Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Ein Grundgesetz fürs Digitale
Großkonzerne wie Google oder Amazon haben ungeheure Macht angehäuft. Das will die EU-Kommission ändern.
Wenn Nutzer bei Google den Namen Amazon in die Suchmaske eintippen, sollte eindeutig sein, welches Suchergebnis sie erwarten. Doch um bei den Suchergebnissen an erster Stelle gezeigt zu werden, muss selbst der größte Online-Händler der westlichen Welt eine Anzeige kaufen. Ähnlich geht es anderen Unternehmen wie dem Reiseportal Booking.com oder der Hotel-Suchmaschine Trivago. Auch bei der Suche nach ihren Namen zeigt Google zuerst einen Anzeigenplatz an – und natürlich weiß jeder Marketing-Verantwortliche, wie wichtig die Platzierung an erster Stelle bei der Suchmaschine ist, die allein in Deutschland einen Marktanteil von rund 90 Prozent hat.
Dass Unternehmen für eine bessere Platzierung und Sichtbarkeit zur Kasse gebeten werden, ist nicht neu. Auch im Lebensmitteleinzelhandel müssen Unternehmen oft bezahlen, damit ihre Produkte in der Werbung oder den Regalen der Händler prominent platziert werden. Doch das Internet hat einigen wenigen Anbietern eine Marktmacht ermöglicht, wie es sie in den vergangenen Jahrhunderten kaum ein Unternehmen erreicht hat.
„Als Online-Händler kann man nicht mehr ohne Google“, sagt Gerrit Heinemann, Handelsexperte von der Hochschule Niederrhein. Und in ihrer Gier nach Größe sind Unternehmen wie Google, Amazon und Co. nicht nur als Plattformen gewachsen, sondern für viele Unternehmen zu direkten Konkurrenten geworden. „Manche Unternehmen
sind so groß, dass sie ihre eigenen Regeln schaffen können“, sagte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager kürzlich der „Wirtschaftswoche“.
Mit einem neuen Regelwerk will die EU-Kommission daher einen Rechtsrahmen schaffen, der die Macht der Plattformen begrenzt, Verbraucherrechte stärkt und mehr Transparenz bei Algorithmen herstellt. Am 15. Dezember, so ist in Brüssel zu hören, wollen EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und Digitalkommissar Thierry Breton ihre Pläne für den „Digital
Service Act“und den „Digital Markets Act“vorlegen. Die Europäische Union würde damit nicht weniger als eine Art digitales Grundgesetz bekommen.
„Das Fenster für einen großen Umbruch ist offen“, sagt Alexandra Geese, die das Thema für die Grünen im Europa-Parlament betreut: „Wir stehen am Beginn einer Phase, in der wir unsere digitale Kommunikation und Wirtschaft neu aufstellen müssen, weil die alten Mechanismen die Gesellschaft polarisieren.“Hass, Hetze und Fehlinformationen im Netz würden der Demokratie schaden. „Der Digital Services Act ist deshalb die Chance, die digitale Welt nachhaltig zu verändern und die digitalen Grundrechte aller Menschen in Europa zu stärken.“
Aus Sicht des FDP-Politikers Moritz Körner sorgen die Gesetze auch für eine Vereinheitlichung: „Wir haben in den letzten Jahren viele einzelne Regulierungsansätze in den Mitgliedstaaten gesehen. Genau das gefährdet allerdings den digitalen Binnenmarkt.“Der Europapolitiker ist daher auch überzeugt, dass die Vorschläge der Kommission noch für viele Debatten in den Mitgliedstaaten und im EU-Parlament sorgen werden. „Schon jetzt wird deutlich, dass zum Beispiel die Franzosen den Plattformen viel mehr Verantwortung und Haftung für Inhalte geben wollen.“
Und auch die Lobbyisten der Digitalkonzerne bereiten sich schon darauf vor, die Regelungen aufzuweichen und im Sinne ihrer Auftraggeber abzuändern. Niemand gibt so viel Geld für die Lobbyarbeit aus wie die Tech-Riesen. „In Brüssel sind die Lobbyisten von Google, Facebook und Co. sehr aktiv. Sie fürchten dieses Gesetz, weil es ihnen Macht über den europäischen Markt nehmen wird, weil sie ihre Geschäftspraktiken offenlegen und mehr Wettbewerb ermöglichen müssen“, sagt Alexandra Geese. Die Probleme durch den Lobbyismus seien schon jetzt enorm, sagt die Grünen-Abgeordnete aus Bonn. „Man muss sehr vorsichtig sein, es gibt kaum neutrale Experten in Brüssel, weil die US-Unternehmen überall in den Think Tanks mitmischen.“