Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Herrlich absurdes Theater

Eigentlich sollte „Rausch“in Brasilien beim „Festival Paideia de Teatro“in São Paulo gezeigt werden. Wegen der Pandemie streamte das Schauspiel­haus das neue Theaterstü­ck stattdesse­n zeitgleich mit der Düsseldorf­er Premiere über den Atlantik.

- VON CLAUS CLEMENS

Mit „Rausch“hat unsere Lage in Corona-Zeiten wenig zu tun, vielmehr mit wachsender Ernüchteru­ng und Ängsten. Daher meint Gregory Caers vermutlich eine andere Art von Rausch, nach der er seine neue Inszenieru­ng im Jungen Schauspiel benennt. Eigentlich wollten die Düsseldorf­er damit von der Münsterstr­aße nach Brasilien aufbrechen, wo das Stück beim „Festival Paideia de Teatro“in São Paulo eingeladen war. Coronabedr­ingt streamte man es über den Atlantik.

Eine Bushaltest­elle und eine U-Bahn. Dort kommen sechs Menschen einer Gesellscha­ft zusammen, die nach Haltung sucht. Nicht unbedingt heute, vielleicht zu einer anderen Zeit. Nicht unbedingt hier, vielleicht in Paris. Dann wäre es vielleicht die U-Bahn aus Raymond Queneaus „Zazie in der Metro“. Damals hatten die Pariser ihren monotonen Alltag so verinnerli­cht: „Métro-Boulot-Dodo“. Jeden Morgen lustlos ins Büro und abends genauso lustlos ins Bett.

Bei Queneau hingegen gerät das junge Provinzhäs­chen Zazie in Paris in einen Strudel von immer absurderen Ereignisse­n. Auch bei Gregory Caers irrlichter­t eine junge Frau in schwarzem Kleidchen durch das, was man Handlung nennen könnte. Immer wenn der Hahn kräht, beginnt ein kleiner Reigen von Aktionen. Es sind Übungen in Vergeblich­keit. Versuche, dem Leben eine Ordnung zu geben. Um dann genau dieser Ordnung wieder aus dem Weg zu gehen.

Zwei Bürohengst­e stempeln Papiere ab, machen daraus einen Wettstreit in Geschwindi­gkeit. Bis es ihnen zu viel wird, und das ganze gestempelt­e Zeug in den Schredder wandert. Eine überaus penible Dame will sich in einem Café niederlass­en. So viel Mühe sie sich auch gibt, ein Putzteufel, ein fesch fegender Kobold, kommt ihr immer in die Quere.

Zum Putzen haben sich auch zwei Andere verabredet – mit armlangen Gummihands­chuhen. Die Beiden haben viel zu tun, denn immer wieder stören rote Schlieren die Ästhetik der Plexiglas-Wände. Wo die wohl herkommen, fragt man sich, als ganz unvermitte­lt ein Schwein auf einem OP-Tisch liegt. Blut spritzt reichlich nach allen Seiten.

Neben Queneau mag der Regisseur auch Jacques Tati im Sinn gehabt haben, denn der Schirm des Monsieur Hulot hat manchen starken Auftritt. Was in der 75-minütigen Szenenfolg­e nach einem disparaten Potpourri klingt, ist herrlich absurdes Theater. Voller Anspielung­en an eine Zeit, die über ihren von ständigem Scheitern bedrohten Alltag noch lachen konnte.

Und so ist wohl auch die Schluss-Szene ein Zitat: Aus der Haltestell­e ist jetzt ein Hafenkai geworden, mit reiseferti­gen Passagiere­n, einem Uniform-stolzen Kapitän und dem Tuten eines Dampfers. Federico Fellinis „Schiff der Träume“, ein wunderbare­r Film aus den

1960er-Jahren, lässt grüßen. Man wünscht diesem herrlich schrägen Bühnenraus­ch noch viele Abende vor begeistert­en, jungen Zuschauern. Irgendwann, in einer anderen Zeit.

 ?? FOTO: DAVID BALTZER ?? Eine Szene aus „Rausch“– ein Glückstrip von Gregory Caers und Ensemble für alle ab 14 Jahren.
FOTO: DAVID BALTZER Eine Szene aus „Rausch“– ein Glückstrip von Gregory Caers und Ensemble für alle ab 14 Jahren.

Newspapers in German

Newspapers from Germany