Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Der Mann, der „Citizen Kane“schrieb

David Fincher erzählt in „Mank“die Story von Herman J. Mankiewicz, der gemeinsam mit Orson Welles Filmgeschi­chte machte.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Dieser Satz über die Filmbranch­e hat bis heute Bestand: „Ein Geschäft, bei dem der Käufer nichts als eine Erinnerung bekommt – das ist die wahre Magie des Kinos“, schwärmt der MGM-Studioboss Louis B. Mayer (Arliss Howard), dessen Geschäfte auch in der Weltwirtsc­haftskrise prächtig laufen. Eine solche Erinnerung, allerdings eine sehr nachhaltig­e, ist auch Orson Welles’ „Citizen Kane“(1941).

Das cineastisc­hes Meisterwer­k gehört bis heute zu den einflussre­ichsten Filmen der Kinogeschi­chte. Die Entstehung­sgeschicht­e von „Citizen Kane“, der dem Schöpfer filmhistor­ischen Ruhm einbrachte, aber auch seine Karriere in Hollywood ruinierte, wurde schon bald zu einem eigenständ­igen Mythos: Dem als Wunderkind gefeierten Welles wurde 1940 von der Filmproduk­tionsfirma RKO absolute kreative Freiheit ohne jegliche Kontrolle zugesicher­t. Der 24-Jährige konnte sich das Sujet frei aussuchen und allein entscheide­n, mit wem er zusammenar­beiten wollte. Im Studiosyst­em der damaligen Zeit war eine solche „Carte Blanche“für einen Debüt-Regisseur ein ungeheuerl­icher Vorgang.

Genau hier setzt David Finchers Netflix-Produktion „Mank“ein, die sich der Entstehung­sgeschicht­e des Drehbuchs von „Citizen Kane“widmet. Hier wird jedoch nicht das gefeierte Genie Orson Welles in den Fokus gerückt, sondern Herman J. Mankiewicz, den Welles persönlich als Drehbuchau­tor engagierte. Gary Oldman spielt den früheren Theaterkri­tiker, der in der 20er-Jahren von New York nach Los Angeles zog, um sein Glück als Skriptschr­eiber zu versuchen. Ein Jahrzehnt später sind seine goldenen Jahre in der Traumfabri­k schon vorbei.

In Hollywood ist der Alkoholike­r mit dem losen Mundwerk nur noch leidlich gelitten. Nach einem Autounfall ist er für mehrere Monate ans Bett gefesselt und so willigt er in Welles’ Forderung ein, das Drehbuch für „Citizen Kane“in nur zwei Monaten zu schreiben, ohne dass sein Name im Abspann auftaucht.

Von der Abgeschied­enheit des Krankenbet­ts im kalifornis­chen Victorvill­e schwingt die Filmhandlu­ng immer wieder zurück in die

30er-Jahre, in denen Mankiewicz in den Drehbuchst­uben der „Paramount“-Studios

als viel beschäftig­ter Autor vom Boom des Tonfilms profitiert. Hier gerät er auch in den Dunstkreis des Zeitungsza­ren William Randolph Hearst (Charles Dance), der später als Vorlage für die Figur Charles Foster Kane dienen wird.

Der schlagfert­ige Mankiewicz wird zum Dauergast bei den Dinnerpart­ys, die Hearst mit den Größen aus Politik und Filmindust­rie auf seinem luxuriösen Anwesen gibt. „Ich habe gehört, wie er am Telefon geholfen hat, das Kabinett des Präsidente­n auszuwähle­n, als würde er einen Film besetzen“, sagt Hearsts Geliebte Marion Davis (Amanda Seyfried). Die mittelmäßi­g begabte Schauspiel­erin verdankt Hearst ihre Hollywood-Karriere und freundet sich mit dem vorlauten Mankiewicz an, der wie ein zynischer Hofnarr im Haus des Medienmogu­ls verkehrt.

Auch wenn David Fincher „Mank“in erlesenem Schwarz-Weiß-Look streng als filmhistor­ische Abenteuerg­eschichte inszeniert, sind die aktuellen Bezüge zur Ära Trump und dem Fake-News-Zeitalter offensicht­lich, in dem sich Nachrichte­n und Unterhaltu­ng, Erzählung und Realität noch stärker mischen. Eine unheilige Mischung, die den Weg zur Manipulati­on der öffentlich­en Meinung ebnet.

Fincher, der mit dem Film ein Drehbuch seines verstorben­en Vaters Jack Fincher realisiert, zeigt Mankiewicz als zynischen Beobachter, der auf dem Krankenbet­t mit dem Stift in der Hand sein politische­s Gewissen wiederentd­eckt. Am vermeintli­chen Ende seiner Karriere angelangt, entwickelt er eine moralische Renitenz, die zugleich den Schlüssel für das spätere filmische Meisterwer­k bildet. Über die tatsächlic­he Autorensch­aft von „Citizen Kane“, die Welles und Mankiewicz gleicherma­ßen für sich beanspruch­ten, ist in der Filmgeschi­chtsschrei­bung schon viel gestritten worden.

Mit „Mank“zeigt Fincher eindrucksv­oll, dass Meisterwer­ke im Kino aus einem Zusammensp­iel verschiede­ner Kräfte entstehen. Ein erfahrener Autor, der nichts mehr zu verlieren hat, und ein junger, begabter Regisseur, der hoch hinaus will, bildeten die explosive Mischung, die „Citizen Kane“politische Brisanz

und künstleris­che Kraft verliehen haben.

Dieser Meilenstei­n der Filmgeschi­chte ist gerade auch für David Finchers eigenes Werk von großer Bedeutung: Welles’ Film diente beispielsw­eise als Vorlage für Finchers „Social Network“, in dem er mit Facebook-Gründer Mark Zuckerberg einen modernen Medienmogu­l kritisch ins Visier nahm. Gleichzeit­ig spürt man in „Mank“auch jene künstleris­che Freiheit, die Netflix ausgewählt­en Regisseure­n für hauseigene Prestigepr­ojekte gewährt. Davon könnte sich der Streaming-Gigant angesichts seiner riesigen Abonnenten­schar ruhig noch mehr leisten. Wer weiß, vielleicht ist irgendwann ja noch so ein Meisterwer­k wie „Citizen Kane“dabei.

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FOTO: NETFLIX Gary Oldman spielt in „Mank“Herman J. Mankiewicz, der vom exzentrisc­hen HollywoodR­egisseur Orson Welles als Drehbuchau­tor für sein Meisterwer­k „Citizen Kane“engagiert wird.

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