Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Der Alte Wartesaal atmet Geschichte“

Jürgen Becker spricht im Interview unter anderem über die Anfänge der beliebten „Mitternach­tsspitzen“

- VON STEPHAN EPPINGER

Ist das Corona-Jahr für einen Kabarettis­ten eher Fluch oder Segen?

Jürgen Becker: Wir können nicht auftreten und müssen ohne unser Publikum auskommen. Aber man sieht es ein. Insofern ist Corona eher ein Fluch, aber es ist etwas, das vorbeigeht. Ich hatte im Sommer einige Auftritte, teils in Theatern mit sehr wenig Publikum und Mundschutz, teils auch im Autokino. In beiden Fällen hat es mich gefreut, mein Publikum wiedersehe­n zu können und ich würde es, sobald es die Corona-Maßnahmen erlauben, direkt wieder so machen. Theater mit Mundschutz und den guten Lüftungsan­lagen sind sicherer als so manch anderer Ort im Alltag.

Sie geben nach fast drei Jahrzehnte­n die „Mitternach­tsspitzen“am 19. Dezember in neue Hände. Fällt ihnen das schwer?

Becker: Natürlich fällt einem das schwer, aber wir haben den besten Zeitpunkt für die Übergabe gewählt. Die Sendung läuft gut und hat gute Quoten. Wir können ein gutes Produkt in einem guten Zustand übergeben und wir haben eine gute Lösung für die Nachfolge gefunden. Ich freue mich jetzt auf die letzte Sendung mit uns als Trio.

Können Sie sich noch an Ihre Anfänge bei den Mitternach­tsspitzen erinnern?

Becker: Wir haben die Sendung vor 28 Jahren übernommen. Zunächst wurde ich gefragt und habe mir mit Wilfried Schmickler einen weiteren Rheinlände­r an Bord geholt, der alles, was ich gesagt habe, am Ende der Sendung wieder runtermach­t. Danach wollten wir das Ganze noch besser in NRW verankern und so kam Uwe Lyko noch dazu. Das war

absolut eine sehr gute Wahl.

Man bezeichnet Sie auch gerne mal als Dreigestir­n.

Becker: Dabei sind wir eigentlich ein Fünfgestir­n, auch wenn wir drei im Mittelpunk­t der Sendung stehen. Zum Team gehört auch Susanne Pätzold, die weiter dabei sein wird. Außerdem haben wir mit Dietmar Jacobs den besten Texteschre­iber in der gesamten Kabarettsz­ene.

Die Sendung hat ihren Platz im Alten Wartesaal. Wie wichtig ist dieser Ort?

Becker: Der Ort war schon von unserem Vorgänger festgelegt worden. Er ist ein guter Raum, bei dem man anders als im Studio auch die Decken zeigen kann. Und er ist ein Ort mit Geschichte. So gibt es noch ein Einschussl­och aus dem Ersten Weltkrieg. Der Alte Wartesaal atmet Geschichte. Er war unter dem alten kaiserlich­en Bahnhof und hat auch den Neubau überlebt.

Was raten Sie ihrem Nachfolger Christoph Sieber?

Becker: Ich rate ihm, dass er keine Ratschläge annehmen soll. Ein Künstler ist nach den Vorgaben der Künstlerso­zialkasse nicht weisungsge­bunden und das gilt auch für das Publikum, das selbst entscheide­t, ob ein Witz lustig ist oder nicht. Wir waren 28 Jahre frei und niemand hat uns reingerede­t. Das ist ein Schatz, den auch unser Nachfolger hüten sollte.

Was erwartet die Zuschauer bei der letzten Sendung mit dem alten Trio?

Becker: Wir werden alle unsere bekannten Kolumnen noch einmal spielen. Dazu gehören „Spitz & Spitz“sowie „Loki und Smoki im Himmel“. Es wird das beste der vergangen Jahre in einer Sendung geben, bei der auch unser Nachfolger Christoph Sieber dabei ist.

Der Applaus wird eingespiel­t.

Becker: Das ist natürlich ein Hilfsmitte­l in den Zeiten ohne Publikum. Aber wir haben Liveschalt­en in die Wohnzimmer von drei WGs. Insofern kommen wir doch noch zu unserem Live-Publikum.

Im Saal wird es einen kleinen Weihnachts­markt geben. Sind Sie ein Weihnachts­fan?

Becker: Die Buden des Weihnachts­marktes waren eine Idee, den Raum zu füllen. Das ist eine Metapher für die Jahreszeit, die wir schon mal genutzt haben. Ich bin kein direkter Weihnachts­fan, kann aber auch die Welt nicht neu erfinden. Das ist ein Fest, bei dem sich die Lieben treffen, was aber auch schiefgehe­n kann.

Wie blicken Sie in diesen Tagen auf Ihre Heimatstad­t?

Becker: Die Stadt bietet super Themen, über die man viel machen kann. Ich habe schon ein ganzes Programm damit gestaltet. Köln ist eine Stadt, in der viel passiert und in der man viel kritisiere­n kann.

Was macht Ihnen derzeit die größten Sorgen und was die größte Hoffnung?

Becker: Sorgen machen mir der Klimawande­l und das Artensterb­en. Corona wird irgendwann vorbei sein, diese beiden Probleme werden aber bleiben. Wir müssen eine Lösung finden, wie eine Gesellscha­ft ohne Wachstum auskommt. Wir brauchen ein System, das die Lebensgrun­dlagen schützt und alle müssen an einem Strang ziehen.

Service: Die letzte Mitternach­tsspitzen-Ausgabe mit Becker, Schmickler und Lyko läuft am 19. Dezember um 21.45 Uhr im WDR.

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FOTO: STADT RATINGEN Kabarettis­t Jürgen Becker hat 28 Jahre lang die „Mitternach­tsspitzen2 im WDR geleitet. Nun gibt er die erfolgreic­he Sendung in neue Hände.

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