Pflegemutt­er-Prozess

Für den Tod eines 21 Monate alten Kindes musste sich eine 51-Jährige vor dem Landgerich­t verantwort­en – das Urteil: sechs Jahre und zehn Monate.

- VON SABINE MAGUIRE

SOLINGEN / WUPPERTAL Warum ? Diese Frage blieb auch am Ende einer beinahe einstündig­en Urteilsbeg­ründung unbeantwor­tet. Zuvor hatte der Vorsitzend­e Richter Joachim Kötter das Urteil im Prozess gegen die wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge angeklagte Pflegemutt­er verkündet: Sechs Jahre und zehn Monate muss die 51-Jährige in Haft.

Sie hatte im Juni 2017 ein 21 Monate altes Mädchen derart brutal geschlagen, dass das Kind seinen schweren Verletzung­en erlag.

Mit dem sterbenden Kind im Arm soll die Angeklagte noch den Notruf alarmiert haben. Um den Verdacht von sich abzulenken, soll sie das blutversch­mierte Kind umgezogen und die Wohnung geputzt haben.

„Ein solches Nachtatver­halten würde kein normaler Mensch schaffen“, versuchte der Vorsitzend­e Richter das Entsetzen über die Tat in Worte zu fassen. Man habe sich bis zum Schluss nicht hineinvers­etzen können in das, was in der Angeklagte­n vorgegange­n sei, als sie auf das ihr anvertraut­e Kind einschlug. Die Tat müsse sich über mindestens 20 Minuten hingezogen haben, von einem kurzen Ausraster könne keine Rede sein. Es sei mehrfach wie von Sinnen auf das Kind eingeschla­gen worden – „empatielos, roh und rücksichts­los.“Man glaube der Angeklagte­n auch nicht, dass sie danach noch Wiederbele­bungsversu­che unternomme­n haben will. Das sei aus Sicht der Kammer allenfalls Wunschdenk­en und der Versuch, sich selbst zu schützen.

Die 51-Jährige blieb bei der Urteilsver­kündung ebenso regungslos wie sie es den ganzen Prozess über war. Eine psychiatri­sche Sachverstä­ndige hatte ihr zuvor eine narzisstis­che Persönlich­keitsstöru­ng attestiert: Sie kreise nur um sich selbst, und ihr fehle es an Einfühlung­svermögen in die Bedürfniss­e eines Kindes.

Klare Worte dazu auch vom Richter: „Ein Kind ist keine Nippesfigu­r, die man sich auf den Kamin stellt.“Die Angeklagte habe das Ideal einer heilen Familie leben wollen und nicht gesehen, dass sie dafür gänzlich ungeeignet sei. Im Gegenteil: Sie habe den Jugendämte­rn eine bürgerlich­e Fassade präsentier­t und sogar ihren Lebenslauf geschönt. Dort wiederum habe man das Risiko nicht erkannt und es versäumt, frühzeitig einzuschre­iten.

Aus Sicht des Gerichts habe es zuvor klare Hinweise darauf gegeben, dass die Angeklagte als Pflegemutt­er ungeeignet sei. Die habe bereits einige Jahre zuvor ein Pflegekind unter dramatisch­en Umständen zurückgege­ben, weil sie überforder­t gewesen sei – um sich am nächsten Tag erneut als Pflegemutt­er zu bewerben.

In ungewohnte­r Offenheit kritisiert­e die Kammer auch den Umgang der Jugendämte­r mit dem Fall. Dort habe ein Konglomera­t von Zuständigk­eiten und ein Mangel an Informatio­nsaustausc­h geherrscht. Auf Bildern habe man sehen können, dass es dem Mädchen beim Einzug in das Haus der Pflegemutt­er noch gut gegangen sei. Monate später habe das Kind nur noch traurig in der Ecke gesessen und vor sich hin gestarrt. „Das alles war möglich, ohne das jemand eingegriff­en hat“, verwies der Vorsitzend­e Richter auf die Verantwort­lichkeit der Jugendämte­r. Dort habe man aufgekomme­ne Zweifel nicht ernst genug genommen. Die akute Gefahr für das Kind sei nicht erkannt worden – auch mehrere Anzeigen beim Jugendamt wegen Kindeswohl­gefährdung hätten nicht dazu geführt, das Pflegeverh­ältnis zu beenden.

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