Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
„Eine Ohrfeige ins Gesicht des Staats“
Der Politologe hat die Deutsche Islamkonferenz verlassen. Deutschland lasse sich von den Islamverbänden ausnutzen.
Zehn Jahre hat Hamed Abdel-Samad der Deutschen Islamkonferenz angehört, einem Forum für den Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen. Jetzt ist er ausgetreten. Ein Gespräch über die Angst vor Konflikten mit dem politischen Islam und eine verbindende Leitkultur.
Warum haben Sie die Deutsche Islamkonferenz verlassen?
ABDEL-SAMAD Ich wurde eingeladen als eine unabhängige kritische Stimme und fand die Idee sehr gut, dass da Muslime aus unterschiedlichen Milieus zusammenkommen, um zu diskutieren. Ich habe in den vergangenen zehn Jahren viele Projekte vorgeschlagen, aber kein einziges davon wurde realisiert.
Was wollten Sie anregen?
ABDEL-SAMAD Etwa, dass wir uns damit beschäftigen, wie junge Menschen indoktriniert werden und sich radikalisieren. Ich wollte Projekte machen über Antisemitismus unter jungen Muslimen, über veraltete Frauenbilder im Islam. Alle diese Themen wurden von den Islamverbänden abgelehnt. Übrig blieben nur Themen, die den Verbänden Fördergeld bringen, etwa für die Imam-Ausbildung, Seelsorgeangebote, Islamunterricht. Am Ende wollen die Islamverbände gleichgestellt werden mit den Kirchen in Deutschland. Allerdings ohne dass sie wie die Kirchen durch den Prozess der Aufklärung gehen müssten. Das wollte ich nicht mehr mittragen.
Gab es einen konkreten Auslöser für Ihren Rückzug?
ABDEL-SAMAD Mir hat es gereicht, als der Vertreter des Verbandes Ditib bei der letzten Sitzung verkündet hat, er werde keine Absolventen der deutschen islamischen Fakultäten in den Ditib-Moscheen einstellen, weil diese seinen Standards nicht entsprächen. Aus meiner Sicht ist das eine Ohrfeige ins Gesicht des Staats. Aber keiner der staatlichen Vertreter hatte den Mut zu sagen: Diese Weigerung von Ditib ist ein Zeichen mangelnden Vertrauens. Wir vertrauen Ditib auch nicht. Ende des Gesprächs. Stattdessen akzeptiert Deutschland, dass Ditib seine Imame selbst ausbilden will – auf Kosten des Staates.
Wieso lässt sich der Staat aus Ihrer Sicht ausnutzen?
ABDEL-SAMAD Deutschland hat schon viel Geld investiert und scheint nun zum Erfolg verdammt. Man will mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten, am Ende bleibt es aber beim Zuckerbrot. Und noch ein Zuckerbrot. Und niemand hat die Größe zu sagen, dass alle bisherigen Projekte die Radikalisierung nicht aufgehalten haben. Die traurige Folge ist, dass der politische Islam aufgewertet wurde. Vor 16 Jahren wusste niemand, wer Ditib oder der Zentralrat sind, heute sitzen die Vertreter neben dem Bundespräsidenten bei den Staatsfeiern. Das hat zur Folge, dass junge Muslime die Verbände als Aufstiegsmöglichkeit betrachten. Dabei sind sie einfach keine Partner für Integration und Deradikalisierung.
Kann man dem deutschen Staat nicht zugutehalten, dass er diplomatisch versucht, seine Ziele zu erreichen? Wir erleben in Frankreich, wie ein konfrontativer Kurs die Gräben vertieft.
ABDEL-SAMAD Niemand erreicht irgendetwas beim politischen Islam. Wer es konfrontativ versucht, bewirkt Eskalation. Wer es diplomatisch versucht, wertet die Vertreter auf, macht sie salonfähig, bekommt aber nichts im Gegenzug, denn deren Loyalität liegt woanders. Die Islamverbände leben ja von der Kluft zwischen der deutschen Gesellschaft und den Migranten. Wenn sich Menschen mit anderer Herkunft hier gut integrieren und sich mit dem deutschen Staat identifizieren, sind die Verbände ja überflüssig. Denn sie wollen ja politische und ideologische Brücken in die Heimatländer bauen. Da wird dann in Deutschland Wahlwerbung für den türkischen Präsidenten Erdogan gemacht von Organisationen, die deutsche Steuergelder bekommen. Jeder Versuch aufrechter Zusammenarbeit ist verlorene Liebesmühe.
Aber durch Ihren Austritt aus der Konferenz haben Sie auch ein Stück Öffentlichkeit für sich aufgegeben.
ABDEL-SAMAD Man muss das im Verhältnis sehen. Die Verbände vertreten ja nur 20 Prozent der Muslime in Deutschland. Der Zentralrat der Muslime zum Beispiel nur ein Prozent. In Wahrheit sind das Papiertiger. Ich habe andere Möglichkeiten, etwa durch Vorträge und meine Bücher Menschen zu erreichen. Und ich erlebe, dass es unter linksliberalen Politikern ein Umdenken gibt. Immer mehr Verantwortliche sehen ein, dass falsche Toleranz und Naivität sie in eine Sackgasse geführt haben. Das ist wichtig, denn am Ende geht es auch um Sicherheitsfragen. Mein Wunsch ist, dass wir das Thema Integration vom Thema Islam lösen. Muslime sind Individuen. Sie haben Bedürfnisse und Pflichten. Wir sollten uns dringend auf Ebenen
wie Arbeit, Kultur, Sprache miteinander beschäftigen. Da kommen die Islamverbände gar nicht vor. Integration funktioniert über Freiheit und gemeinsame Werte, nicht über Privilegien.
In Ihrem neuen Buch „Aus Liebe zu Deutschland“fordern Sie eine neue, gemeinsame Leitkultur. Was könnte deren Inhalt sein?
ABDEL-SAMAD Ich weiß um die Problematik dieses Begriffs, aber ich möchte ihn mir nicht nehmen lassen. Denn es gibt bereits allerhand Leitkulturen, die in Deutschland um Vorherrschaft kämpfen: eine linksliberale etwa, eine türkisch-nationale, eine islamische, eine islamistische, eine rechtskonservative. Was fehlt, ist ein verbindende Leitkultur, die auf gemeinsamen Werten beruht.
Welche Werte könnten das sein?
Freiheit zum Beispiel
– aber nur, wenn sie unteilbar ist. Das würde bedeuten, dass zum Beispiel rechte Kräfte nicht verhindern könnten, dass Muslime ihren Glauben pflegen. Es würde aber genauso bedeuten, dass Muslime ihre eigenen Kinder nicht daran hindern dürften, sich frei zu entfalten. Auch jenseits von Religionsvorschriften. Religionsfreiheit und Religionskritik sind ein Paket. Das müssen wir endlich so klar sagen. Deutschland muss einstehen für das, was es ausmacht. Hätte es in diesem Land keine Religionskritik gegeben, würden wir immer noch unter der Macht von Kaiser und Papst leben. Es gibt in Europa keine unantastbaren Figuren. Was das für eine Errungenschaft ist, müssen wir klar kommunizieren. Dann brauchten wir nicht bei jeder neuen Karikatur dieselben Gaudi-Debatten zu führen.