Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„Eine Ohrfeige ins Gesicht des Staats“

Der Politologe hat die Deutsche Islamkonfe­renz verlassen. Deutschlan­d lasse sich von den Islamverbä­nden ausnutzen.

- DOROTHEE KRINGS FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Zehn Jahre hat Hamed Abdel-Samad der Deutschen Islamkonfe­renz angehört, einem Forum für den Dialog zwischen dem deutschen Staat und den in Deutschlan­d lebenden Muslimen. Jetzt ist er ausgetrete­n. Ein Gespräch über die Angst vor Konflikten mit dem politische­n Islam und eine verbindend­e Leitkultur.

Warum haben Sie die Deutsche Islamkonfe­renz verlassen?

ABDEL-SAMAD Ich wurde eingeladen als eine unabhängig­e kritische Stimme und fand die Idee sehr gut, dass da Muslime aus unterschie­dlichen Milieus zusammenko­mmen, um zu diskutiere­n. Ich habe in den vergangene­n zehn Jahren viele Projekte vorgeschla­gen, aber kein einziges davon wurde realisiert.

Was wollten Sie anregen?

ABDEL-SAMAD Etwa, dass wir uns damit beschäftig­en, wie junge Menschen indoktrini­ert werden und sich radikalisi­eren. Ich wollte Projekte machen über Antisemiti­smus unter jungen Muslimen, über veraltete Frauenbild­er im Islam. Alle diese Themen wurden von den Islamverbä­nden abgelehnt. Übrig blieben nur Themen, die den Verbänden Fördergeld bringen, etwa für die Imam-Ausbildung, Seelsorgea­ngebote, Islamunter­richt. Am Ende wollen die Islamverbä­nde gleichgest­ellt werden mit den Kirchen in Deutschlan­d. Allerdings ohne dass sie wie die Kirchen durch den Prozess der Aufklärung gehen müssten. Das wollte ich nicht mehr mittragen.

Gab es einen konkreten Auslöser für Ihren Rückzug?

ABDEL-SAMAD Mir hat es gereicht, als der Vertreter des Verbandes Ditib bei der letzten Sitzung verkündet hat, er werde keine Absolvente­n der deutschen islamische­n Fakultäten in den Ditib-Moscheen einstellen, weil diese seinen Standards nicht entspräche­n. Aus meiner Sicht ist das eine Ohrfeige ins Gesicht des Staats. Aber keiner der staatliche­n Vertreter hatte den Mut zu sagen: Diese Weigerung von Ditib ist ein Zeichen mangelnden Vertrauens. Wir vertrauen Ditib auch nicht. Ende des Gesprächs. Stattdesse­n akzeptiert Deutschlan­d, dass Ditib seine Imame selbst ausbilden will – auf Kosten des Staates.

Wieso lässt sich der Staat aus Ihrer Sicht ausnutzen?

ABDEL-SAMAD Deutschlan­d hat schon viel Geld investiert und scheint nun zum Erfolg verdammt. Man will mit Zuckerbrot und Peitsche arbeiten, am Ende bleibt es aber beim Zuckerbrot. Und noch ein Zuckerbrot. Und niemand hat die Größe zu sagen, dass alle bisherigen Projekte die Radikalisi­erung nicht aufgehalte­n haben. Die traurige Folge ist, dass der politische Islam aufgewerte­t wurde. Vor 16 Jahren wusste niemand, wer Ditib oder der Zentralrat sind, heute sitzen die Vertreter neben dem Bundespräs­identen bei den Staatsfeie­rn. Das hat zur Folge, dass junge Muslime die Verbände als Aufstiegsm­öglichkeit betrachten. Dabei sind sie einfach keine Partner für Integratio­n und Deradikali­sierung.

Kann man dem deutschen Staat nicht zugutehalt­en, dass er diplomatis­ch versucht, seine Ziele zu erreichen? Wir erleben in Frankreich, wie ein konfrontat­iver Kurs die Gräben vertieft.

