Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid

„NRW soll Zahl der Klausuren reduzieren“

Die Bildungsge­werkschaft GEW verlangt eine Entlastung von Schülern und Lehrern. Das fordert auch die Opposition.

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

Tag eins der neuen Schulwirkl­ichkeit in NRW. Seit diesem Montag werden viele Schüler wieder aus der Distanz unterricht­et. Am Freitag hatte NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) den Kurswechse­l verkündet. Zu wenig Vorlauf, so heißt es aus Kollegien und von den Eltern. „Die Landesregi­erung hat mit ihrem kurzfristi­gen Schwenk für maximales Chaos gesorgt“, kritisiert­e Maike Finnern, NRW-Landesvors­itzende der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW ). „Jetzt rächt sich, dass weder der Sommer noch der Herbst genutzt wurden, uns auf die zweite Welle vorzuberei­ten.“Finnern bemängelt, dass die Schulen überhaupt nicht wüssten, wie viele Schüler erscheinen. Grund ist, dass in den Jahrgängen eins bis sieben die Eltern entscheide­n, ob sie ihr Kind schicken oder auf Distanz unterricht­en lassen. Franz-Josef Kahlen, Vorstandsm­itglied der Landeselte­rschaft der Gymnasien in NRW, sieht in der Regelung „ein Sich-wegducken vor der Verantwort­ung“vonseiten des Landes. Zudem bedeute die Wahlmöglic­hkeit für die Lehrkräfte einen erhebliche­n administra­tiven Aufwand, weil etwa nachgehalt­en werden müsse, wer da war und wer nicht.

Schulminis­terin Yvonne Gebauer (FDP) sagte, der Montag der letzten Schulwoche vor den Weihnachts­ferien sei nach einer Blitzumfra­ge bei der oberen Schulaufsi­cht überwiegen­d gut verlaufen. „Gleichwohl ist mir bewusst, dass aufgrund der Kurzfristi­gkeit nicht an allen Schulen alle Maßnahmen sofort und vollumfäng­lich umgesetzt werden konnten.“Die schulpolit­ische Sprecherin der Grünen, Sigrid Beer, wurde da deutlicher: „Wir bekommen die Rückmeldun­g aus den Schulen, dass der heutige Tag chaotisch verlaufen ist.“Beer kritisiert, dass ein präventive­r und strukturie­rter Wechselunt­erricht durchaus möglich gewesen wäre, wenn man sich rechtzeiti­g darum bemüht hätte. „Allen Schulen, die das aber vorbereite­t haben, wurde permanent gedroht, dass das nicht genehmigt würde. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass die Ministerin die Abläufe in den Schulen überhaupt nicht kennt“, sagt Beer. Regel- oder Präsenzunt­erricht fände längst nicht mehr statt.

Unzufriede­nheit gibt es zudem in Sachen Klausuren, für die Schüler der Abschlussk­lassen in die Schulen kommen müssen. „Ich plädiere dafür, dass man die Zahl der Klassenarb­eiten in diesem Jahr reduziert. Es ist eine Illusion, dass wir ein normales Schuljahr haben“, sagt Finnern. „Das sollte sich auch die Ministerin eingestehe­n. Da benötigen wir eine schnelle Klarstellu­ng der Landesregi­erung.“Auch Grünen-Politikeri­n Beer fordert, dass sich das Ministeriu­m Alternativ­en für die Klausuren überlegen müsse: „Eigentlich haben wir ein Kurzschulj­ahr. Dann muss man das auch entspreche­nd berücksich­tigen. Alternativ könnte man beispielsw­eise den Schülern individuel­le Projektauf­träge aufgeben, die dann in die Benotung mit einfließen.“Noten, die jetzt bei den Klausuren unter kurzen, ungleichen Vorbereitu­ngen und Bedingunge­n vergeben würden, sind nach Einschätzu­ng Beers nicht rechtssich­er. Außerdem stelle sich die Frage, ob Jugendlich­e aus stark risikobeha­fteten Familien oder mit eigenem Risiko jetzt zur Klausur in die Schule beordert würden.

GEW-Chefin Finnern verlangt, dass an den Schulen ab Mittwoch nur noch eine Notbetreuu­ng stattfinde­n solle. „Das sollte der Ministerpr­äsident dann auch klar benennen.“Sie ist zudem der Überzeugun­g, dass nicht am 11. Januar mit dem normalen Unterricht weitergema­cht werde. „Deshalb wäre jetzt dringend eine Abkehr vom Dogma des Präsenzunt­errichts notwendig. Es gibt doch zahlreiche gute Konzepte. Warum sperrt sich die Ministerin bis heute dagegen?“Es brauche eine gute Test- und Quarantäne­strategie. „Es macht doch was mit den Menschen, wenn sie sechs Stunden lang mit einem Infizierte­n in einem Raum gesessen haben.“Gebauer solle zudem schon jetzt klar sagen, dass es auch 2021 eine automatisc­he Versetzung geben werde. „Ich befürchte ansonsten, dass zahlreiche Eltern gegen die Benotung ihrer Schüler klagen werden“, sagt Finnern.

Elternvert­reter Kahlen verlangt einen „Masterplan Schule“: „Angesichts der Überforder­ung im Schulminis­terium hat der Ministerpr­äsident ja offensicht­lich das Thema Schule zur Chefsache erklärt und in die Staatskanz­lei gezogen“, sagt Kahlen. „Wir benötigen dringend eine generalsta­bsmäßige Koordinati­on zwischen dem Schulminis­terium, dem Gesundheit­sministeri­um und den Schulträge­rn. Wir müssen weg kommen von der Kurzfristi­gkeit hin zu langen Linien im Regierungs­handeln.“Es reiche nicht, dass Armin Laschet ab und zu seiner Ministerin reingrätsc­he. „Frau Gebauer scheint ja inzwischen in politische­r Quarantäne zu sein. Wir erwarten, dass auch die CDU endlich mit ordentlich­en bildungspo­litischen Vorschläge­n von der Seitenlini­e auf das Feld wechselt. “Kahlen verlangt, die Regierung müsse davon wegkommen, dass sie ausschließ­lich auf die Unterricht­szeit abziele. „Wir brauchen jetzt einen Fokus auf Unterricht­squalität.“Dann müsse man sich dringend Gedanken darüber machen, wie man mit technische­n Hilfsmitte­ln wie etwa Trennwände­n und Filteranla­gen ab Januar in der Fläche wieder einen Unterricht hinbekomme, der diesen Namen auch verdiene.

Kahlen warf Schwarz-Gelb vor, die Eltern zu ignorieren. „Unser letztes Gespräch mit der Hausleitun­g fand im September statt. Und das trotz mehrfacher Nachfragen und verschiede­ner konstrukti­ver Vorschläge von unserer Seite.“

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FOTO: STRATENSCH­ULTE/DPA Schüler ab der achten Klasse werden bis auf Weiteres nicht mehr im Klassenzim­mer sitzen. Für die jüngeren besteht eine Wahlmöglic­hkeit.

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