Solinger Bergische Morgenpost/Remscheid
Studierende halten Mahnwache für Kunst und Kultur
Bei Nieselregen stehen schweigend Initiatorin Anna Isabell Haas und ihre Kommilitonen mit leeren Instrumentenkästen vor dem Rathaus. „In dieser Zeit, da jeder versucht, lauter auf sich aufmerksam zu machen, als andere, wollen wir einen Kontrapunkt setzen“, erklärt die Studentin, warum sie sich entschieden haben, allein durch Plakate über den Zweck der Mahnwache zu kommunizieren.
„Unser Schweigen steht außerdem symbolisch dafür, wie wir Musiker
und allgemein freischaffende Künstler uns seit Monaten fühlen“, sagt Haas. Das letzte Semester über blieb die Hochschule geschlossen. „Wir konnten zwar online etwas machen, aber schon allein der Kontakt untereinander brach zum Teil ab, weil viele in ihre Heimatstädte gefahren sind, als kein Unterricht stattfand“, sagt die 20-Jährige enttäuscht. „Deshalb haben wir auch erst jetzt die Mahnwache organisiert, inspiriert von der Aktion #sangundklanglos“.
Diese wurde im November von den Münchner Philharmonikern angestoßen, die ihren stillen Protest gegen den Umgang der Politik mit Kunst und Kultur als Livestream ins Netz gestellt hatten. Viele Orchester schlossen sich dem mahnenden Statement an. „Natürlich kann man online etwas machen, aber das ersetzt kein richtiges Konzert, keine Seminare und auch kein gemeinsames Musizieren“, sagt Haas.
Zustimmung bekommt die Violinistin von Aleks Vidojevic und Martin Zimny. Beide sind ehemalige Studierende der Robert-Schumann-Hochschule, inzwischen als Gitarrenduo TwoFourTwelve erfolgreich international unterwegs: „Wir finden die Initiative von Anna Isabell sehr gut. Denn alles, was auf die schwierige Situation der Künstler aufmerksam macht, ist wichtig, um die Politik daran zu erinnern, dass konkrete Lösungen mehr als überfällig sind“, sagt Vidojevic. Er hat zwar das Glück gemeinsam mit Martin Zimny am 17. Dezember im Rahmen des live ins Internet gestreamten „klingenden Weihnachtsmarktes“in der Tonhalle auftreten zu dürfen, „aber das ist eher die Ausnahme“, gibt der Musiker zu. Mit Online-Gitarrenunterricht allein lässt sich kaum der Lebensunterhalt bestreiten. Für Studierende, wie Haas, die derzeit im dritten Semester ist, bedeutet es: Unsicherheit, wenige bis keine Möglichkeiten mit anderen zu lernen und zu üben. „Vielen fehlt auch das Geld, um weiter durchhalten zu können“, sagt sie. Die Konsequenz könne doch nicht sein, dass talentierter Nachwuchs möglicherweise das Studium abbrechen muss, weil die finanziellen Mittel fehlten.
Am Samstagmittag haben allerdings leider nur wenige Passanten ein Auge für das Anliegen der Demonstrierenden,
die vor dem Rathaus schweigend ein Zeichen setzen wollen. Die Verschärfungen der Maßnahmen aufgrund der weiter steigenden Infektionszahlen lässt die engagierte Musikerin ein wenig ratlos in die nahe Zukunft schauen. „Natürlich müssen diese Regelungen sein, das ist uns allen bewusst“, sagt Haas. Doch sie würde sich etwas mehr Sicherheit für das neue Jahr wünschen und „ein solides Konzept, wie wir endlich wieder live auf der Bühne vor echtem Publikum stehen dürfen. Kunst und Kultur sind systemrelevant.“