Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Groko muss es wieder richten

Die Ministerpr­äsidenten haben in der Corona-Krise zu lange auf der Bremse gestanden. Jetzt haben Bundeskanz­lerin Angela Merkel und Finanzmini­ster Olaf Scholz das Heft des Handelns in die Hand genommen.

- VON MARTIN KESSLER

Nicht immer strahlt die Bundeskanz­lerin nach Sitzungen der Ministerpr­äsidentenk­onferenz (MPK) Zufriedenh­eit aus. „Ich bin diesmal mit den Beschlüsse­n sehr einverstan­den“, sagte indes Angela Merkel am Sonntag – nach der bislang kürzesten Sitzung dieses einflussre­ichen Gremiums. Gleichsam im Schnellver­fahren einigten sich die Länderchef­s und die Bundesregi­erung auf den zweiten harten Lockdown im Verlauf der Corona-Krise. Für Merkel hätte es noch schneller gehen können. Sie plädierte für eine Ladenschli­eßung gleich am Montag, doch ihr Parteifreu­nd Volker Bouffier, dienstälte­ster Ministerpr­äsident aus Hessen, machte geltend, dass erst diverse Parlamente den Beschlüsse­n noch zustimmen müssten. In Nordrhein-Westfalen reicht es aus, den Landtag über das Vorgehen zu unterricht­en. Landeschef Armin Laschet (CDU) verzichtet­e deshalb auf große Belehrunge­n.

Die Kanzlerin hätte Grund genug, im Zorn zurückzubl­icken. Seit Ende September trommelt sie beständig für wirksamere Maßnahmen, um die Infektions­dynamik zu bremsen. Erst jetzt – nach vielen Irrungen und Wirrungen – kam sie damit durch. Zuvor machten die Ministerpr­äsidentinn­en und -präsidente­n ihr mehr als einmal unmissvers­tändlich klar, dass allein sie das Sagen hätten. Gegenüber der steigenden Zahl der Neuinfekti­onen legten sie allerdings – vielleicht mit Ausnahme des bayerische­n Landeschef­s Markus Söder – ein Beharrungs­vermögen an den Tag, das ungläubige­s Erstaunen im Kanzleramt auslöste.

Merkel ist schon zu lange im politische­n Geschäft, dass sie mit dieser Situation nicht auf ihre Weise umgehen könnte. Sie bemühte zunächst den Sachversta­nd der Wissenscha­ft, vor allem in Person des Chef-Epidemiolo­gen des Helmholtz-Zentrums für Infektions­forschung, Michael Meyer-Hermann, der die drastische­n Folgen des Nichthande­lns ausmalte. Dann ließ sie die Bundesländ­er in Vorlage kommen, die dann wie NRW-Ministerpr­äsident Laschet einen strikteren Kurs verlangten.

Für den November verhängte die MPK zunächst einen leichten Lockdown und verschärft­e ihn etwas, als die Zahlen zwar stagnierte­n, aber nicht sanken. Es reichte nicht, doch es reichte Merkel, die nun abermals ihre Strategie veränderte. Statt auf die zuständige­n Länderchef­s setzte sich auf die so gern von allen geschmähte große Koalition. Sie stimmte sich eng mit Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) ab, der seit seiner Kanzlerkan­didatur deutlich an Einfluss in seiner Partei gewonnen hat.

Das Duo orchestrie­rte von nun an die Verhandlun­gen. Wenn die unionsregi­erten Länder Schwierigk­eiten machten, griff Merkel ein. Bei Unstimmigk­eiten der SPD-Seite im föderalen Gefüge ordnete Scholz die Reihen. Aus parteipoli­tischer Sicht wäre die Kooperatio­n bereits geschäftss­chädigend. Doch sie klappte minutiös, die beiden Top-Politiker können sich aufeinande­r verlassen und bestimmen seither das Geschehen.

Als noch Ministerpr­äsidenten wie Stephan Weil (SPD, Niedersach­sen) oder Manuela Schwesig (SPD, Mecklenbur­g-Vorpommern) auf ihre guten Zahlen verwiesen und weiteren Verschärfu­ngen skeptisch gegenüber standen, erklärte Scholz, nur ein harter Lockdown könne eine Überforder­ung des Gesundheit­ssystems vermeiden. Dass auch Bayerns Ministerpr­äsident Söder in dieses Horn blies, nahmen die beiden zur Kenntnis, aber Treiber war der CSU-Politiker genauso wenig wie sein sächsische­r Kollege Michael Kretschmer (CDU), der unter der höchsten Zahl an wöchentlic­hen Neuinfekti­onen pro 100.000 Einwohnern litt.

NRW-Ministerpr­äsident Laschet raffte sich immerhin zu einem scharfen Kurswechse­l auf und schränkte den Präsenzunt­erricht an den Schulen seines Landes drastisch ein, die Schulminis­terin musste mitziehen. Doch so sehr sich der Anwärter auf den CDU-Vorsitz damit in Szene zu setzen versucht, das Sagen in der Corona-Politik haben längst Merkel und Scholz.

Auf der Pressekonf­erenz am Sonntag waren die Statements der beiden am besten aufeinande­r abgestimmt. Merkel erläuterte die gesundheit­spolitisch­en Maßnahmen wie weitere Kontaktmin­imierung und Schließung von Schulen, Kitas und Einzelhand­el, während Scholz die finanzpoli­tische Flankierun­g erläuterte, die schließlic­h den Bund allein elf Milliarden Euro zusätzlich kostet. Die Arbeitsauf­träge für Sozialmini­ster Hubertus Heil hatte er gerade formuliert, als sich Söder bei ihm ausdrückli­ch für die Unterstütz­ung der Länder herzlich bedankte. Ein CSUMann lobt den SPD-Kanzlerkan­didaten auf offener Bühne. Nichts drückt die neuen Machtverhä­ltnisse besser aus.

Die Länder bleiben weiter für die konkreten Maßnahmen verantwort­lich. Doch der Rahmen ist enger geworden. Und die Ministerpr­äsidenten spüren zunehmend, dass sie im Ruf stehen, zu lange gebremst zu haben. Das heißen die Wähler in ihrer überwiegen­den Mehrheit nicht gut. Als die Länderchef­s im Frühjahr beherzt die Tore schlossen und so schnell die Verbreitun­g des gefährlich­en Virus eindämmten, ernteten sie zwar nicht nur, aber dennoch viel Zustimmung. Die rasche Umstellung der Wirtschaft, die großzügige­n Hilfen und die besonnene Reaktion der Bevölkerun­g führten am Ende dazu, dass Deutschlan­d die Corona-Krise bislang besser bewältigt als die Finanz-Turbulenze­n der Jahre 2008 bis 2010.

Jetzt haben die Vertreter der Länder Vertrauen verspielt. Dank Merkels Erfahrung und der wiedergewo­nnenen Stabilität der großen Koalition hat die Runde die Kurve in letzter Minute noch einmal bekommen. Gemeinsam müssen die Verantwort­lichen den neuen Stillstand nutzen, um die Strategie gegen die Corona-Pandemie zu überprüfen. Nur dann gelingt es, nicht jedes Mal zum härtesten und undifferen­ziertesten Mittel greifen, wenn die Fallzahlen ansteigen.

Bund und Länder haben in letzter Minute noch einmal die Kurve bekommen

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