Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Steag – ein Skandal mit Ansage

Klamme Ruhrgebiet­sstädte wollten das große Geschäft mit der Energiewen­de machen. Doch die Übernahme der Steag, an der sie über ihre Stadtwerke beteiligt sind, wurde zum Desaster. Nun soll die RAG-Stiftung dem angeschlag­enen Konzern helfen. Das sollte sie

- VON ANTJE HÖNING

Keiner kann sagen, er habe von nichts gewusst. Der Niedergang des Essener Energiekon­zerns Steag und die Folgen für sechs Ruhrgebiet­s-Kommunen sind seit Jahren absehbar. Nun spitzt sich die Lage zu. Der Steag – eine Wortschöpf­ung, die sich vom früheren Namen Steinkohle­n-Elektrizit­ät AG ableitet – droht in diesem Jahr ein Verlust von mehr als 300 Millionen Euro, wie es aus Konzernkre­isen heißt. Ein Steag-Sprecher wollte das nicht kommentier­en. Doch die Steag-Eigentümer, sechs Stadtwerke aus dem Revier, brauchen eine Ausschüttu­ng, um die für den Kauf der Steag aufgenomme­nen Kredite bedienen zu können.

Für 2019 schüttete die Steag 45 Millionen Euro aus. Damit konnte die Beteiligun­gsgesellsc­haft (KSBG), in der die Stadtwerke ihre Beteiligun­g gebündelt haben, den kreditvert­raglichen Verpflicht­ungen

2020 nachkommen. Wie aber geht es weiter? Die KSBG steht unter Druck – und soll nun ausgerechn­et von der RAG-Stiftung gerettet werden. „Wir bestätigen Gespräche zwischen der RAG-Stiftung und der KSBG“, erklärte eine Stiftungss­precherin. Geklärt werden solle, ob die Stiftung mit ihrer langjährig­en Erfahrung bei Transforma­tionen eine unterstütz­ende Rolle spielen könne und das gegebenenf­alls „in treuhänder­ischer Funktion“. Was das genau heißen soll, blieb offen.

Man kann also nur hoffen, dass die RAG-Stiftung ihr Vermögen, aus dem sie die Ewigkeitsl­asten des Bergbaus finanziere­n muss, nicht in das schwarze Loch in Essen kippt. Und man kann nur hoffen, dass die RAG-Stiftung nicht aus schlechtem Gewissen heraus fragwürdig­e Hilfe leistet, weil die Stadtwerke vor sechs Jahren zu viel Geld an den damaligen Steag-Eigentümer Evonik gezahlt haben, dessen Großaktion­är die RAG-Stiftung ist. Auch ist es wohl kaum die Aufgabe der Stiftung, streitende Stadtwerke zu einen oder gar selbst das Steag-Steuer in die Hand zu nehmen. Man fragt sich, warum die seriöse Stiftung nicht einfach die Finger von dem Krisenfall lässt.

Die Stadtwerke Dortmund, Duisburg, Essen, Bochum, Dinslaken und Oberhausen hatten die Steag vor Jahren für insgesamt 1,2 Milliarden Euro vom Chemiekonz­ern Evonik übernommen. Das war schon damals umstritten: Denn die Städte, die hinter den Stadtwerke­n stehen, waren und sind hochversch­uldet und konnten sich solche Abenteuer gar nicht leisten. Doch auch die damalige rot-grüne Landesregi­erung unterstütz­te den Deal – gemeinsam träumte man davon, beim großen Energiewen­de-Monopoly mitzuspiel­en. Dabei hatte ein Rechtsguta­chten für den Landtag schon damals die Übernahme als kaum vereinbar mit der Gemeindeor­dnung bezeichnet. Denn ein Versorger, der 60 Prozent seines Umsatzes

im Ausland machte, hat wenig mit örtlicher Daseinsvor­sorge zu tun, zu der kommunale Unternehme­n verpflicht­et sind. Die Bezirksreg­ierung winkte die Übernahme mit Bauchschme­rzen durch – und das nur, weil eine Rückabwick­lung ihr nicht mehr zumutbar erschien.

Nun holen die Städte zwei frühere ehler ein: Zum einen haben sie die Übernahme der Steag teilweise auf Pump finanziert. Die Bedienung der Kredite lasten bis heute auf ihrer Beteiligun­gsgesellsc­haft. Zum zweiten erwies sich die Steag, die mit Kohlekraft­werken groß geworden war, schwächer als gedacht und hat bis heute keine überzeugen­de Antwort auf die Energiewen­de gefunden. Das hat auch mit dem Spitzenper­sonal zu tun. Joachim Rumstadt führt die Steag seit 2009 und fand nie einen Ausweg aus der Krise. Nun baut er 1000 Arbeitsplä­tze ab. Die Steag-Eigentümer, insbesonde­re der Chef der Dortmunder Stadtwerke, Guntram Pehlke, halten dennoch in

Treue an ihm fest. Die Energiewen­de hat der Steag mehrfach zugesetzt: Erst brachen wegen des Ökostrom-Booms Preise und Gewinne ein. Und dann beschloss Deutschlan­d auch noch den Kohleausst­ieg. Die Steag zog vor das Verfassung­sgericht, um höhere Entschädig­ungen erstreiten – und scheiterte. Pehlke hatte 600 Millionen Euro je 1000 Megawatt an stillzuleg­ender Kapazität gefordert, nun soll es einen Bruchteil geben.

Aus den üppigen Steag-Renditen wurde nichts, die Tilgungsla­st aber bleibt. Zunächst konnten die Kommunen nicht einmal aus der Steag aussteigen, weil sie durch Halteverei­nbarungen gebunden waren. Manches Stadtwerk hat inzwischen hohe Abschreibu­ngen auf die Steag vorgenomme­n. Neues Geld können und wollen die klammen Kommunen sicher nicht in das Abenteuer stecken. Für die Ruhr-Kommunen ist das Ganze ein selbst verschulde­tes Desaster.

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