Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

Die Krise weckt Emotionen

In der Corona-Pandemie hat sich das Image von Kanzlerin Merkel gewandelt.

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Es gibt einen Gesichtsau­sdruck der Kanzlerin, der länger in Erinnerung geblieben ist. Als der damalige CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer sie beim CSU-Parteitag 2015 wegen ihrer Flüchtling­spolitik auf offener Bühne abkanzelte, verwandelt­e sich ihre Miene von einem neutralen Lächeln in eine versteiner­te Schneeköni­ginnen-Maske. Das geflügelte Wort vom erstarrten Antlitz passte in diesem Fall ganz gut. Ansonsten wird von Merkel nach ihrem Ausscheide­n aber eher ein diplomatis­ch neutrales Lächeln und ihre berühmte Rauten-Geste in Erinnerung bleiben. Doch in der Generaldeb­atte in der vergangene­n Woche sah man die 66-Jährige für ihre Überzeugun­gen leidenscha­ftlich kämpfen, mit geballten Fäusten und teils brüchiger Stimme. Sie beschwor die Bürger, sich Weihnachte­n an die Corona-Auflagen zu halten: „Wenn wir jetzt zu viele Kontakte vor Weihnachte­n haben und anschließe­nd es das letzte Weihnachte­n mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben, das sollten wir nicht tun“, rief sie in den Plenarsaal des Bundestage­s. Die Härte der Maßnahmen tue ihr „wirklich im Herzen leid“, aber die vielen Todesfälle seien nicht akzeptabel. Schon zu Beginn der Pandemie griff Merkel zu einem eindringli­chen Mittel. Sie wandte sich per Fernsehans­prache an das Volk: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst. Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Herausford­erung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsame­s solidarisc­hes Handeln ankommt“, hatte sie Mitte März in die Kamera gesagt. Aus aktuellem Anlass hatte sie dieses Format zuvor nie gewählt. Am Sonntag, als sie den Bürgern den Lockdown zu Weihnachte­n verkündete, tat sie das wie gewohnt recht trocken. Die Realpoliti­kerin hatte wieder übernommen. Doch wer weiß schon, zu welchen Ansprachen sie im neuen Jahr die Emotionen wieder hervorhole­n muss.

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