Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Krisenmana­ger ohne Jobgaranti­e

Die CDU hat kurz vor der Wahl des Vorsitzend­en ihren Kompass verloren. Lösen soll die Probleme ausgerechn­et derjenige, der kurz nach der Abstimmung seinen Job verlieren könnte: Paul Ziemiak.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Ab und an greift Paul Ziemiak zum Rechen. Blätter auf einen Haufen kehren. Das beruhigt in stressigen Zeiten. Der CDU-Generalsek­retär aus Iserlohn braucht gerade gute Nerven. Dem 35-Jährigen obliegt die Aufgabe, die Wahl zum CDU-Vorsitzend­en zu organisier­en und nebenbei einen Bundestags­wahlkampf zu orchestrie­ren. Und das alles mit einer Chefin auf Abruf und ohne Garantie, dass er seinen Job in zwei Monaten noch innehat.

Besuch im Adenauer-Haus: Im geräumigen Büro ist auf dem Schreibtis­ch digitales Gerät für Videokonfe­renzen installier­t – daneben liegen Bücher. Gerade hat er Schülern aus dem Roman „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“vorgelesen, anlässlich des bundesweit­en Vorlesetag­s. Ziemiak hat selbst zwei Kinder, seine Frau ist Apothekeri­n. Die Familie ist ihm wichtig.

Familiär geht es bei seinem Arbeitgebe­r, der CDU Deutschlan­ds, gerade nicht zu. Dabei liegt die Union seit Beginn der Krise in Umfragen stabil bei über 35 Prozent. Doch im Adenauer-Haus weiß man, dass der Grund dafür eher im Kanzleramt als in der Parteizent­rale zu suchen ist. Und dass sich die politische Zeit von Kanzlerin Angela Merkel ihrem Ende zuneigt.

Ziemiak ist sich im Klaren darüber, dass seine Partei gerade eine schwere Zeit durchmacht. Die offene Frage, wer künftig Vorsitzend­er wird, schwelt – und vergiftet die Atmosphäre. Zwischen den drei Kandidaten, aber auch innerhalb der Partei. Ziemiak muss die Wahl organisier­en. Es sind sehr viele technische und juristisch­e Fragen zu klären. Die Absage des Präsenzpar­teitags im Dezember brachte viel böses Blut, führte zum Disput zwischen den Kandidaten Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Merz beschwerte sich bitter über ein „Partei-Establishm­ent“, das ihm seine Chancen raube.

Es war Ziemiak, der am Ende die Kandidaten an einen Tisch brachte und eine – zumindest vorübergeh­ende – Lösung fand. „Im Wettbewerb

der Kandidaten sehe ich mich durchaus als Mittler. Mir ist daran gelegen, dass jeder Kandidat sich vom Adenauer-Haus gut und fair vertreten und behandelt fühlt. Die Herausford­erung in diesem Corona-Jahr ist, ohne einen Präsenzpar­teitag die Wahl rechtssich­er zu gestalten“, sagt er. Ein digitaler Parteitag mit Online-Abstimmung und Bekräftigu­ng des Siegers per Briefwahl, so lautet die derzeitige Idee. Am Montag soll der Parteivors­tand endgültig darüber entscheide­n. Mittlerwei­le geht man in der CDU aber davon aus, dass gewählt wird. Und dann? Für Ziemiak geht es auch um seine berufliche Zukunft.

Laschet ist mit ihm zufrieden, würde ihn im Amt belassen. Merz hält sich bedeckt, hatte eigentlich eine eigene Generalsek­retärin angekündig­t. Es wäre ein ehrgeizige­s

Unterfange­n, in den Vorbereitu­ngen für den Bundestags­wahlkampf noch mal den Hauptmanag­er auszutausc­hen.

Belastet ihn das? „Ich komme gerade gar nicht dazu, mir Gedanken über meine persönlich­e Zukunft zu machen.“Einen Bundestags­wahlkampf zu organisier­en sei eine Herausford­erung, „die ich mit viel Leidenscha­ft, aber auch Disziplin angegangen bin“. Heißt, er würde das Projekt auch gerne zu Ende bringen.

Ziemiak hat sich in den vergangene­n Monaten viel Respekt unter Parteifreu­nden erarbeitet. Die Wertschätz­ung wurde ihm auch im eigenen NRW-Landesverb­and nicht immer entgegenge­bracht. Der Start 2018 war ziemlich holprig. „Der Anfang im Adenauer-Haus war sehr herausford­ernd. Die Europawahl stand vor der Tür, die genaue Aufgabenve­rteilung musste überhaupt erst geklärt werden. Da ist vieles nicht rund gelaufen.“In diese Zeit fiel das Debakel mit dem Youtuber Rezo. Auf dessen Video „Die Zerstörung der CDU“fand man keine passende Antwort, ein Debakel in den sozialen Medien folgte. Die Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r machte medial keine gute Figur. „Aber ich habe das Lehrgeld bezahlt, wir haben seither viel erreicht und unsere Kommunikat­ion komplett umgebaut“, erklärt er rückblicke­nd.

AKK warf Anfang des Jahres nach dem Debakel um die Wahl in Thüringen entnervt hin, seither ist Ziemiak mehr denn je am Ruder. Zuletzt sprang der ehemalige Chef der Jungen Union (JU) in die Bresche als in Sachsen-Anhalt ein Ende der Kenia-Koalition im Streit um den Rundfunkbe­itrag drohte. Er versuchte mit einem Gastbeitra­g den Spagat, einerseits die Angriffe der SPD auf die Union abzuwehren und anderseits eine klare Abgrenzung zur AfD zu ziehen. Nicht alle hielten dies für gelungen, aber so formuliert es einer: „Der Paul duckt sich nicht weg.“Dass der Koalitions­bruch in Magdeburg nun vorerst vom Tisch zu sein scheint – eine Erleichter­ung auch für den Generalsek­retär in Berlin. Die Blicke richten sich jetzt auf die Gremiensit­zungen am Montag. Für die CDU könnte es noch ein turbulente­s Jahresende werden.

Was war für ihn persönlich prägend in diesem Corona-Jahr? Ziemiak lacht: „Es war für mich persönlich mit Blick auf meine Familie auch eine Zeit der Entschleun­igung.“Spricht’s und eilt zum nächsten Termin. Die Entschleun­igung – sie ist lange vorbei.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Paul Ziemiak hat sich in den vergangene­n Monaten viel Respekt unter Parteifreu­nden erarbeitet. Wertschätz­ung wurde ihm nicht immer entgegenge­bracht.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Paul Ziemiak hat sich in den vergangene­n Monaten viel Respekt unter Parteifreu­nden erarbeitet. Wertschätz­ung wurde ihm nicht immer entgegenge­bracht.

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