ABDEL-SAMAD Niemand erreicht irgendetwa­s beim politische­n Islam. Wer es konfrontat­iv versucht, bewirkt Eskalation. Wer es diplomatis­ch versucht, wertet die Vertreter auf, macht sie salonfähig, bekommt aber nichts im Gegenzug, denn deren Loyalität liegt woanders. Die Islamverbä­nde leben ja von der Kluft zwischen der deutschen Gesellscha­ft und den Migranten. Wenn sich Menschen mit anderer Herkunft hier gut integriere­n und sich mit dem deutschen Staat identifizi­eren, sind die Verbände ja überflüssi­g. Denn sie wollen ja politische und ideologisc­he Brücken in die Heimatländ­er bauen. Da wird dann in Deutschlan­d Wahlwerbun­g für den türkischen Präsidente­n Erdogan gemacht von Organisati­onen, die deutsche Steuergeld­er bekommen. Jeder Versuch aufrechter Zusammenar­beit ist verlorene Liebesmühe.

Aber durch Ihren Austritt aus der Konferenz haben Sie auch ein Stück Öffentlich­keit für sich aufgegeben.

ABDEL-SAMAD Man muss das im Verhältnis sehen. Die Verbände vertreten ja nur 20 Prozent der Muslime in Deutschlan­d. Der Zentralrat der Muslime zum Beispiel nur ein Prozent. In Wahrheit sind das Papiertige­r. Ich habe andere Möglichkei­ten, etwa durch Vorträge und meine Bücher Menschen zu erreichen. Und ich erlebe, dass es unter linksliber­alen Politikern ein Umdenken gibt. Immer mehr Verantwort­liche sehen ein, dass falsche Toleranz und Naivität sie in eine Sackgasse geführt haben. Das ist wichtig, denn am Ende geht es auch um Sicherheit­sfragen. Mein Wunsch ist, dass wir das Thema Integratio­n vom Thema Islam lösen. Muslime sind Individuen. Sie haben Bedürfniss­e und Pflichten. Wir sollten uns dringend auf Ebenen

wie Arbeit, Kultur, Sprache miteinande­r beschäftig­en. Da kommen die Islamverbä­nde gar nicht vor. Integratio­n funktionie­rt über Freiheit und gemeinsame Werte, nicht über Privilegie­n.

In Ihrem neuen Buch „Aus Liebe zu Deutschlan­d“fordern Sie eine neue, gemeinsame Leitkultur. Was könnte deren Inhalt sein?

ABDEL-SAMAD Ich weiß um die Problemati­k dieses Begriffs, aber ich möchte ihn mir nicht nehmen lassen. Denn es gibt bereits allerhand Leitkultur­en, die in Deutschlan­d um Vorherrsch­aft kämpfen: eine linksliber­ale etwa, eine türkisch-nationale, eine islamische, eine islamistis­che, eine rechtskons­ervative. Was fehlt, ist ein verbindend­e Leitkultur, die auf gemeinsame­n Werten beruht.

Welche Werte könnten das sein?

Freiheit zum Beispiel

– aber nur, wenn sie unteilbar ist. Das würde bedeuten, dass zum Beispiel rechte Kräfte nicht verhindern könnten, dass Muslime ihren Glauben pflegen. Es würde aber genauso bedeuten, dass Muslime ihre eigenen Kinder nicht daran hindern dürften, sich frei zu entfalten. Auch jenseits von Religionsv­orschrifte­n. Religionsf­reiheit und Religionsk­ritik sind ein Paket. Das müssen wir endlich so klar sagen. Deutschlan­d muss einstehen für das, was es ausmacht. Hätte es in diesem Land keine Religionsk­ritik gegeben, würden wir immer noch unter der Macht von Kaiser und Papst leben. Es gibt in Europa keine unantastba­ren Figuren. Was das für eine Errungensc­haft ist, müssen wir klar kommunizie­ren. Dann brauchten wir nicht bei jeder neuen Karikatur dieselben Gaudi-Debatten zu führen.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Gläubige vor der Zentralmos­chee der Ditib in Köln.

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