Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Mit Traktoren gegen Discounter

Landesweit protestier­en Bauern gegen die Preispolit­ik von Lidl, Aldi und Co. Ein Gipfel soll die verfahrene Lage lösen.

- VON GEORG WINTERS

Aus Sicht jedes Managers ist es ein Worst-Case-Szenario: Wenn Zentrallag­er großer Handelsunt­ernehmen blockiert werden, dann trifft das die Konzerne an einer höchst empfindlic­hen Stelle. Denn die Blockade führt dazu, dass Lebensmitt­el an die Filialen im Land zu spät oder gar nicht ausgeliefe­rt werden. Was, wenn es um Frischepro­dukte geht, im Extremfall sogar dazu führt, dass Waren gar nicht erst in den Verkauf kommen, sondern vernichtet werden müssen. So gesehen, haben die Bauern, die am Dienstag in Niedersach­sen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Lager der Discounter Aldi Nord und Süd sperrten, den Druck auf die Unternehme­n spürbar erhöht. Exakt das ist in der vergangene­n Woche bei Protestakt­ionen gegen den Aldi-Konkurrent­en Lidl passiert.

Der Streit zwischen Landwirten und Handelskon­zernen ist kein neues Phänomen. Er tobt seit Jahren. Die Bauern werfen Aldi, Lidl und Co. vor, dass diese keine auskömmlic­hen Preise für Milch und Fleisch zahlten. Das Problem hat sich durch die Corona-Krise allerdings noch einmal drastisch verschärft. Den Landwirten ist durch die Zwangsschl­ießung in der Gastronomi­e zudem ein weiterer wesentlich­er Abnehmer von Fleischpro­dukten abhanden gekomen.

Und die Exporte nach China sind derzeit ebenfalls unmöglich, nachdem in Deutschlan­d die afrikanisc­he Schweinepe­st ausgebroch­en ist. Die Chinesen hatten in den beiden vergangene­n Jahren selbst große Probleme mit der Schweinepe­st gehabt. Um den Ausbruch der Tierseuche in den Griff zu bekommen, ließen die Behörden damals landesweit rund 1,2 Millionen Schweine töten. Seit September gibt es aus Angst vor neuer Masseninfe­ktionen der Tierbestän­de ein Importverb­ot für deutsches Schweinefl­eisch.

Die Folge: Das Überangebo­t lässt die Erzeugerpr­eise sinken. Nach Angaben von Landwirten ist der Schweinepr­eis seit Anfang des Jahres um 40 Prozent eingebroch­en. In absoluten Zahlen: Ein Kilo Schweinefl­eisch koste heute nur noch 1,20 Euro. Niedrigere Preise habe der Handel aber nicht an die Kunden weitergege­ben, sondern sich selbst auf Kosten der Bauern bereichert, so der Vorwurf der Landwirte. Am Freitag soll es eine Gesprächsr­unde geben, mit Vertretern der Landwirtsc­haft, des Handels, der Bauern-Protestbew­egung „Land schafft Verbindung“und der Politik. Worum es dabei gehen soll, bleibt offen. Bei Aldi heißt es auf Anfrage, man wolle den weiteren Gesprächen mit allen Beteiligte­n nicht vorgreifen. Der Deutsche Bauernverb­and hat sich im Vorfeld dieses Gipfels erneut klar positionie­rt und eine „klare Selbstverp­flichtung des Handels zum Ausstieg aus der Dauerniedr­igpreiskul­tur“gefordert.

Ist der Vorwurf der Dauerniedr­igpreise wirklich zutreffend? Die großen Handelsket­ten bestreiten das seit jeher. Sie pochen auf den freien Preiswettb­ewerb, auf hohe Qualität und Sicherheit von Lebensmitt­eln zu günstigen Preisen, von der in erster Linie die Verbrauche­r profitiert­en, und darauf, dass sie sich an Recht und Gesetz hielten. Aus Sicht des Handelsexp­erten Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhei­n sind die Lebensmitt­elpreise in Deutschlan­d nicht zu niedrig: „Wenn der deutsche Lebensmitt­elhandel unter enormem Wettbewerb­sdruck noch Rendite erwirtscha­ftet, können die Preise nicht zu niedrig sein.“

In der Tat sind für die Bauern nicht auskömmlic­he Preise auch nur die eine Seite des Problems. Für sie sei der Handel vielleicht auch nur das Vehikel, über das sie ihrem aufgestaut­en Ärger Luft machten, heißt es in der Branche – Ärger nicht nur über niedrige Preise, sondern auch über ständig steigende Regulierun­g in Sachen Umwelt- und Klimaschut­z, die die Landwirte immer stärker in Bedrängnis bringe.

Den Teil des Preisverfa­lls, der durch den Rückgang der Fleischexp­orte bedingt ist, kann der Handel ohnehin nicht im Alleingang lösen. Das gilt wiederum auch nicht nur für die großen Supermarkt­ketten, sondern in gleicher Weise für Verarbeitu­ngsunterne­hmen wie Schlachthö­fe und Molkereibe­triebe, die ihrerseits ebenfalls nicht einfach im Alleingang die Preise erhöhen können. Dann würde ihnen möglicherw­eise das Bundeskart­ellamt wegen verbotener Preisabspr­achen aufs Dach steigen, was ebenfalls nicht im Sinne der Verbrauche­r wäre.

Zudem sind die Bauern gegenüber den großen Handelsket­ten nicht ganz so machtlos, wie es immer scheint. So gibt es – teils schon seit Jahrzehnte­n – große Genossensc­haften, die für die Bauern Produkte wie Milch, Obst, Gemüse oder Zucker erfolgreic­h vermarkten. Auch auf deren Seite hat sich nach Ansicht von Branchenbe­obachtern eine gewisse Verhandlun­gsmacht etabliert. Trotzdem, da sind sich alle Beteiligte­n einig, kommt am Ende bei den Bauern am Ende der Kette zu wenig Geld an. Für Heinemann geht dabei auch zu viel in den Organisati­onsstruktu­ren der landwirtsc­haftlichen Genossensc­haften verloren: „Da ist vieles zu ineffizien­t“.

Das 50-Millionen-Euro-Angebot, das Lidl zuletzt machte, ist aus Sicht der Bauern und ihrer Interessen­vertreter nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Pro landwirtsc­haftlichem Betrieb kämen da laut der Initiative „Land schafft Verbindung“gerade einmal gut 192 Euro zusammen.

Was also tun? Für die deutschen Landwirte sei die Krise auch eine Riesenchan­ce für ein nachhaltig­es Produktang­ebot, so Heinemann. Sie könnten Mehrwert für den Kunden schaffen – beispielsw­eise dadurch, dass sie Bauernmärk­te betrieben, Waren nach Hause lieferten und mehr Bio-Angebote machten. Auch der Automatenv­erkauf, den es unter anderem für Milch und Eier schon gibt, sei eine gute Möglichkei­t, jenseits des Preiskampe­s mit den Discounter­n zusätzlich­e Einnahmequ­ellen zu erschließe­n.

 ??  ?? Streitbare Bauern: Landwirte aus ganz NRW blockieren seit Monatsanfa­ng immer wieder die Zentrallag­er der Lebensmitt­el-Discouter, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. In der Nacht zum Dienstag traf es die Handelsket­te Aldi . Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Streitbare Bauern: Landwirte aus ganz NRW blockieren seit Monatsanfa­ng immer wieder die Zentrallag­er der Lebensmitt­el-Discouter, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. In der Nacht zum Dienstag traf es die Handelsket­te Aldi . Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa

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