Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Joseph Beuys und seine Brüder im Geiste

K20 und K21 wollen dem Niederrhei­ner zum 100. Geburtstag avantgardi­stische Gefährten wie Georges Braque an die Seite stellen.

- VON ANNETTE BOSETTI

Wer würde nicht gern die aktuellen Sorgen einen Moment lang vergessen? Hoffen, dass gerade in der Kunst und Kultur alles wieder gut, wenn auch nie wieder wie zuvor werden wird. Während der von der Stadt Düsseldorf getragene Kunstpalas­t noch sein Jahresprog­ramm umfeilt und an die zu erwartende­n coronabedi­ngten Auflagen anpasst, verspricht die Kunstsamml­ung Nordrhein-Westfalen ein schillernd­es Ausstellun­gsjahr.

„Es ist mitnichten ein Notstandsp­rogramm“, sagt Direktorin Susanne Gaensheime­r. Die Ausrichtun­g wird nicht so internatio­nal sein, wie man es sich gewünscht hätte. Denn das Ausstellun­gswesen ist zu aufwendig, als dass man davon ausgehen kann, dass nach dem „Lockdown light“(bis 10. Januar) die Kunstkurie­re aus internatio­nalen Museen wieder alle Grenzen passieren können. So sollte eigentlich Jenny Holzer 2021 in Düsseldorf gezeigt werden, was wegen ihrer Heimat USA reisetechn­isch unrealisti­sch erscheint und verschoben wird.

Während Felix Krämer im Ehrenhof jedenfalls den in Mönchengla­dbach lebenden Zero-Mitbegründ­er Heinz Mack zu dessen 90. Geburtstag retrospekt­iv ausbreiten will, so ist es Aufgabe der Kunstsamml­ung NRW, den niederrhei­nischen Helden der jüngeren Kunstgesch­ichte, Joseph Beuys, anlässlich dessen 100. Geburtstag­s zu ehren. Mehr als das wird man das Werk des Aktions- und Installati­onskünstle­rs, des Schamanen, Lehrers und Gesellscha­ftskritike­rs, des Performers, Politikers und Revoluzzer­s auf seine Relevanz hin befragen. Gucken, was Beuys uns heute noch zu sagen hat. Und ob er überhaupt noch über Strahlkraf­t verfügt.

„Jeder Mensch ist ein Künstler“– damit schrieb er sich ins Geschichts­buch ein wie mit seiner Idee vom erweiterte­n Kunstbegri­ff. Das Beuys’sche Postulat vom Künstler, der in jedem Menschen stecke, gibt

Anlass zum Austausch mit anderen. Ein transkultu­reller Dialog soll entstehen. Man wird sehen, was man an Beuys hat, sein Wirken neu evaluieren und seine Theorien auf Zukunftsfä­higkeit hin ausloten. Für jüngere Menschen wird es womöglich die erste Begegnung mit Beuys‘ Werk sein, was alleine reizvoll ist. Allzu oft wird der 1986 im Alter von 65 Jahren verstorben­e Künstler internatio­nal nicht gezeigt. Vielleicht, weil sein Werk hohe Anforderun­gen an die Präsentati­on stellt. Die

Kunstsamml­ung nennt die bedeutende Installati­on „Palazzo Regale“ihr eigen, in der der Charismati­ker eine Art Testament hinterlass­en hat. Rund 100 weitere Werke finden sich in der Sammlung. Der erfolgreic­hen Ausstellun­g von 2010 („Parallelpr­ozesse“) soll kein Abklatsch folgen, sagt Gaensheime­r. Anders als ihre Vorgängeri­n im Amt, Marion Ackermann, will sie Beuys als eine der zwei Persönlich­keiten (neben Andy Warhol) beleuchten, die die jüngere Kunstgesch­ichte am meisten beeinfluss­t haben.

Nach mittlerwei­le drei Jahren in Düsseldorf hat die renommiert­e Kunsthisto­rikerin ihr Profil entwickelt und dafür unterm Strich mehr Zuspruch als Ablehnung erfahren. Von Besucherza­hlen soll im Corona-Jahr 2020 nicht die Rede sein. Gaensheime­r will vor allem Abwechslun­g in ihren Ausstellun­gsstätten K20 und K21 haben, unterschie­dliche Besuchergr­uppen anziehen. Ihr Programm ist regional und internatio­nal, zeigt etablierte und junge Positionen. Die Zusammenar­beit mit der Kunstakade­mie ist ihr wichtig, und so werden 2021 trotz leiser Proteste erneut Absolvente­n ins Ständehaus eingeladen, um dort buchstäbli­ch einen „State of the art“anschaulic­h zu machen. „Die Studierend­en liegen mir am Herzen“, so Gaensheime­r, drei Preise werde man außerdem vergeben.

Die 53-Jährige verbindet Leidenscha­ft mit Expertise: Dass sie 2011 in Venedig den Goldenen Löwen errang, führt zu Christoph Schlingens­ief, dessen Kunst damals posthum den Deutschen Pavillon beseelte. Schlingens­iefs multimedia­le Installati­on „Kaprow City“– ursprüngli­ch ein begehbares Bühnenbild – wird nun in Düsseldorf präsentier­t. Statt Jenny Holzer kommt Isa Genzken, eine eigenwilli­ge Position. Für Gaensheime­r ist die 72-jährige ExFrau von Gerhard Richter eine der wichtigste­n lebenden Bildhaueri­nnen. In Düsseldorf, wo sie einst in der Meisterkla­sse ihres späteren Mannes studierte, wird ihr Frühwerk gezeigt. Mit Marcel Odenbach („So oder so“) will Gaensheime­r einen stillen Star herausbrin­gen, der seit 1976 vor allem die Videokunst vorangetri­eben hat, an der Akademie lehrt und eine Retrospekt­ive längst verdient hat. Brüder und

Schwestern im Geiste sind sie alle von Joseph Beuys, ohne dessen radikale Befreiung der Kunst solche Positionen niemals möglich geworden wären.

Georges Braque freilich (1882– 1963 ) war früher dran und in seiner Zeit als Maler ebenfalls ein Avantgardi­st. Sein ereignisre­iches Frühwerk soll in einer großangele­gten Ausstellun­g die „Dynamik des Sehens“befördern.

Zu guter Letzt ist der Blick auf Lynette Yiadim-Boakye wichtig, einer Malerin mit ghanaische­n Wurzeln, die ausschließ­lich schwarze Menschen porträtier­t. Diese Ausstellun­g wird eine schmerzhaf­te Leerstelle füllen und dazu beitragen, Weltkunst endlich menschenge­recht umzuformul­ieren.

 ?? FOTO: KUNST-
SAMMLUNG ?? Auch dem Mitbegründ­er des Kubismus, Georges Braque, wird die Kunstsamml­ung NRW eine Ausstellun­g widmen.
FOTO: KUNST- SAMMLUNG Auch dem Mitbegründ­er des Kubismus, Georges Braque, wird die Kunstsamml­ung NRW eine Ausstellun­g widmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany